Es waren einmal sieben Einhörner
Es waren einmal sieben Einhörner
So unterschiedliche deutsche Firmen wie About You, Curevac, Flink, Grover, Seller X, Tier und auch die Schweizer Wefox haben eines gemeinsam: Sie waren einmal „Einhörner“ mit einer Milliardenbewertung und sind es nicht mehr.
Von Christoph Ruhkamp, Frankfurt
About You war in der Pandemie einer der Lieblinge der Investoren im deutschen E-Commerce-Sektor. Im Juli 2018 hatte sich neben den Versandhauserben Michael und Benjamin Otto die dänische Heartland mit Sitz in Aarhus, eine Beteiligungsholding des großen Bekleidungsunternehmens und About-You-Lieferanten Bestseller, im Zuge einer Kapitalerhöhung mit 29% an dem Online-Modehändler beteiligt. In diesem Rahmen wurde das 2014 gegründete Start-up aus Hamburg erstmals mit mehr als 1 Mrd. Dollar bewertet und war damit Hamburgs erstes „Einhorn“-Unternehmen.
Sechs Jahre später ist About You kein Teil der Einhorn-Herde mehr und kämpft ums Überleben. Seit dem IPO im Juni 2021 ist der Börsenwert um mehr als 80% eingebrochen. Die Marktkapitalisierung des Unternehmens, an dem die Otto AG 36% hält und das bis Ende 2022 im SDax enthalten war, hat sich in den vergangenen zwölf Monaten auf 530 Mill. Euro halbiert. Der Abstieg seit der Erstnotierung ist erheblich: Der Zeichnungspreis hatte noch einem Börsenwert von knapp 4 Mrd. Euro entsprochen, und das IPO hatte 840 Mill. Euro Emissionserlös eingespielt. „In der Spitze war About You im Juli 2021 rund 4,5 Mrd. Euro wert", sagt Nikolas Westphal, Deutschlandchef der Tech-Investmentboutique Clipperton in Berlin.
Curevac, Flink und Co.
Lange Zeit galt About-You-Mitgründer und Co-CEO Tarek Müller als „Hoffnungsträger“ der Otto Group und als „Gesicht der digitalen Transformation des Konzerns“. Inzwischen ist es deutlich ruhiger geworden um den 36-Jährigen. Ein Wunder ist das nicht, haben doch viele Investoren Geld verloren. Der Hype um Online-Mode und speziell um About You, der in der Pandemie entstanden war, scheint endgültig vorbei. Das Eigenkapital ist binnen zwei Jahren von 580 Mill. auf 240 Mill. Euro geschrumpft. Die verfügbaren Finanzmittel sind von 500 Mill. auf 146 Mill. Euro abgeschmolzen.
Der Internet-Bekleidungshändler ist kein Einzelfall. So unterschiedliche deutsche Firmen wie About You, die Biopharmaziefirma Curevac, der Lieferdienst Flink, der Elektrogerätevermieter Grover, der Amazon-Shop-Aufkäufer Seller X, der E-Tretrollerverleih Tier und das Schweizer Versicherungs-Fintech Wefox haben nach den Daten von Clipperton eines gemeinsam: Die sieben Jungunternehmen waren einmal Einhörner. Aber sie haben diesen Status im Jahr 2024 verloren, weil ihre Bewertung unter die Milliardengrenze gefallen ist. Schon früher abgeschmiert sind die Ex-Einhörner Infarm, Gorillas, Nucom Group, Deposit Solutions, Home 24 und Trivago.
Nur noch 54 Einhörner
Im laufenden Jahr hat sich die Zahl der Einhorn-Unternehmen laut Clipperton im deutschsprachigen Raum auf 54 verringert. Nur ein einziges Einhorn ist 2024 neu dazugekommen – der Firmenfitness-Netzwerkanbieter Egym aus München. Die Gründe für den Abstieg aus der Einhorn-Liga sind so vielfältig wie die Unternehmen. Aber in gewissem Ausmaß geht es immer auch um den Kater nach dem Bewertungs-Hype in der Pandemie, als billionenschwere Konjunkturprogramme und der offene Geldhahn der Notenbanken die Unternehmensbewertungen nach oben trieben.
„Die Gründe sind natürlich immer firmenspezifisch, aber generell kann man meines Erachtens feststellen, dass die ehemaligen Einhörner besonders unter dem eingetrübten Konsumklima und den höheren Kapitalkosten gelitten haben“, sagt Clipperton-Deutschlandchef Westphal. „Insbesondere im momentanen Marktumfeld sind diejenigen Firmen am besten aufgestellt, die zwar auf externes Kapital zugreifen können, aber nicht müssen.“
Curevac-CEO traf Trump
Neben About You gehört zu den Ex-Einhörnern auch Curevac. Dem im Jahr 2000 gegründeten Biotech-Unternehmen aus Tübingen war zugetraut worden, den entscheidenden Impfstoff gegen Corona zu entwickeln. Im März 2020 traf sich der damalige Vorstandschef Daniel Menichella mit US-Präsident Donald Trump. Danach wurde spekuliert, Trump habe sich in dem Gespräch mit Menichella bemüht, die Rechte an dem potenziellen Impfstoff exklusiv für die USA zu sichern. Im Juni 2020 beteiligte sich deshalb die Bundesregierung über die staatseigene Förderbank KfW für 300 Mill. Euro zu etwa 23% an Curevac. Das Unternehmen wurde zu dem Zeitpunkt mit rund 1,3 Mrd. Euro bewertet und stieg damit in die Einhorn-Klasse auf. Mitte August 2020 erfolgte der Börsengang an der amerikanischen Technologiebörse Nasdaq. Bei einem Ausgabekurs von 16 Dollar und einem Emissionerlös von brutto 245 Mill. Dollar lag der Unternehmenswert bei 2,3 Mrd. Dollar. In der Spitze wurde Curevac laut Clipperton im Dezember 2020 mit 24 Mrd. Dollar bewertet.
Lieferdienste im Verdrängungswettbewerb
Als jedoch die Entwicklung eines ausreichend wirksamen Corona-Impfstoffes zunächst nicht gelang, folgte die Ernüchterung. Im Juli dieses Jahres verkaufte Curevac die Rechte an der mRNA-Impfstoffentwicklung an den Pharmakonzern GSK. In den vergangenen zwölf Monaten hat sich die Marktkapitalisierung auf 620 Mill. Dollar halbiert. Größter Anteilseigner ist der Biotech-Wagniskapitalgeber Dievini Hopp des SAP-Gründers Dietmar Hopp.
Etwas anders gelagert ist der Fall von Flink. Der Einhorn-Status des 2020 gegründeten Start-ups aus Berlin ist dem Verdrängungswettbewerb unter den Lieferdiensten zum Opfer gefallen. Bei einer Finanzierungsrunde im Dezember 2021 erhielt Flink rund 750 Mill. Dollar und wurde demzufolge mit knapp 3 Mrd. Dollar bewertet. Bei der Finanzierungsrunde im Mai 2023 erhielt das Unternehmen weitere 150 Mill. Euro von Bestandsinvestoren bei einer deutlich geschrumpften Bewertung von rund 1 Mrd. Euro. In diesem Jahr gaben die Geldgeber, darunter Rewe, noch einmal 100 Mill. Euro bei einer Bewertung unterhalb von 1 Mrd. Euro. Eine Fusion mit dem türkischen Konkurrenten Getir, der schon das Berliner Start-up Gorillas geschluckt hatte, ist bisher nicht zustande gekommen.
In schwieriger Lage
Besonders kurz war das Dasein als Einhorn für den Elektronikgerätevermieter Grover aus Berlin. Bei einer Finanzierungsrunde über 50 Mill. Euro, die unter anderem vom Staatsfonds Cool Japan angeführt wurde, erhielt das Unternehmen in diesem Jahr nach Aussagen vom Interim-CEO und Mitgründerin Linda Rubin im Gespräch mit „Gründerszene“ eine Bewertung von weniger als 1 Mrd. Dollar. Erst zwei Jahre zuvor hatte Grover die Milliardengrenze überschritten und wurde laut Clipperton im April 2022 mit 1,3 Mrd. Euro bewertet. Seit der Gründung 2015 hat das Jungunternehmen 1,4 Mrd. Euro an Investitionen erhalten. Doch der Umsatz stagniert, und die höheren Zinsen machen die Finanzierung des Geräteeinkaufs teurer.
Auch der Amazon-Shop-Aufkäufer Seller X ist in eine schwierige Lage geraten. Der Hauptgläubiger – der US-Asset-Management-Riese Blackrock – wollte das 2020 in der Pandemie als E-Commerce-Star gegründete Start-up im September sogar schon versteigern – mit einem Startgebot von nur 100.000 Euro. Doch der Verkauf des säumigen Schuldners per Auktion wurde dann doch noch abgeblasen. Stattdessen beantragte Blackrock beim Bundeskartellamt die Übernahme von Seller X, die kleinere Amazon-Shops aufkauft und dann optimiert. In der Spitze war das Unternehmen im Juni 2023 laut Clipperton mit 1,6 Mrd. Euro bewertet worden.
Drastischer Wertverfall für Tier
Kaum besser sieht das Schicksal des Berliner Tretrollerverleih Tier aus. Das Unternehmen, das im November 2021 mit 1,8 Mrd. Euro bewertet worden war, wurde kürzlich bei der Fusion mit dem Wettbewerber Dott auf nur noch 60 Mill. Euro taxiert. Auch das Schweizer Versicherungs-Fintech Wefox hat mehr als 80% an Wert verloren. Es wurde im Juli 2022 mit 4,5 Mrd. Euro bewertet. Laut Bloomberg sind davon im Rahmen der jüngsten Gerüchte über eine Übernahme durch einen Staatsfonds aus Abu Dhabi nur noch 550 Mill. Euro übrig geblieben.