EU will Clearing aus London zurückholen
Von Wolf Brandes, Frankfurt
Die EU will mittelfristig ihre Abhängigkeit von britischen Clearingstellen verringern, um einen eigenen Markt aufzubauen und eine Gefahr für die Finanzstabilität zu vermeiden. Das betonte die EU-Kommissarin für Finanzdienstleistungen, Mairead McGuinness, kürzlich. Bestärkt wurde sie durch die jüngste ESMA-Bewertung der Systemrelevanz britischer zentraler Kontrahenten (CCPs). Allein LCH wickelt den größten Teil der auf Euro lautenden Zinsswaps ab. Die Übergangsregelungen nach dem Brexit sehen vor, dass UK-Clearinghäuser bis 2025 weiterhin EU-Banken und -Assetmanager bedienen dürfen, um Zeit für den Aufbau von Kapazitäten innerhalb der EU zu gewinnen.
Anreize sind nötig
Der Druck auf die Banken, das Clearing freiwillig in die EU zu verlagern, hat nach Einschätzung Brüssels bisher kaum Fortschritte gebracht. McGuinness kündigte an, sie werde im Oktober einen Gesetzentwurf vorlegen, der positive Anreize zum Clearing in der EU und negative Anreize wie höhere Eigenkapitalkosten für das Clearing in London enthalten könnte. Außerdem sollen Pensionsfonds und öffentliche Einrichtungen verpflichtet werden, ihre Derivate in der EU abzuwickeln, um eine breite Basis zu schaffen.
Der „Big Bang“-Ansatz zur Rückverlagerung des Euro-Clearings in die EU erfordert eine Änderung der Verordnung über die Infrastruktur der europäischen Märkte (Emir), um den EU-Marktteilnehmern neue CCPs vorzuschreiben. Die Branche kritisiert einen solchen Schritt und hofft auf mildere Maßnahmen, in deren Zuge sich die in der EU ansässigen Marktteilnehmer auf das Ende der vorübergehenden Gleichwertigkeit für die in London ansässigen CCPs vorbereiten können. „Die Kombination aus einer Verlängerung der Äquivalenz für britische CCPs und gezielten Anreizen zur Verlagerung von Clearing in die EU ist ein guter Ansatz, um Cliff-Edge-Szenarien zu vermeiden und zugleich sicherzustellen, dass die Ziele der Regulierungsbehörden erreicht werden“, sagt Matthias Graulich, Vorstand Eurex Clearing. In einem sogenannten Cliff-Edge-Szenario gäbe es in dieser Frage keine Vereinbarung in den Finanzmarktbeziehungen zwischen London und Brüssel.
In der Konsultation zur Überprüfung des Rahmens für das zentrale Clearing in der EU sprachen sich wichtige Interessengruppen aus Frankreich und Deutschland für eine marktorientierte Entwicklung aus, so dass das Geschäft in der EU sich bis 2025 aufbaut. Maßnahmen wie höhere Eigenkapitalanforderungen für EU-Unternehmen, die außerhalb der Staatengemeinschaft abwickeln, werden in der Branche als allerletztes Mittel angesehen, wenn sich an der CCP-Landschaft nichts ändern sollte. Als weitere Maßnahme wird eine Verpflichtung diskutiert, ein zweites Konto bei einem EU-CCP einzurichten. Eurex Clearing unterstützt die Idee. „So kann das Risiko einer wiederkehrenden Cliff-Edge-Situation reduziert und angesichts einer möglicherweise auslaufenden Äquivalenz von UK-CCPs im Jahr 2025 ein solides Risikomanagement sichergestellt werden“, so Graulich.
In einem Positionspapier erklärte auch die französische Finanzmarktaufsicht AMF Ende April, dass die Abhängigkeit der EU-Marktteilnehmer von systemrelevanten Dienstleistungen der britischen CCPs unbedingt zu begrenzen sei. Angesichts der Ambitionen Frankreichs bei EU-Finanzdienstleistungen und seiner oft eher angespannten Beziehungen zum Vereinigten Königreich ist die Unterstützung der AMF für einen schrittweisen marktbasierten Ansatz beim Derivate-Clearing von Bedeutung für die Diskussion in Brüssel.
Dominanz der City
Die Dominanz von London in dem Geschäft ist groß. In der EU gibt es 14 CCPs in zwölf Ländern. Doch das meiste Volumen machen die in London ansässigen ICE Clear Europe und LCH Clear Limited. Größter Konkurrent wiederum ist die zur Gruppe Deutsche Börse gehörende Eurex Clearing. Mit marktbasierten Lösungen will sie das Euro-Clearing in die EU voranbringen und den Marktübergang zu einem ausbalancierten Clearing-System unterstützen. Die Gruppe befürwortet auch, den Kreis der Clearing-Teilnehmer um Pensionsfonds (PSAs) und öffentliche Organisationen zu erweitern.
Grundlage der Debatte ist die Emir-Regelung, nach der CCPs aus Drittländern je nach ihrer systemischen Bedeutung für die Finanzstabilität in der EU in verschiedene Stufen eingeteilt werden. Ab dem 1. Januar 2021 hat die EU-Aufsicht ESMA die britischen Häuser LME Clear Limited als „Tier 1 CCP“ und ICE Clear Europe und LCH Limited als „Tier 2 CCPs“ eingestuft. Swapclear, eine Einheit von LCH, die wiederum zur London Stock Exchange Group gehört, ist die weltweit größte Clearingstelle für außerbörsliche Zinsswaps (OTC) und cleart Hunderte von Zinsprodukten in 27 Währungen.
Am Markt sind Stimmen zu hören, wonach die EU bereits einen Rückzieher gemacht habe bei den Ambitionen, den größten Teil des Clearinggeschäfts für außerbörsliche Euro-Derivate in die EU zu verlagern, auch wenn dies keine Seite öffentlich einräumt. Im Ausschuss für europäische Angelegenheiten des britischen Oberhauses sagte City-Minister John Glen kürzlich, dass es ein erheblicher Aufwand sei, das Clearing in Euro zu übernehmen. Aber dies sei nun mal das Problem der EU, so Glen.
Tempo gedrosselt
Mit Verdruss wird in Großbritannien registriert, dass die EU dem Vereinigten Königreich seit dem Brexit nur zwei Gleichwertigkeitsbeschlüsse für Finanzdienstleistungen gewährt hat, während die Gleichwertigkeit den EWR-Mitgliedstaaten umgekehrt in 28 der 32 Fälle zugestanden wurde. Marktteilnehmer spotten jetzt, dass die EU ihre Pläne für CCPs mit einer großen Ankündigung zur Verlagerung des Clearings gestartet habe, dann das Tempo gedrosselt habe und jetzt dazu übergegangen sei, das Thema auf technischer Ebene zu behandeln.