KommentarEuroinflation und Geldpolitik

EZB zwischen den Stühlen

Die Teuerung scheint unter Kontrolle. Der Druck steigt, nun schnellstmöglich eine weitere Zinssenkung nachzuschieben. Doch das ist heikel – nicht nur wegen bald wieder ansteigender Inflationsraten, sondern weil die EZB ihr Mandat verwässert.

EZB zwischen den Stühlen

Euro-Inflation

EZB zwischen
den Stühlen

Von Stephan Lorz

Die Lage an der Inflationsfront ist nur auf den ersten Blick klar: Seit Monaten geht die Teuerung zurück und liegt jetzt mit 1,8% sogar deutlich unter der Zwei-Prozent-Schwelle der EZB. Das ist jene Marke, welche die Notenbank mit dem Preisstabilitätsziel für vereinbar hält. Einem erneuten Zinsschritt würde also nichts mehr im Wege stehen, so scheint es. Der Wirtschaft käme im Moment zudem jede (Zins-)Erleichterung zupass, weil die Konjunktur nicht so recht vom Fleck kommt. Und zwar nicht nur in Deutschland. Auch andernorts fehlt die Nachfrage nach Konsum- und Investitionsgüter.

Doch die Teuerung ist hartnäckig. Der preisdämpfend wirkende Basiseffekt bei den Energiepreisen verflüchtigt sich schon bald wieder. Zugleich steigen die Preise im Dienstleistungssektor ungebremst weiter. Die Kernteuerung ohne die schwankungsanfälligen Preise für Energie-, Nahrungs- und Genussmittel gab nur leicht auf 2,7% nach. Daher sollte die Notenbank vorsichtig sein, gegebenenfalls lieber länger warten und die Daten zunächst weiter beobachten, wie die EZB-Chefin Christine Lagarde eigentlich auch angekündigt hat. Jedenfalls darf sie sich nicht von Akteuren am Finanzmarkt unter Druck setzen lassen. Schließlich hat sie im Gegensatz zur US-Notenbank Fed gerade kein duales Mandat und ist einzig der Preisstabilität verpflichtet.

Aber die Zeiten dieses singulären Mandats scheinen ohnehin vorbei. Längst ist die EZB zum institutionellen „Zoon politikon“ geworden, das sich mannigfachem Druck ausgesetzt sieht und ihm zum Teil auch nachgibt. Schon immer konnte sich die Notenbank nicht ganz von der konjunkturellen Entwicklung abkoppeln, was wegen der inhaltlichen Abhängigkeiten auch noch einigermaßen nachvollziehbar ist. Dann aber hatte die Eurokrise sie auch noch in einen Garanten der fiskalischen Verfasstheit der Euro-Staaten verwandelt. Und inzwischen ist die Umwelt- und Klimapolitik ebenfalls zu einem Anliegen der Notenbank geworden. Das alles droht die Preisstabilität, den zentralen Auftrag der EZB, zu verwässern. Das sollte sie sich bei jeder geldpolitischen Entscheidung immer vor Augen halten.

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