Firmenjäger nehmen britische Unternehmen aufs Korn
Von Andreas Hippin, London
Börsennotierte britische Firmen sind im ersten Halbjahr ins Visier von Finanzinvestoren gerückt. Bei rund der Hälfte der in den ersten sechs Monaten des laufenden Jahres abgegebenen verbindlichen Übernahmeangebote ging es darum, ein Unternehmen vom Kurszettel zu nehmen. Unter den Deals mit einem Volumen von mehr als 1 Mrd. Pfund waren es der Kanzlei Skadden, Arps, Slate, Meagher & Flom zufolge sogar 71,4 %. Die Private-Equity-Gesellschaften hätten Zugang zu erheblichen finanziellen Mitteln. In Verbindung mit dem anhaltenden Niedrigzinsumfeld werde das wohl zu weiteren „P2P“-Transaktionen (Public-to-Private) führen. Alles in allem hat sich nach Rechnung der Kanzlei die Zahl der Offerten für britische Gesellschaften mehr als verdoppelt (siehe Grafik).
Ängste vor Ausverkauf
Für Schlagzeilen sorgte die Übernahmeschlacht zwischen Fortress und Clayton Dubilier & Rice (CD&R) um WM Morrison Supermarkets. Der Tesco-Rivale gehört immerhin dem Standardwerteindex FTSE 100 an. Das Kaufangebot eines Portfoliounternehmens von Advent International für den Atom-U-Boot-Komponentenhersteller Ultra Electronics weckte Ängste vor einem Ausverkauf der britischen Rüstungsindustrie.
„Aus unserer Sicht ist das mit Blick auf die tiefen Taschen von Private Equity, die sich verbessernde Marktdynamik und die vergleichsweise niedrigen Bewertungen britischer Assets nicht überraschend“, kommentierten die Analysten von Peel Hunt die zunehmende Aktivität der Finanzinvestoren. Der Abschlag, zu dem Aktien britischer Firmen im Vergleich zu den Papieren ihrer europäischen und US-Wettbewerber gehandelt werden, habe sich nicht wesentlich verringert. Lege man das Kurs-Gewinn-Verhältnis der kommenden 12 Monate zugrunde, seien britische Aktien um mehr als zwei Fünftel günstiger als US-Papiere und rund ein Viertel billiger als europäische Dividendentitel. Dabei sei die Ungewissheit rund um den Brexit weitgehend verflogen. Zudem habe das Land im Kampf gegen das Coronavirus eine erfolgreiche Impfkampagne hinter sich.
StrategischeKäufer am Markt
Das ist nicht nur für Beteiligungsgesellschaften interessant. Parker-Hannifin, ein US-Zulieferer der Luftfahrtbranche, bot 6,3 Mrd. Pfund für die FTSE-250-Gesellschaft Meggitt, die unter anderem Komponenten für F35-Kampfjets produziert. Die australische Ramsay Health Care legte eine 1 Mrd. Pfund schwere Offerte für den britischen Privatklinikbetreiber Spire Healthcare vor. Unternehmen seien nun anscheinend viel eher dazu bereit, Geld in die Hand zu nehmen, als am Anfang der Pandemie , sagt der M&A-Experte Adam Cain von der Kanzlei Pinsent Masons. Strategische Zukäufe könnten den Weg zu greifbarem Wachstum öffnen. Er rechnet auch mit zunehmendem Interesse von Finanzinvestoren, vor allem von solchen mit Sitz in Übersee. „Die Brexit-Ungewissheit hat sich im Verlauf des vergangenen Jahres auf die zugrunde liegenden Bewertungen ausgewirkt und das Pfund nach unten gedrückt“, sagt Cain. „Obwohl die Möglichkeit eines ‚No Deal‘-Brexits vermieden wurde, erscheint eine Reihe britischer Aktien weiterhin unterbewertet. Erfahrenen Marktteilnehmern bietet das die Möglichkeit, opportunistische Übernahmeangebote zu sondieren.“ Er rechnet die Öl- und Gasbranche zu den Industrien, in denen es zu weiteren Transaktionen kommen dürfte. In den vergangenen 12 Monaten hat sich dort bereits einiges getan: der Reverse Takeover von Premier Oil durch Chrysaor, aus dem Harbour Energy hervorging, der Kauf von Tulip Energy durch Kistos oder der Verkauf von Assets in Äquatorialguinea, Gabun und Uganda durch Tullow Oil. Durch den Anstieg der Ölpreise haben sich sowohl Umsatz als auch Cash-flow vieler Produzenten erholt. Peel Hunt nennt den tansanischen Gasproduzenten Wentworth Resources als mögliches Übernahmeziel. Auch Harbour Energy könnte sich aus Sicht des Brokers für Zukäufe interessieren.
Am 5. Juli traten Veränderungen des britischen Übernahmerechts in Kraft. Bieter können den Prozess nun beschleunigen, wenn sie verhindern wollen, dass ihnen Wettbewerber in die Parade fahren. Allerdings können Aktionäre die Annahme eines Angebots jederzeit wieder zurückziehen, solange die Annahmebedingung nicht erfüllt ist. Spannend dürfte auch werden, ob sich die britische Regierung unter Verweis auf die „nationale Sicherheit“ in vorgeschlagene Transaktionen wie das Angebot von Advent International für Ultra Electronics einmischen wird. Zuletzt legte Premierminister Boris Johnson die Übernahme des Halbleiterherstellers Newport Wafer Fab durch die chinesische Nexperia auf Eis, die Wirtschaftsminister Kwasi Kwarteng bereits durchgewunken hatte (vgl. BZ vom 8. Juli).