Frankreichs Wirtschaft nach dem Sturz der Regierung
Allgemeine Verunsicherung
Frankreichs Wirtschaft muss den Preis für die politische Krise zahlen, die die zweitgrößte Volkswirtschaft der Eurozone seit Juni durchlebt. Den neuen Premierminister François Bayrou erwartet eine harte Aufgabe.
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Von Gesche Wüpper, Paris
Auf der einen Seite erstrahlte nach dem Brand vor fünf Jahren die Kathedrale Notre-Dame in neuer Pracht und begeisterte die mitreißende Stimmung bei den Olympischen Sommerspielen. Auf der anderen Seite gibt es die Bilder aus der Nationalversammlung, deren Abgeordnete die Regierung von Michel Barnier nach gerade mal drei Monaten mit einem Misstrauensvotum gestürzt haben. Die Widersprüche könnten nicht größer sein. Die glanzvolle Feier zur Wiedereröffnung von Notre-Dame konnte nicht über die große Verunsicherung hinwegtäuschen, die die zweitgrößte Volkswirtschaft der Eurozone seit der überraschenden Ankündigung parlamentarischer Neuwahlen im Juni erfasst hat.
Die alte Zuversicht ist weg
Hatte Präsident Emmanuel Macron bei seinem Amtsantritt 2017 zunächst mit unternehmerfreundlichen Reformen für Zuversicht gesorgt und das Image Frankreichs als Wirtschaftsstandort aufpoliert, so ist die Entzauberung jetzt umso größer. Wie tief der Frust sitzt, zeigte sich gerade während der Jahrestagung des Stromverbandes Union française de l’électricité (UFE) in Paris. „In Frankreich zu investieren ist die Hölle“, stöhnte Luc Rémont, der Chef des staatlichen Energieriesen EDF (Électricité de France).
„Das kann so nicht weitergehen“, wetterte TotalEnergies-Chef Patrick Pouyanné. Die bürokratischen Hürden und Prozesse seien viel zu kompliziert. In den USA und in Deutschland etwa liefen Genehmigungsverfahren bei Erneuerbaren Energien deutlich schneller. Pouyanné drohte, nicht zum ersten Mal, der Ölkonzern könne sich bei neuen Projekten für andere Standorte entscheiden, die unternehmerfreundlicher als Frankreich sind.
Auslandsinvestoren zweifeln
Die Startbedingungen für Barniers Nachfolger, den Zentrumspolitiker François Bayrou, sind alles andere als einfach. Denn auch andere Investoren könnten dem Land den Rücken kehren. Die Hälfte der Auslandsinvestoren, die zugesagt hätten, in Frankreich zu investieren, hätten ihre Investitionen bereits auf Eis gelegt oder annulliert, sagte Patrick Martin, der Chef des Arbeitgeberverbandes Medef, der Sonntagszeitung „JDD“. Das von EY veröffentlichte Attraktivitäts-Barometer bestätigt, dass Auslandsinvestoren seit den Neuwahlen an Frankreich zu zweifeln beginnen, nachdem es in den Jahren zuvor in ihrer Gunst vorne gelegen hat.
Die Verunsicherung ist auch bei französischen Unternehmen und Verbrauchern groß. Der auf Kommentaren von Unternehmen basierende Unsicherheitsindikator steige, schreibt die Banque de France in ihrer am 10. Dezember veröffentlichten Konjunkturerhebung. In der Industrie und im Baugewerbe erreiche er den höchsten Stand seit zwei Jahren. Vor allem die politische Situation beunruhige.
Die Investitionen der Unternehmen drohen nun noch weiter zu sinken, nachdem sie bereits im dritten Quartal um 1,4% zurückgegangen sind. „Unternehmen mögen keine Unsicherheiten“, kommentierte Ökonom Patrick Artus vom Cercle des Economistes, der wirtschaftliche Berater von Ossiam. Die Debatten und Vorschläge, die Steuern zu erhöhen und Erleichterungen bei Sozialabgaben zu kürzen, hätten sie beunruhigt. Das Investitionsniveau französischer Unternehmen im Vergleich zum Bruttoinlandsprodukt (BIP) sei bereits von 12,2% Anfang 2023 auf 11,5% abgesackt.
Unklar, wann ein neuer Haushaltsentwurf 2025 kommt
Der Haushaltsentwurf 2025 der gestürzten Regierung Barniers hatte neben Einsparungen über 40 Mrd. Euro 20 Mrd. Euro an zusätzlichen Einnahmen vorgesehen, um das Defizit von über 6% auf 5% zu senken. Deshalb waren unter anderem zusätzliche Steuern für Konzerne mit einem Umsatz von mehr als 1 Mrd. Euro pro Jahr, Abgaben auf Aktienrückkaufprogramme und die Erhöhung von Steuern auf Flugtickets geplant.
Zwar können die betroffenen Unternehmen jetzt aufatmen, nachdem der Haushaltsentwurf und damit die Steuererhöhungen gescheitert sind. Doch die ohnehin vorherrschende Verunsicherung wurde durch den Sturz der Regierung weiter verstärkt. Nicht nur das Haltbarkeitsdatum der neuen Regierung von Bayrou ist angesichts der in drei ungefähr gleich große Blöcke gespaltenen Nationalversammlung unklar. Vollkommen offen ist auch, wann sie einen neuen Haushaltsentwurf für 2025 vorlegt und wie sie das Defizit senken will. Das Spezialgesetz, das den Haushaltsrahmen 2024 verlängert, sieht für 2025 ein Defizit von 5,1% bis 5,8% bei einem Wachstum von 1,1% vor. Die OECD erwartet nur 0,9%.
Ungewissheit über Rentenreform
Ungewiss ist auch, wie es mit der von Macron 2023 durchgesetzten Rentenreform weitergeht, die die schrittweise Anhebung des Renteneintrittsalters von 62 auf 64 Jahre vorsieht. Das Linksbündnis Nouveau Front Populaire (NFP) und der rechtsextreme Rassemblement Nationale (RN) haben nach den Neuwahlen eigentlich auf die Abschaffung der Reform gedrängt. Inzwischen plädieren die Sozialisten jedoch dafür, sie bis 2027 einzufrieren und das Renteneintrittsalter bis dahin nicht für weitere Jahrgänge anzuheben. „Zu wissen, ob ein Mitarbeiter in zwei oder erst in zwölf Monaten in Rente geht, führt nicht zu denselben Einstellungsentscheidungen“, Unternehmenschef Félix Hubin von Somater. Der Verpackungsspezialist hat deshalb erstmal einen Einstellungsstopp entschieden.
Andere Reformen dürften aufgrund der zersplitterten Mehrheitsverhältnisse aufgeschoben werden. Gleichzeitig dürfte es zu mehr Investitionsstopps, Insolvenzen und Sozialplänen kommen. Dabei hat die Zahl der Unternehmenspleiten laut einer Studie der Unternehmensberatung Altares mit 66.000 bereits im Zeitraum September 2023 bis September 2024 einen Rekordstand erreicht. Die schlechten Nachrichten aus der Industrie nehmen zu. Michelin, Valeo und andere Unternehmen wollen Standorte in Frankreich schließen und Stellen streichen. Nach Angaben der Gewerkschaft CGT sind bereits 250 Sozialpläne verkündet worden oder in Vorbereitung. Sie sieht 170.000 bis 200.000 Arbeitsplätze in Gefahr.
Wachstum gefährdet
Diese Unsicherheitsfaktoren schüren auch bei französischen Haushalten die Sorgen. Sie legen deshalb mehr auf die hohe Kante, sodass die Sparquote seit Ende 2019 von 15,2% auf zuletzt 18,2% gestiegen ist. Parallel dazu sinkt das Verbrauchervertrauen. Für den Privatkonsum, traditionell einer der Wachstumsmotoren der französischen Wirtschaft, ist das kein gutes Omen.
Da sowohl Konsum als auch Investitionen zurückgingen, sei ab dem vierten Quartal ein Nullwachstum zu erwarten, meint Ökonom Patrick Artus. Medef-Chef Martin fürchtet sogar, dass sich Frankreich bereits in einer leichten Rezession befindet. Die Vorzeichen für eine schrumpfende Wirtschaft mehrten sich, urteilt das private Wirtschaftsforschungsinstitut Rexecode. Es rechnet mit einem Nullwachstum am Rande der Rezession im Schlussquartal 2024 und in den ersten drei Monaten 2025.
Die Märkte haben sich beruhigt
Die Märkte haben sich wieder beruhigt, nachdem der Spread französischer Anleihen gegenüber Bundesanleihen auf 90 Basispunkte gestiegen waren. Vor den Neuwahlen habe er nur 45 Basispunkte betragen, erklärt Ökonom Artus. Da er inzwischen mit fast 80 weit höher sei, verteuere sich der Schuldendienst. Deshalb müsse das Primärdefizit nun stärker reduziert werden, um die Schuldenquote von 112,9% des BIP zu stabilisieren.