Friends & Family beim Porsche-IPO
Wer im aktuellen Marktumfeld stark steigender Zinsen, von Rezessionsausblick und Krieg in der Ukraine einen Börsengang plant, provoziert im Normalfall Fragen nach seinem Geisteszustand und wird schwerlich eine Bank finden, die den Börsengang in solcher Zeit begleitet. Denn üblicherweise will der Emittent bei der Aktienemission einen möglichst hohen Verkaufspreis für die neuen Aktien erzielen. Doch beim IPO von Porsche ist alles anders. Das Marktumfeld scheint keine Rolle zu spielen, und Emittent Volkswagen zielt offenkundig auch nicht auf einen möglichst hohen Emissionserlös. Denn obwohl Finanzanalysten Porsche aufgrund der starken Marke und unter Berücksichtigung der Börsenbewertung von Ferrari schon einen Unternehmenswert von 90 bis 120 Mrd. Euro zuschrieben, sind es jetzt auf Basis der Emissionspreisspanne nur 70 bis 75 Mrd. Euro. Das ist das 10-Fache des voraussichtlichen operativen Ergebnisses von 2022, Porsche also ein Schnäppchen. Denn das Kurs-Gewinn-Verhältnis von VW liegt bei 4,3, das von Mercedes bei 5, aber jenes von Ferrari bei knapp 40.
Insofern war es keine Überraschung, dass schon eineinhalb Stunden nach dem Beginn der Zeichnungsfrist die Orderbücher mehrfach überzeichnet waren, und zwar über die gesamte Preisspanne von 76,50 bis 82,50 Euro der neuen 113,9 Millionen Stück Porsche-Vorzugsaktien hinweg (vgl. BZ vom 20. September). Sie machen ein Viertel des Vorzugsaktienkapitals beziehungsweise 12,5% der insgesamt 911 Millionen Stück Porsche-Aktien aus.
Üblicherweise setzen sich Investmentbanken bei zu niedrigem Pricing dem Vorwurf des Emittenten aus, Geld liegen zu lassen. Diesen Vorwurf müssen die Volkswagen begleitenden Häuser im Fall des Porsche-IPO, allen voran Bank of America, Citigroup, Goldman Sachs und J.P. Morgan, aber nicht fürchten, jedenfalls nicht vom VW-Vorstand und den Familienaktionären Porsche-Piëch, die über ihre Familienholding Porsche SE 53,3% der VW-Stammaktien halten und damit den Konzern dominieren. Denn der Ausgabepreis der Vorzüge ist Basis jenes Preises, den die Familienholding Porsche SE mit einem Aufschlag von 7,5% für den beabsichtigten Erwerb von 25% plus 1 Aktie der Porsche-Stammaktien an den Verkäufer VW zahlt.
MehralseinGeschmäckle
Mit anderen Worten: Je niedriger der Ausgabepreis, desto preiswerter kommt die Familie an die 25-%-Schachtel und damit an die Sperrminorität. Dass sich der VW-Mehrheitsaktionär als Erwerber der Porsche-Schachtel selbst begünstigt und seinem treuen VW-Mitaktionär Katar einen gesicherten preisgünstigen Einstieg als 5-%-Vorzugsaktionär bei Porsche bietet, hat mehr als nur ein Geschmäckle. Vorzugskonditionen und garantierte Zuteilungen erinnern an die Friends&Family-Programme am Neuen Markt vor zwei Jahrzehnten, mit denen sich Altaktionäre und ihre Freunde zulasten der freien Aktionäre die Taschen füllten.
Der zu niedrige Ausgabepreis und der geringe Aufpreis für die Stammaktien sind den freien Aktionären von VW wie auch den auf gute Corporate Governance achtenden Investoren nachvollziehbar ein Dorn im Auge. Sie drohen mit juristischen Schritten und sprechen von einer „in keiner Weise angemessenen Prämie“ für die Porsche-Stammaktien und einer „unvertretbaren Privilegierung der Familien Piëch und Porsche“ (vgl. BZ vom 20. September). Deren bestehende Kontrollposition durch das mit weitgehenden Rechten ausgestattete Schachtelprivileg werde erheblich ausgeweitet, der Verkauf von VW-Konzernvermögen zu einem „erheblichen Minderpreis“ verstoße gegen das Aktiengesetz.
Governance-Defizite
Stein des Anstoßes ist in erster Linie die geringe Prämie von nur 7,5% auf die Stämme. Sie ist in der Tat marktwidrig. Nimmt man die Kursdifferenz zwischen VW-Stamm- und Vorzugsaktien zum Maßstab, so müsste die Prämie bei einem Preisaufschlag von einem Drittel liegen. Außerdem sind am Kapitalmarkt für das Erreichen eines Schachtelprivilegs üblicherweise Prämien zwischen 25 und 50% zu zahlen. Somit hätte also der Preisaufschlag für das 25-%-Stammaktienpaket bei wenigstens 50% liegen müssen. Die Familienholding Porsche SE bekäme dann ihre Schachtel an der Porsche AG nicht für 9,4 bis 10 Mrd. Euro, sondern müsste 13 bis 14 Mrd. Euro dafür investieren.
Unterlegt sind diese marktunüblichen Begünstigungen beim Porsche-IPO von den Verflechtungen und Doppelmandaten zwischen den Familien Piëch und Porsche und VW-Konzern-Vorstands- und -Aufsichtsratsmitgliedern. Doch die gravierenden Governance-Defizite scheinen den Erfolg des IPO nicht zu schmälern, zumal sich der sonst gerne als verantwortungsvoller Investor mit ESG-Fokus gerierende norwegische Staatsfonds neben Katar, Abu Dhabi und T. Rowe Price als Ankeraktionär empfohlen hat.
Einerseits wird der Porsche-Börsengang mit größerer Unabhängigkeit vom VW-Konzern und mehr unternehmerischer Freiheit begründet, andererseits ist Porsche-Vorstandsvorsitzender Oliver Blume seit 1. September zugleich Konzernchef von VW – und soll es auch bleiben. Formal wird zwar der bestehende Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag zwischen VW und Porsche zum Jahresende auslaufen. Doch VW wird Porsche bilanziell weiterhin voll konsolidieren.
Die künftigen Porsche-Vorzugsaktionäre sollten sich im Klaren darüber sein, dass sie vielleicht Dividenden und Kursgewinne auf ihr Investment verbuchen können, ansonsten aber nichts zu sagen haben. Der Börsenprospekt lässt diesbezüglich keine Zweifel aufkommen: Die Volkswagen AG und die Porsche SE hätten künftig als die größten Aktionäre der Gesellschaft „die Möglichkeit zur erheblichen Einflussnahme auf Hauptversammlungsentscheidungen der Gesellschaft und möglicherweise abweichende Interessen gegenüber den anderen Gesellschaftern der Gruppe“.