Ampel-Koalition

Großer Hoffnungs­wert Entlastungs­paket

Die Ampel-Regierung setzt beim Entlastungspaket auf die Macht der großen Zahl. Belastbar ist sie aber nicht.

Großer Hoffnungs­wert Entlastungs­paket

Erleichterung war nach der Ankündigung der Spitzen der Ampel-Koalition zu spüren. Die Koalition kleckert nicht, sie klotzt in diesen schwierigen Zeiten. Die Dimension des dritten Entlastungspaktes übertrifft mit 65 Mrd. Euro die kühnsten Erwartungen. Es ist sogar deutlich größer als beiden ersten Pakete, die sich auf 30 Mrd. Euro summieren. In der Sorge vor einem heißen Herbst mit explodierenden Energiepreisen und aufgebrachten Wählern setzen Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) und seine Mitstreiter auf die Macht der großen Zahl. Bei genauem Hinsehen schrumpft diese Zahl jedoch beachtlich. Sie auch nicht belastbar. Ehrlichkeit ist aber eine wichtige Währung im politischen Geschäft.

Der von der Ampel-Koalition genannte Umfang ist eine Schätzgröße. Die Fachministerien beginnen jetzt, an der Umsetzbarkeit zu arbeiten. Dies wurde am Tag zwei nach dem 22-stündigen Verhandlungsmarathon der Regierungs- und Parteispitzen im Kanzleramt deutlich. Details zum Finanztableau rückte die Regierung nicht heraus. Sie hat sie schlicht noch nicht. Die Ampel brauchte aber eine große Zahl für die an diesem Dienstag beginnende Haushaltsdebatte. Sie hat eine große Zahl gegriffen und geliefert. Kaum vorstellbar, dass sie nach dem langen Ringen ein Entlastungspaket ohne Preisschild präsentiert hätte. Wie das Preisschild aussieht, muss sich jedoch noch weisen.

Die Zahl ist auch deshalb groß, weil die Ampel längst geplante Maßnahmen, losgelöst von Russlands Krieg in der Ukraine und dem Energiepreisschock, mit neuen Vorhaben mischt. Das Wirtschaftsforschungsinstitut IW Köln spricht von einer „Mogelpackung“. Die Forscher beziffern das Finanzvolumen der Pläne, die schon zuvor auf der Agenda standen, auf immerhin 25 Mrd. Euro. Dazu gehört etwa das erhöhte Bürgergeld, das Arbeitslosengeld II und Sozialhilfe ablösen soll. Auch die Wohngeldreform stand schon im Koalitionsvertrag der Ampel. Sie soll die Zahl der berechtigten Empfänger deutlich steigern. Somit ist ein Teil der Ausgaben in der Planung des Bundeshaushalts schon berücksichtigt. Ein Nachtragshaushalt könnte gleichwohl nötig werden, wenn die Rechnung nicht aufgeht. Dann wäre auch die Schuldenbremse 2023 in Gefahr.

Die Ampel mischt bei der Angabe des Finanzvolumens dauerhafte, befristete und einmalige Maßnahmen und zählt sie ungeniert zusammen. Punktuelle Ausgaben sind die einmalige Energiepauschale für Rentner, der Heizkostenzuschuss für Studenten oder die Homeoffice-Pauschale. Das verlängerte Kurzarbeitergeld ist befristet, erstreckt sich aber über eine längere Zeit. Dauerhafte Belastungen für den Bundeshaushalt resultieren etwa aus dem ausgeweiteten Wohngeld, dem angepassten Bürgergeld und dem aufgestockten Kindergeld. Sie belasten die öffentlichen Kassen auch in künftigen Jahren und lassen sich nicht in einer einzigen Zahl fassen.

Mit dem Entlastungspaket betreibt die Ampel zudem ein Geschäft zulasten Dritter. Denn mit 32 Mrd. Euro entfällt Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) zufolge nur knapp die Hälfte der Last auf den Bundeshaushalt. Eine Reihe der Kosten trifft Länder und Gemeinden mit – etwa die Anpassung des Einkommensteuertarifs zum Ausgleich inflationsgetriebener Steuererhöhungen, also der sogenannten kalten Progression. Auch die Steuerausfälle aus der Abschaffung der Doppelbesteuerung der Rente oder aus der Umsatzsteuersenkung auf Gas belasten Länder und Kommunen. Lohn- und Einkommensteuer sowie Umsatzsteuer sind Gemeinschaftssteuern, bei denen sich Bund, Länder und Gemeinden das Aufkommen teilen. Steuerrechtsänderungen muss auch der Bundesrat zustimmen. Der Finanzminister steht allein gegen 16 Länder und in einer schwierigen Verhandlungsposition. Das werden die Länder zu nutzen wissen.

Einen Teil der Lasten lädt die Ampel auch bei den Arbeitgebern ab. Bis zu 3000 Euro soll eine Pauschale für die Arbeitnehmer steuerfrei bleiben, schultern müssen sie aber die Unternehmen zusätzlich zum Lohn. Wenig Entlastung aus dem Paket kommt bei den Unternehmen an. Die Hilfsprogramme werden zwar bis Jahresende verlängert, die Energiekosten werden aber darüber hinaus hoch bleiben. Es reicht nicht, Unternehmen nur vor der Insolvenz zu schützen. Das angekündigte Programm für energieintensive Unternehmen, die diese Kosten nicht weitergeben können, muss schnell kommen und ist mindestens genauso wichtig wie die Entlastung von Bürgern. Gehen Arbeitsplätze verloren, fällt dies der Ampel in einem heißen Herbst mit aufgewühlter Krisenstimmung politisch auch auf die Füße.

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