Gute und schlechte Schulden?
Unterm Strich
Gute und schlechte Schulden?
Von Claus Döring
Finger weg von der Schuldenbremse! Das Grundgesetz ist zwar nicht in Stein gemeißelt, Änderungen sollten aber nicht aus den Nöten des politischen Tagesgeschäfts erfolgen.
Drei Ökonomen, vier Meinungen. An dieses Bonmot erinnert die Debatte über die Schuldenbremse und deren vermeintliche Reformbedürftigkeit seit dem Haushaltsurteil des Bundesverfassungsgerichts am 15. November. Die Spannbreite der Meinungen zeigt das gerade veröffentlichte Ökonomen-Panel des Ifo-Instituts, an dem knapp 200 deutsche Wissenschaftler teilgenommen haben. Die einen wollen die Schuldenbremse unverändert beibehalten, die anderen wollen sie reformieren, um mehr Schulden für mehr Investitionen zu ermöglichen, wieder andere wollen aus sozialen Gründen auch Schulden für mehr Konsum zulassen, und einige wollen die Schuldenbremse generell abschaffen. Die Diskussion unter den Ökonomen spiegelt jene unter den Politikern und gibt damit einen Hinweis auf den richtigen Weg: Finger weg vom Grundgesetz, in dem die Schuldenbremse völlig zu Recht verankert ist! Auch ein Grundgesetz ist zwar nicht in Stein gemeißelt, Änderungen sollten aber nicht aus den Nöten des politischen Tagesgeschäfts heraus erfolgen. Zu durchsichtig ist der Versuch der „Reformer“, ihre vom Karlsruher Urteil durchkreuzte Transformations- und Subventionsagenda zu retten und die finanziellen Lasten dafür der nächsten Generation aufzubürden.
Dass mit zusätzlichen Schulden finanzierte Investitionen ja auch der nächsten Generation zugutekommen, trifft zwar grundsätzlich zu, enthebt aber nicht von der Verpflichtung einer jeden Generation, ihre Aufgaben mit selbst erarbeiteten Mitteln zu bewältigen. Die „Buy now, pay later“-Mentalität hat in seriöser und generationengerechter Haushaltspolitik nichts verloren. Die Transformation der Wirtschaft mit dem Ziel, die längst entstandenen Klimaschäden wenigstens zu begrenzen, muss von jener Generation bezahlt werden, die in den Genuss des dadurch entstandenen Wohlstands gekommen ist. Die Transformation darf nicht auf Rechnung unserer Kinder und Enkel erfolgen. Das bedeutet für die aktuelle Generation, den Gürtel enger zu schnallen und vor allem jene überproportional zur Kasse zu bitten, die vom Wohlstand auch überproportional profitieren.
Zwischen „guten“ Schulden für zusätzliche Investitionen des Staates und „schlechten“ Schulden für Konsumausgaben unterscheiden zu wollen, ist weder sachlich gerechtfertigt noch praktikabel. Der von Unternehmensbilanzen auf den Staatshaushalt übertragene Gedanke einer „Goldenen Regel“ zur Finanzierung von staatlichen Investitionen hat schon früher die steigende Staatsverschuldung nicht verhindert und würde dies auch in der neuen Variante als „Goldene Regel plus“ nicht können. Politiker werden immer gute Gründe für ihre geplanten „Zukunftsinvestitionen“ finden. Die Grenzen von investiven und konsumtiven Ausgaben des Staates sind fließend, was sich am Beispiel von Bildungsinvestitionen schön zeigen lässt.
Politiker jeglicher Couleur bevorzugen konsumtive Ausgaben, zu denen auch die Sozialausgaben zählen, weil sie ihre Wiederwahl begünstigen. Während der „staatliche Konsum“ in Form der Sozialleistungsquote inzwischen auf 30% des Bruttoinlandsprodukts gestiegen ist, haben sich die investiven Ausgaben des Staates über die Jahre in Relation zum BIP auf inzwischen nur noch 2,5% halbiert. Die marode Infrastruktur zeugt davon.
Durch die Schuldenbremse wird die Politik gezwungen, sich über den zielgerichteten, effizientesten und sozialpolitisch größten Nutzen bringenden Einsatz der Steuereinnahmen Gedanken zu machen. Gerade weil viele konsumtive Ausgaben zumindest kurzfristig gesetzlich vorgegeben sind, ist eine Priorisierung zwingend nötig. Das mag lästig sein, zumal in einer Koalitionsregierung, in der sich die Partner gern gegenseitig die Wunschzettel erfüllen. Eine Reform oder Lockerung der Schuldenbremse würde die Politik aber nur zu fantasievollen Umschichtungen für neue konsumtive Ausgaben animieren.