Die Auftritte auf der IAA: von dezent bis klotzig
Dezent bis klotzig
Der Trend geht zum großen Messeauftritt der Autohersteller – mit einer Ausnahme
Von Joachim Herr, München
Der weißhaarige Mann rutscht von der Rücksitzbank. Nach dem Aussteigen nickt er anerkennend. Hilmar Bender muss nicht lange überlegen, was ihm an dem Auto gefällt: der Preis und die Ausstattung. Der Münchner schaut sich jetzt noch das Heck des BYD Seal genau an. In der Grundversion kostet die Limousine 44.900 Euro.
Sie steht mit blauer Metalliclackierung neben anderen Modellen des chinesischen Autoherstellers auf dem unübersehbaren, großen Stand auf der breiten Ludwigstraße – schräg gegenüber vom ebenfalls wuchtigen Auftritt von Volkswagen im Herzen Münchens.
"Zu teuer"
Bender fährt seit langem Mercedes, hat schon sein sechstes Auto mit dem Stern. Doch es wird sein letztes der schwäbischen Marke sein. "Zu teuer in der Anschaffung und zu hohe Werkstattkosten", moniert er und wirkt enttäuscht. Die Hinterachse sei jetzt nach zehn Jahren schon durchgerostet. Es ist ihm aber wichtig zu betonen, dass er noch nicht weiß, ob er ein chinesisches Auto kaufen wird.
BYD präsentiert sich in einem "Open Space". Hier will die Branche auf der IAA Autos und andere Innovationen zum Thema Mobilität den Bürgern und Gästen ohne Eintrittspreis näherbringen. Die IAA Mobility schafft sich wie schon vor zwei Jahren zur Premiere in der bayerischen Landeshauptstadt nicht nur Platz auf dem Messegelände im Stadtteil Riem. Der Verband der Automobilindustrie erhofft sich von der Nähe einen fairen Austausch über Verkehrsmittel und -konzepte.
Das künftige Einstiegsmodell
An dem sonnigen Vormittag ist das öffentliche IAA-Areal zwischen Feldherrenhalle und Siegestor gut besucht. Am schmalen Zugang in die Höfe der Münchner Residenz drängeln sich die Menschen. Hinten im Apothekenhof leuchtet der haushohe Stand von Mercedes-Benz ganz in Rot. Klotzen statt kleckern, lautet hier die Devise. Wer in dieses würfelartige Gebilde hinein will, muss sich bisweilen anstellen. Ein rotes Gerüst an der Fassade und über dem Dach lässt den Klotz noch größer wirken. Innen zeigt das Unternehmen den neuen CLA, das künftige Einstiegsmodell mit dem Stern. Im übernächsten Jahr soll das Elektroauto mit einer Reichweite von 750 Kilometern auf den Markt kommen.
Vor zwei Jahren hatte sich Mercedes auf dem ein paar Meter entfernten Odeonsplatz direkt vor der Feldherrenhalle breitgemacht. Das missfiel einigen in München, auch Stadträten. Nun hat die Stadt dort Liegestühle und Grünpflanzen in großen Töpfen aufgestellt und nennt den Platz "Stadtoase". Den Weg zu Mercedes in der Residenz finden trotzdem viele.
15 Länder in elf Monaten
Das große Thema in der Branche und auf der Messe ist die Expansion der chinesischen Hersteller nach Europa. Das wird allein schon an der wachsenden Zahl der Aussteller von dort sichtbar. In der Halle B3 auf dem Messegelände sind schon vor Beginn der Pressekonferenz von BYD alle Stühle besetzt. Viele hören Europa-Chef Michael Shu im Stehen zu. In englischer Sprache zählt er sehr sachlich die Meilensteine und Erfolge des 1995 als Batteriehersteller gegründeten Unternehmens auf. Der bisherige Höhepunkt: Im vergangenen Jahr stieg BYD mit 1,86 Millionen verkauften Autos in der Welt zur Nummer 1 der New Energy Vehicles (NEVs) auf. Zu den NEVs zählen reine Elektroautos, Plug-in-Hybride und Fahrzeuge mit Brennstoffzelle. Seit dem Jahr 2003 produziert BYD Autos.
BYD ist in München aber nicht nur erstmals auf der IAA. In der Zulassungsstatistik der Stadt waren die Autos der Marke im Juli und August an erster Stelle der batterieelektrischen Fahrzeuge, wie Shu berichtet. Dass die chinesischen Unternehmen nicht nur mit hohem Tempo Autos entwickeln und auf den Markt bringen, sondern auch ihr Geschäft schnell vorantreiben, verdeutlicht Shu mit der Europa-Strategie von BYD: In gerade einmal elf Monaten habe das Unternehmen hier in 15 Ländern eine Marktpräsenz aufgebaut.
Nur zwei Autos
Wie BYD zeigt sich Tesla erstmals auf der IAA in München. Der Aufritt ist sowohl auf der Messe als auch in der Stadt dezent gestaltet. Der weiße Pavillon des US-amerikanischen Unternehmens auf dem Königsplatz fällt erst auf den zweiten Blick ins Auge. Dagegen sticht der Nachbar Ford mit großen Fahnen und Namenslogo hervor. Tesla beschränkt sich darauf, zwei Modelle zu zeigen: ein rotes Exemplar des frisch überarbeiteten Model 3 und ein graues des Model Y, das sich in der ersten Hälfte dieses Jahres zum meistverkauften Auto in Europa überhaupt aufgeschwungen hat.
Vielfältige Proteste
Um die zwei Autos von Tesla sammeln sich mehr Interessierte als auf der gegenüberliegenden Seite am riesigen Stand des ADAC, wo sich ein Mann am Mikrofon bemüht, Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Ein paar Meter entfernt vor dem Eingang zum "Open Space" auf dem Königsplatz diskutiert ein Polizist mit einem Mann, umringt von anderen Polizisten in schwarzen Uniformen. In der Nähe spricht eine junge Frau mit raspelkurzen Haaren in ein Mikrofon: Den Herstellern von Elektroautos wirft sie "dreistes Greenwashing" vor. Eine kleine Schar von Menschen applaudiert.
Proteste mehrerer Gruppen gehören auch in diesem Jahr zur IAA. Die Formen sind vielfältig: Schon in den Tagen vor der Messe haben sich Mitglieder der "Letzten Generation" auf Münchens Straßen festgeklebt. Aktivisten von "Extinction Rebellion" seilten sich am Montag von einer Brücke neben der BMW-Zentrale auf den Mittleren Ring ab. Greenpeace versenkte bei einer Aktion die Oberteile von drei Autokarosserien im künstlichen See vor dem Haupteingang der Messe. Auch während des Rundgangs von Bundeskanzler Olaf Scholz nach der Eröffnung am Dienstagnachmittag war Greenpeace in Aktion: Am Stand von BMW entrollten sie Banner mit der Aufschrift "The Party is over".
E-Bikes im Englischen Garten
Das Bild der IAA prägen aber nicht nur die, die Autos herstellen, und die, die dagegen demonstrieren. Auch die Stände von Bosch und Brose in der Ludwigstraße sind gut frequentiert. Beide Zulieferer zeigen dort ihre Produkte für ein anderes Verkehrsmittel: Elektroantriebe für Fahrräder. Im nahen Englischen Garten gibt es eine Teststrecke für die E-Bikes.
"Elektromobilität ist ein Megatrend", sagt David Kaminski begeistert. So könnten mehr Menschen das Fahrrad in ihrer Freizeit nutzen und für das Pendeln zur Arbeit, auch als Jobrad. Kaminski leitet den Vertrieb der E-Bike-Sparte des oberfränkischen Familienunternehmens Brose und fährt selbst so ein Rad. Wie schnell das Geschäft wächst, verdeutlichen ein paar Zahlen: Bis Brose die erste Million E-Bike-Antriebe verkauft hatte, dauerte es vom Start dieses Geschäfts 2014 bis 2021, fast sieben Jahre. Für die zweite Million vergingen bis Februar 2023 gerade einmal zwei Jahre.
"Ein guter Zeitpunkt"
Seit einiger Zeit allerdings stockt der Verkauf, denn die Lager im Handel sind voll nach dem Boom zu Beginn der Corona-Pandemie und wegen der hohen Bestellungen nach den Engpässen in den Lieferketten. Zudem dämpft die hohe Inflation die Konsumlaune. "Jetzt ist ein guter Zeitpunkt für einen Kauf", meint Kaminski und weist auf Rabatte im Handel hin. Er rechnet damit, dass sich die Lage bis Mitte 2024 normalisiert. Dann erwartet er ein Marktwachstum von etwa 10% im Jahr.
Vom Konzernumsatz von Brose machte das E-Bike-Geschäft zuletzt 2% aus, also rund 150 Mill. Euro im vergangenen Jahr. "Die Sparte ist profitabel", berichtet Kaminski, will aber nicht mehr preisgeben. Anzunehmen ist, dass dieses Geschäft rentabler als die Autosegmente ist. Da sei der Preisdruck auf Zulieferer jedenfalls größer, sagt der Vertriebschef.