Im Dezember droht dem Handel eine Erlösflaute
Langsam nimmt es groteske Züge an. Erst beglückt der Einzelhandel die Konsumenten im November mit dem „Black Friday“, gefolgt vom „Cyber Monday“. Dann folgen – der Name ist ein Widerspruch in sich – die „Black Friday Week“ bzw. die „Cyber Week“. Und nun versuchen die Händler in Deutschland auch noch den „Singles Day“ stärker zu etablieren –bislang mit mäßigem Erfolg. Alles, um bei den Verbrauchern so viel Geld wie möglich abzuschöpfen. Dabei sind die Märkte in Deutschland und anderen Industrienationen gesättigt. Da braucht es Anlässe wie diese Aktionstage, damit Kunden etwas zu scheinbar günstigen Preisen kaufen, was sie vermeintlich schon länger haben wollten. Tatsächlich ist das oft gar nicht der Fall, denn Neurowissenschaftler haben in Versuchen nachgewiesen, dass bereits der Anblick von Prozentzeichen auf einem Preisschild das Belohnungssystem im Hirn aktiviert. Wer also zum Beispiel am Black Friday einkauft – egal ob online oder in stationären Läden –, wird wahrscheinlich auch noch etwas Ungeplantes – und häufig Unnötiges – dazukaufen.
Doch viele Kunden sind der inflationär steigenden Zahl an – vor allem aus den USA übernommenen – Aktionstagen und -wochen mit ihren oft fragwürdigen Sonderangeboten überdrüssig. Gefühlt ist doch ständig Ausverkauf, so die Einschätzung.
Vor allem aber ist der Herbst 2022 geprägt von großer Unsicherheit, was den Konjunkturverlauf und die persönliche wirtschaftliche Situation bis mindestens Ende nächsten Jahres betrifft. Daher ist die grundsätzliche Kaufbereitschaft, wie zahlreiche Umfragen und Statistiken belegen, derzeit so gering wie seit vielen Jahren nicht mehr.
Sparsamkeit ist angesagt
Für den Erfolg der diesjährigen Aktionen spricht, dass sich die Konsumenten aufgrund der stark gestiegenen Lebenshaltungskosten auf ein – Achtung: Stereotyp! – typisch deutsches Wesensmerkmal besinnen: Sparsamkeit. Allerdings sind Teile der einkommensschwachen Schichten auch zum Sparen bzw. zur Schnäppchenjagd gezwungen. Das könnte die optimistischen Schätzungen des Handelsverbandes Deutschland (HDE) Realität werden lassen, auch wenn im Vergleich zu früheren Jahren mehr in den Preiseinstiegsklassen gekauft wird.
Gemäß einer Umfrage durch das Institut für Handelsforschung (IFH Köln) im Auftrag des HDE planen allein die Online-Shopper im unmittelbaren Umfeld der beiden Aktionstage Black Friday und Cyber Monday für insgesamt 5,7 Mrd. Euro einzukaufen (siehe Grafik). Das wäre ein Anstieg im Vergleich zum Vorjahr, das bereits ein Plus gegenüber 2020 von 21% brachte, um weitere 22% oder rund 1 Mrd. Euro. Im Vergleich zum Vor-Corona-Jahr 2019 hätten sich die Aktionsausgaben für preisreduzierte Waren damit auf Basis der Hochrechnungen fast verdoppelt.
Erhebungen, die geplante Konsumausgaben betreffen, sollte man aber stets mit einer gehörigen Portion Misstrauen begegnen. Das liegt am Problem der sozialen Erwünschtheit von Antworten in Befragungen, die zu Verzerrungen der tatsächlichen Meinung oder Absicht führt. Wer möchte schon zugeben, dass er unterdurchschnittlich oder deutlich weniger als in den Vorjahren an den Aktionstagen oder für Weihnachtsgeschenke ausgeben wird, weil die Haushaltskasse leerer ist als früher?
Auch in „normalen“ Jahren – ohne weitgehende, pandemiebedingte Isolation oder kriegsbedingte Konjunkturabschwünge – ist die Sorge verbreitet, bei solchen Umfragen als arm oder knausrig dazustehen; daher werden häufig völlig überhöhte Einkaufsvolumina angegeben.
Zweifel an Umfrageresultaten
Viele Beratungsunternehmen und Marktforscher überraschen daher in diesen Tagen wieder einmal mit Umfrageergebnissen zu den von Verbrauchern beabsichtigten Ausgaben im Weihnachtsgeschäft, bei denen selbst finanziell gut abgesicherte Personen sich als Geizhälse vorkommen müssen, weil ihre eigenen Budgets deutlich darunterliegen. Hinzu kommt, dass die tatsächliche Konsumabsicht nicht dem tatsächlich realisierten Konsum entsprechen muss. Meist ist das Delta negativ, weil etwa die Zeit nicht für alle geplanten Einkäufe gereicht hat oder nicht die „richtigen“ Produkte gefunden wurden. Aufschlussreich ist in diesem Zusammenhang, dass nur äußerst selten von Beratern und Marktforschern nachgehakt wird, für wie viel denn nun wirklich eingekauft wurde.
Ein weiteres Handicap, das insbesondere die Umsätze in der Aktionszeit Ende November belastet, ist das sinkende Vertrauen in die Sonderangebote und angezeigten Rabatte. Längst hat sich herumgesprochen, dass die Nachlässe am Black Friday und Cyber Monday mitunter künstlich aufgeblasen sind. So monieren Verbraucherschutzorganisationen, der Abschlag werde nicht ausgehend vom tatsächlichen Marktpreis, sondern von der oft weit über den handelsüblichen Preisen angesetzten unverbindlichen Preisempfehlung oder gar von Mondpreisen ausgehend berechnet. Bei Vergleichen mit anderen Anbietern relativierten sich die Rabatte. So seien oft nur Preisnachlässe von 10 bis 25% realistisch – anstelle der ausgelobten 50 bis 70%.
Dennoch zeigt sich der HDE aufgrund der Umfrageergebnisse bei Online-Shoppern optimistisch. Neben den kritisch zu hinterfragenden Angaben zu den geplanten Konsumausgaben liegt das vor allem daran, dass laut der Erhebung beabsichtigt ist, an den Aktionstagen Black Friday und Cyber Monday mehr Geld für Weihnachtseinkäufe auszugeben als je zuvor. Demnach sollen 43 bis 55% der Ausgaben an den beiden Tagen, was einer Summe von rund 1,7 Mrd. Euro entspräche, auf Weihnachtseinkäufe entfallen. Das würde einen Zuwachs von mehr als 40% im Vergleich zum Vorjahreswert bedeuten.
Inflationsbereinigt weniger
Man mag über die Höhe der Ausgaben für Weihnachtsgeschenke an den beiden kommenden Aktionstagen streiten, doch dass die Verbraucher inzwischen rund die Hälfte ihrer Weihnachtseinkäufe bereits im November besorgen, wird in verschiedenen Studien bestätigt. Wenn es aber zu einer Verlagerung von Weihnachtseinkäufen vom Dezember in den November – und hier vor allem auf die Rabattzeit rund um Black Friday und Cyber Monday – kommt, die Konsumenten aber insgesamt deutlich weniger für Geschenke oder andere typische Weihnachtseinkäufe ausgeben wollen, dann könnte es passieren, dass zwar die Einzelhandelsumsätze im November noch recht gut aussehen, dass aber dann im Dezember, wenn es keine Sonderverkaufstage mehr gibt, die Erlöse im Handel weit unter den Erwartungen bleiben.
Dass sich der Einzelhandel – und zwar nicht nur die ohnehin angezählten stationären, sondern auch die Online-Anbieter – auf schwierigere Zeiten einstellen muss, hat der Verband mit seiner Prognose für das Weihnachtsgeschäft – definiert als alle Umsätze in der Branche in den letzten beiden Monaten des Jahres – bereits deutlich gemacht. Mit Blick auf die „historisch schwierigen Rahmenbedingungen“ rechnet der HDE zwar mit einem weitgehend stabilen Weihnachtsgeschäft. Doch in der Schätzung steht einem nominalen Umsatzplus von 5,4% preisbereinigt ein Minus von 4% im Vergleich zum Vorjahr gegenüber. Erstmals werde auch der Online-Handel nach zwei starken Pandemiejahren einen realen Umsatzrückgang von 4,5% zu verzeichnen haben. Das Umsatzniveau bleibe hier – im Gegensatz zum stationären Einzelhandel – aber deutlich über den Vorkrisenwerten.
Von Martin Dunzendorfer, Frankfurt