In Nvidias Robotik-Ära lauern Stolperfallen
Stolperfallen in
Nvidias Robotik-Ära
An der Wall Street wachsen die Zweifel am KI-Boom. Nvidia bewirbt Robotik derweil als nächste große Wachstumsstory – stößt damit aber in einen schwierigen Markt vor.
Von Alex Wehnert, New York
Blechkameraden sind auf der Nvidia-Entwicklerkonferenz GTC in diesem Jahr allgegenwärtig. Der Hersteller Agility Robotics zeigt seinen Digit, den ersten kommerziell genutzten humanoiden Roboter – den Kunden wie Amazon in ihren Lagern für repetitive Aufgaben wie das Laden und Entladen von Taschen nutzen. Auf dem Branchentreffen im kalifornischen San José führt der Halbautomat laut Besuchern vor, wie er einen Einkaufskorb bepackt. Andere Roboter demonstrieren, wie gut sie mit OP-Besteck umgehen können.

Und wiederum andere sind einfach nur Teil der Show: So teilt sich Nvidia-CEO Jen-Hsun „Jensen“ Huang die Bühne vorübergehend mit einem von Disney entwickelten BDX Droid. Die kleine, von den „Star Wars“-Filmen und Donald Ducks Neffen Tick, Trick und Track inspirierte Maschine ist testweise in den Themenparks des Entertainment-Riesen unterwegs und soll mit Besuchern interagieren und so die Nutzererfahrung auffrischen. Auch Nvidia selbst hat Robotik als nächsten großen Wachstumstrend für sich ausgemacht. Während seiner nahezu zweistündigen Präsentation verkündet Huang in der vergangenen Woche eine Kooperation mit General Motors, in deren Rahmen die beiden Unternehmen „die Fahrzeuge der nächsten Generation“ und dafür benötigte Fabrik bauen.
Traumkombi der Technologien
Neue Stufen des autonomen Fahrens gelten im Sektor als Traumkombination der beiden Zukunftstechnologien Robotik und künstliche Intelligenz – am besten noch ergänzt durch eine dritte: Batterieelektrische Antriebe. Zu Jahresbeginn stellten auf der Elektronikmesse CES in Las Vegas bereits mehrere Autohersteller, darunter Mercedes-Benz, Konzeptmodelle für selbstfahrende Fahrzeuge vor, die mit Technologie von Nvidia ausgestattet sein sollen.
Doch Kritiker wenden ein, dass bisherige Autonomie-Vorstöße – vor allem von US-Autobauern – von Misserfolgen geprägt sind. GM stellte sein ausgelagertes Programm Cruise im Dezember nach fast einem Jahrzehnt und Investitionen von 10 Mrd. Dollar ein und will selbstfahrende Vehikel künftig innerhalb des Konzerns entwickeln. Das Robotaxi-Projekt galt über Jahre als führendes Beispiel für eine voranschreitende Kommerzialisierung der Technologie – nach einem schweren Unfall, bei dem eine Fußgängerin zu Tode kam, verlor Cruise aber ihre kalifornische Lizenz und zog sich aus anderen lokalen Märkten zurück. GM-Konkurrentin Ford stampfte ihr Autonomie-Projekt Argo, an dem auch Volkswagen beteiligt war, bereits im Oktober 2022 ein und nahm dafür eine Milliardenabschreibung in Kauf.
Probleme von Tesla wecken Bedenken
Derweil gilt die Technologie des Google-Schwesterunternehmens Waymo im Markt bislang als am fortschrittlichsten, Tesla will ihr im Oktober vorgestelltes Cybercab ab 2027 vom Band rollen lassen. Allerdings mahnen Analysten mit Blick auf vergangene Produktankündigungen von CEO Elon Musk, nach denen es wie beim SUV Cybertruck zu erheblichen Verzögerungen bis zum Marktstart kam, zur Vorsicht. Zudem muss sich Tesla nach Unfällen mit Todesfolge mit mehreren Untersuchungen von Regulierungsbehörden zu ihren bisher eingesetzten, als „Autopilot“ und „Full Self-Driving“ betitelten Fahrassistenzsystemen auseinandersetzen und war infolge von Sicherheitsbedenken bereits Ende 2023 gezwungen, mehr als 2 Millionen Fahrzeuge zurückzurufen. Im Mai des gleichen Jahres wurden Inhalte aus mutmaßlich internen Tesla-Dokumenten öffentlich, die Tausende Kundenbeschwerden zu den Assistenzsystemen beinhalten sollen.

Nvidia beschränkt seine Robotik-Pläne indes nicht auf das autonome Fahren. Mit Isaac Groot N1 hat das Chipunternehmen auf der GTC ein Basis-Computermodell vorgestellt, auf dem Designer in einer Open-Source-Umgebung die Entwicklung humanoider Roboter vorantreiben sollen. Die Plattform Cosmos soll dazu beitragen, Anwendungen des autonomen Fahrens und der Robotik zu trainieren und ihren Fortschritt zu beschleunigen – ähnlich wie der bereits auf der CES vorgestellte Physik-Engine Newton, den Nvidia gemeinsam mit der Google-Sparte Deepmind und Disney entwickelt hat. Die Bedeutung dessen unterstrich Huang bei seinem gemeinsamen Auftritt mit dem BDX Droid des Entertainment-Riesen.
Aktie unter Druck
Doch während die Wall Street Nvidia seit dem Beginn des KI-Booms, den die Tech-Schmiede OpenAI und ihr Textgenerator ChatGPT im Herbst 2022 lostraten, als unfehlbar visionäres Unternehmen abfeierte und die Marktkapitalisierung des Chipdesigners zwischenzeitlich auf über 3,5 Bill. Dollar anschob, macht sich nun zunehmend Skepsis breit. Zwischen Jahresbeginn und dem Freitagvormittag in New York verlor die Aktie der Kalifornier über 18% an Wert. Kritiker sehen die jüngsten Robotik-Ankündigungen daher als Bemühung, die Aufmerksamkeit der Investoren von ersten Rissen in der KI-Erfolgsstory abzulenken – und warnen zugleich davor, dass sich Nvidia damit auf einem Nebenkriegsschauplatz verzettelt.
Denn das chinesische Startup DeepSeek hat zuletzt erhebliche Zweifel daran geweckt, dass die Investitionen von Technologie-Riesen in zunehmend leistungsfähigere Halbleiter überhaupt in diesem Maß notwendig sind – und damit die Haupterlösquelle von Nvidia infrage gestellt. Das Unternehmen aus dem Reich der Mitte hatte seinen GPT-4-Rivalen „R1“ erst zu Jahresbeginn lanciert, seine Performance kann aber bereits mit jener führender US-Modelle mithalten – und das, obwohl den Chinesen weniger fortschrittliche Chips zur Verfügung stehen und sie wohl einen Bruchteil der Mittel investiert haben, die US-Konkurrenten in ihre Anwendungen gesteckt haben.
Explodierende Aufwendungen unter der Lupe
Allein Alphabet, Microsoft und Meta Platforms haben im Rahmen ihrer jüngsten Zahlenvorlagen für das aktuelle Geschäftsjahr Investitionsausgaben von mindestens 215 Mrd. Dollar in Aussicht gestellt. Gegenüber 2024 würde dies einen Anstieg um 45% bedeuten. Amazon hat zwar keine präzise Prognose vorgelegt, aber zuletzt angedeutet, dass die Kapitalaufwendungen über alle Geschäftsbereiche 2025 bei über 100 Mrd. Dollar liegen könnten. Die Konzerne betonten zuletzt allesamt die Stärke ihrer Partnerschaft mit Nvidia. Doch fürchten Anleger zunehmend, dass die Tech-Riesen im Zuge eines zu einseitigen KI-Fokus andere Geschäftszweige vernachlässigen.

Derweil steigern die zunehmend komplexen Anwendungsformen der Technologie auch die Anforderungen an Nvidia. Auf deren Halbleiter-Plattform Blackwell basierende Chips weisen 2,6-mal so viele Transistoren auf wie ihre Vorgängermodelle und bieten damit eine deutlich höhere Performance. Allerdings sind sie deshalb auch komplizierter aufgebaut.
Die Zusammensetzung des Gemischs aus Silikon, Metall und Plastik muss vollkommen reibungslos ablaufen, der Defekt eines Teils kann den ganzen 40.000-Dollar-Chip unbrauchbar machen und die viel beachtete Produktionsrendite schwer belasten
Nvidia rechnet in der Folge damit, dass die Bruttomarge im laufenden Jahr weiter zurückgeht, mit 73% liegt sie bereits drei Prozentpunkte unter dem Vorjahreswert. Ab der zweiten Hälfte 2026 sollen dann die noch leistungsfähigeren Chips der neuen Rubin-Generation an den Markt kommen und weiter gestiegene Erwartungen erfüllen.
Neue Ansprüche
Denn Technologieriesen und Startups wie OpenAI müssen ihre großen Sprachmodelle nicht nur trainieren. Vielmehr kommt es für sie darauf an, diese auch zu betreiben. Damit ist Inferenz am Chipmarkt in aller Munde. Dabei handelt es sich um die Fähigkeit von KI-Modellen, aus den im Zuge des maschinellen Lernens eingespeisten Daten Muster zu erkennen und somit auch aus unbekannten Informationen Schlüsse zu ziehen.
Nvidia hat mit Blackwell zwar durchaus große Performance-Fortschritte mit Blick auf Inferenz erzielt und liegt hinsichtlich der Kapitalausstattung weit vor der Konkurrenz, doch zeichnet sich im Markt für Inferenz-Chips ein weit härterer Wettbewerb ab als bei Trainingsprozessoren, bei denen das Unternehmen enteilt ist. Anbieter wie Advanced Micro Devices und spezialisierte Startups wie Cerebras, die zuletzt eher wieder tiefer gestapelt hat, richten sich mit ihren Produkten von vornherein stärker auf Inferenz aus.
Nvidia hat hingegen den Anspruch, beide Seiten des KI-Geschäfts zu bedienen, und ist durch ihre Herkunft aus dem Grafikkarten-Geschäft laut Analysten dabei fundamental limitiert. Während der Börsenliebling der vergangenen Jahre in eine neue Robotik-Ära aufbricht, muss er sich also vor zahlreichen Stolperfallen hüten.