Parlamentswahlen

Italien steht vor einer Zeitenwende

Die Parlamentswahlen in Italien am Sonntag bringen eine Zeitenwende. An einem klaren Wahlsieg der Rechtskoalition gibt es keinen Zweifel.

Italien steht vor einer Zeitenwende

Die Parlamentswahlen am Sonntag sind eine Zeitenwende für Italien. Denn das Land wird danach wohl von einer sehr weit rechts stehenden Koalition mit sehr großer Mehrheit regiert. An der Spitze der Regierung, die diesmal lange halten könnte, dürfte mit Giorgia Meloni eine Frau stehen, deren Partei Fratelli d’Italia direkt aus dem neofaschistischen Movimento Sociale Italiano hervorgegangen ist.

Das notorisch instabile Italien, das seit dem Zweiten Weltkrieg 67 Regierungen und 31 Regierungschefs verschlissen hat, bekäme erstmals eine Frau als Premierministerin. Sie steht vor gigantischen Herausforderungen. Wegen des Ukraine-Kriegs, der hohen Inflation und vor allem wegen der stark steigenden Energiepreise könnte Italien bald in die Rezession rutschen. Die Zinsen steigen, was die Refinanzierungskosten des mit 150 % des Bruttoinlandsprodukts verschuldeten Landes deutlich erhöht.

Der seit Februar 2021 regierende Mario Draghi hat die Corona-Pandemie in den Griff bekommen. Vor allem aber hat er Italien mehr als 190 Mrd. Euro aus dem europäischen Wiederaufbauprogramm gesichert. Im Gegenzug verpflichtete er sich zu einem beispiellosen Reformprogramm und kurbelte das Wachstum an. Er hat dem Land international zu neuem Ansehen verholfen. Doch der schöne Schein trügt. Die Reformen waren eine ständige Suche nach Kompromissen und sind weit hinter den Erwartungen zurückgeblieben. Vieles wurde beschlossen, aber nicht umgesetzt. Anderes, wie die Reform des Katasterrechts, eine Steuerreform oder die Reform des Wettbewerbsrechts, blieb liegen, wurde verwässert oder verschoben. Draghi traute sich nicht, die Frühverrentungen zu beenden, und Bonuszahlungen wurden mit der Gießkanne verteilt. Wieder anderes scheiterte an fehlenden Planungs- und Personalkapazitäten in der schwerfälligen Verwaltung.

Die Populistin Meloni ist nicht die Person, die notwendige Strukturreformen umsetzt. Sie wird einem Regierungsbündnis vorstehen, das mindestens so zerstritten ist wie die politische Linke. Die Vorschläge der künftigen Regierungspartner sind ein Cocktail sich teilweise widersprechender kruder Ideen, der neben großzügigen Vorruhestandsregelungen eine Flat Tax von 15%, eine Steueramnestie, eine Mindestrente von 1000 Euro und einen schuldenfinanzierten Nachtragshaushalt enthält. Fast alles davon wird an der Realität scheitern. Italien hat nicht die Mittel, die Maßnahmen, deren Kosten Experten auf bis zu 70 Mrd. Euro schätzen, umzusetzen. Meloni selbst ist relativ zurückhaltend. Sie will nichts Unüberlegtes tun, denn sie weiß, dass die Finanzmärkte und die europäischen Partner mit Argusaugen nach Rom blicken. Der Spread zwischen deutschen und italienischen Staatsanleihen ist mit 230 Basispunkten schon recht hoch, könnte aber weiter steigen. Die Ratingagenturen starten bald mit ihren Herbstbewertungen des Landes. Und Hedgefonds wetten bereits gegen Italien.

Doch bei aller Vorsicht: Meloni muss auch liefern, was sie ihren Anhängern verspricht, ob in der Migrations- und Außenpolitik oder bei Maßnahmen zugunsten der Familien. Und sie muss ihre Koalitionspartner miteinbeziehen, die etwa im Hinblick auf den Ukraine-Krieg sehr ambivalente Positionen einnehmen. Melonis Unterstützung für Ungarns Regierungschef Viktor Orbán, Polen und die rechtsextreme spanische Partei Vox ist höchst besorgniserregend. Erhält sie eine Zweidrittelmehrheit, peilt sie ein Präsidialregime mit einem starken Präsidenten an. Ihre europapolitischen Vorstellungen stehen in diametralem Gegensatz zur Politik der EU: Sie strebt eine Konföderation von Staaten mit dem Vorrang nationalen Rechts an und vertritt stark protektionistische Positionen.

Ihr Motto „Zuerst die Italiener“ erinnert fatal an Donald Trump. Doch Meloni braucht Europa. Die europäischen Mittel nimmt sie gern – das ist ein weiterer ihrer Widersprüche. Die Europäische Union war seit jeher großzügig mit Rom – ob bei der Aufnahme in die Eurozone, bei den Schulden oder bei den Hilfen. Gedankt wurde Brüssel das nie: Auch in der Negativzinsphase stiegen die Schulden.

Die Wahl Melonis wäre ein weiterer Rückschlag für den ohnehin schwindenden Zusammenhalt Europas. Das Gewicht Italiens ist so groß, dass das Land die EU in den Abgrund reißen könnte. Brüssel sollte den Dialog mit der demokratisch gewählten neuen Regierung suchen, aber auch deutlich machen, dass es Regeln gibt, an die man sich halten muss. Hilfen ohne Gegenleistungen und klare Verpflichtungen darf es nicht mehr geben.

BZ+
Jetzt weiterlesen mit BZ+
4 Wochen für nur 1 € testen
Zugang zu allen Premium-Artikeln
Flexible Laufzeit, monatlich kündbar.