Kein schöner Land
Nachdem sich die Kanzler(in)kandidaten in der Disziplin Langeweile gegenseitig zu übertrumpfen drohen, versuchen wenigstens die PR-Strategen ihrer Parteien, ein wenig Farbe in den müden Wahlkampf zu bringen. Das scheint zu gelingen, denn sowohl der jüngste Videoclip der Grünen „Ein schöner Land“ aus der zurückliegenden Woche als auch davor der CDU-Wahlfilm mit Armin Laschet beim Gang durch das Berliner Holocaust-Denkmal und der SPD-Spot mit der Matroschka-Puppe Laschet und seinen angeblichen Hintermännern haben in den sozialen Netzen deutlich mehr Emotionen und Diskussionen ausgelöst als die politische Agenda der Kandidaten.
Romantisierende Grüne
Der Vorwurf, Laschets Video instrumentalisiere das Holocaust-Mahnmal für dessen Wahlkampf, forderte gar den Zentralrat der Juden zu einer Stellungnahme heraus, und die in dem SPD-Video zitierte Äußerung des Laschet-Vertrauten Nathanael Liminski in einer Talkshow von 2007 zum vorehelichen Geschlechtsverkehr rief immerhin die Deutsche Bischofskonferenz auf den Plan. Hat Deutschland keine anderen Probleme? Nur der Deutsche Chorverband hat sich noch nicht zur gesanglichen und textlichen Verhunzung des deutschen Liedguts durch die Grünen geäußert. Dabei hätte er allen Grund dazu, denn die Töne werden selten getroffen, das Versmaß nur mit Mühe eingehalten und der eingeblendete Text enthält gar einen Rechtschreibfehler. Aber egal, Hauptsache gendergerecht in Bild und Ton. Und den Heimatschriftsteller und Erzieher Anton Wilhelm Florentin von Zuccalmaglio alias Wilhelm von Waldbrühl, der „Kein schöner Land“ als „Abendlied“ mit seiner Volksliedersammlung von 1840 bekannt machte, würde die erneute Umdichtung vielleicht freuen, denn der romantische Kern bleibt bei den Grünen erhalten.
Klimaschutz das Hauptthema
Doch welches Deutschland ist es, das die Grünen in dem Wahlwerbevideo wie ein Sehnsuchtsland beschreiben? Da ist von Aufbruch und Bewahren, von Klimaschutz und Natur, von Investitionen und Anschluss an Straße, Bus, Bahn und W-LAN die Rede. Für die Zukunft steht ein Idyll Pate, das irgendwie an die blühenden Landschaften des Helmut Kohl erinnert. Keine Rede ist davon, wie man den dafür nötigen technologischen Wandel vorantreiben und die gewaltigen Investitionen auf dem Weg zum klimaneutralen Deutschland finanzieren will. Kein Hinweis, wessen Schultern diese Lasten tragen können und sollen. Das mag an den unterschiedlichen Welten und Erfahrungen des grünen Spitzenduos liegen, bei Co-Parteichef Robert Habeck bekanntermaßen Hühner, Schweine und Kühemelken und bei Annalena Baerbock das Völkerrecht. Da aber der Klimaschutz nicht nur das wichtigste Thema dieses Wahlkampfes, sondern nach Auffassung der Mehrheit der Deutschen auch der Politik der nächsten Jahre sein wird – noch vor der Pandemiebekämpfung –, sollte man von jener Partei, die Klimaschutz seit Jahren als ihre Kernkompetenz beansprucht, etwas mehr erwarten dürfen als romantisch-verklärte Stimmungsmache.
Denn die Jahrhundertaufgabe Klimaschutz wird, wenn man es ernst meint mit den vereinbarten CO2-Zielen, allein die Deutschen Hunderte Milliarden Euro kosten. Die Bürger auf diese Belastungen vorzubereiten und zu erklären, wie man sie bewältigen kann, ist Aufgabe von Politik. Zu verdeutlichen, dass eine solche Herausforderung besser geschultert werden kann, wenn ein Land über eine international wettbewerbsfähige Industrie verfügt und damit Wirtschaftswachstum erzielt. Dass zu den Rahmenbedingungen für einen wettbewerbsfähigen Standort zwingend Offenheit gegenüber neuen Technologien und Arbeitsformen und Bürokratieabbau zählen. Denn nur dann werden Gewinne und Steuereinnahmen für die Zukunftsinvestitionen wie Klimaschutz, Digitalisierung und Bildung zur Verfügung stehen. Umverteilung finanziert keine Erneuerung der Infrastruktur oder energetische Sanierung. Linke-Tasche-rechte-Tasche-Politik macht am Ende kein Land reicher.
Nicht allein auf der Welt
Dass es für Fortschritte beim Klimaschutz vor allem auf die Wirtschaft ankommt, ist nach einer neuen Allensbach-Umfrage die Überzeugung von immerhin 90% der Deutschen. Hierbei nicht auf Verbote und Regulierung, sondern auf Anreize zur Nachhaltigkeit zu setzen, befürworten mit 60% der Befragten eine deutliche Mehrheit. Insofern hätte eine neue Bundesregierung große Rückendeckung in der Bevölkerung mit einer marktwirtschaftlich basierten Klimapolitik. Allerdings ist auch noch Überzeugungsarbeit zu leisten: Mit 55% ebenfalls mehr als die Hälfte der Befragten ist der Meinung, dass es durch den Klimaschutz keine höheren finanziellen Belastungen geben dürfe.
Am Ende wird der Erfolg im Klimaschutz vor allem davon abhängen, ob es gelingt, für dieses Ziel international Verbündete zu finden und Allianzen zu schmieden. Deutschland und Europa allein können wenig bewirken. Welcher der drei Kanzler(in)kandidaten hätte den Willen und das Format, international eine Führungsrolle einzunehmen und treibende Kraft zu werden? Selbst die „Klimakanzlerin“ Angela Merkel ist dabei an ihre Grenzen gestoßen.
In Europa gibt es nicht einmal Einigkeit über Höhe und Art und Weise der CO2-Bepreisung und über eine Wasserstoffstrategie, geschweige denn über die Rolle der Kernenergie beim Klimaschutz. Und ohne eine verbindliche Zusammenarbeit der großen Industrieländer und Luftverschmutzer in einer Art Klima-Club, zu dem neben der EU auch die USA, China, Russland und Indien gehören müssten, wird es keinen Fortschritt bei der Begrenzung der Erderwärmung geben. Wer den Eindruck erweckt, Klimapolitik sei insbesondere die Subventionierung von Lastenfahrrädern, führt die Bürger in die Irre und ist besser in der Wandervogelbewegung beim Singen von deutschen Volksliedern aufgehoben als in der Politik.
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