KommentarArbeitsmarkt

Kurzlebiger Jobrekord

Statt den aktuellen Erwerbstätigenrekord in Deutschland zu feiern, sollten wir uns darüber sorgen, dass immer weniger Menschen in die Selbständigkeit wechseln. Ein Misstrauensvotum der Gesellschaft an die politischen Akteure in Berlin.

Kurzlebiger Jobrekord

Arbeitsmarkt

Kurzlebiger Jobrekord

Von Stephan Lorz

Die Dauerrezession wird am Arbeitsmarkt bald durchschlagen. Jetzt rächt sich bloße Symptombekämpfung und mangelnde Konstanz in der Politik

Es klingt zunächst widersprüchlich: Erneut wurde am deutschen Arbeitsmarkt ein Rekordhoch bei der Erwerbstätigkeit erreicht: Im Schnitt waren 2024 rund 46,1 Millionen Personen hierzulande erwerbstätig. So viele wie noch nie seit der Wiedervereinigung. Dabei kämpft die Wirtschaft zugleich mit einer hartnäckigen Rezession. Neben mannigfachen strukturellen Problemen wie hohe Energiepreise, steigende Steuerbelastung und ausufernde Lohnnebenkosten treten jetzt auch langjährige Versäumnisse bei Investitionen und Klimatransformation zutage. Die Entlassungswelle in der Industrie ist bereits in vollem Gange, nur die Dienstleister halten noch dagegen. Zudem zögern viele Unternehmen personelle Anpassungen aktuell hinaus, weil sie sich schwertun, Fachpersonal zu finden. Die demografische Entwicklung dürfte es ihnen bald noch schwerer machen.

Dass der Arbeitsmarkt schon ins Rutschen kommt, zeigt der Jobindikator der Arbeitsagenturen. Danach wird die Arbeitslosigkeit in den nächsten Monaten deutlich zunehmen. Schon beginnt die Politik mit Vorschlägen zur Linderung: In den Wahlprogrammen werden Steuersenkungen versprochen, Verringerung der Energiekosten, Erleichterungen bei Investitionen. SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil fordert als Akutmaßnahme eine „sofortige Deckelung“ der Netzentgelte. Schon irrwitzig, dieser neue politische Aktivismus. Zumal die Akteure zuvor ja noch bewusst in Kauf genommen hatten, dass die Energiekosten sowie die Steuer- und Abgabenbelastung zulegen. Das eine wurde mit der Klimaerwärmung begründet, das andere mit sozialstaatlichen Notwendigkeiten. Warnungen ob der Folgewirkungen wurden abserviert.

Nun geht es in die andere Richtung, um dem Wahlvolk zu signalisieren: Wir haben verstanden! Doch das ist unglaubwürdig, weil nur an Symptomen kuriert wird und nichts zueinander passt. Für mehr Investitionen und Konsum fehlt es weiterhin an der nötigen Konstanz der Wirtschaftspolitik, einer in sich stimmigen Wachstumspolitik und am Vertrauen in die ökonomische Kompetenz der Berliner Akteure. Dass Unternehmen und viele Menschen inzwischen den Glauben an den Standort verlieren, zeigen nicht nur die schleichenden Produktionsverlagerungen, sondern auch die Tatsache, dass immer weniger Menschen in die Selbständigkeit wechseln. Ein Misstrauensvotum gegen die Politik.

BZ+
Jetzt weiterlesen mit BZ+
4 Wochen für nur 1 € testen
Zugang zu allen Premium-Artikeln
Flexible Laufzeit, monatlich kündbar.