Notiert in Berlin

Märchenstunde zum Bundeshaushalt

Der Bundeshaushalt 2025 wackelt wieder, nachdem Gutachter ein Veto gegen Kunstgriffe im Etat eingelegt haben. Nun will keiner Schuld daran sein.

Märchenstunde zum Bundeshaushalt

Notiert in Berlin

Märchenstunde zum Bundeshaushalt

Von Angela Wefers

Kaum hat sich das vermeintlich geschlossene Milliardenloch im Bundeshaushalt wieder geöffnet, beginnt die Stunde der Märchenerzähler. Modern ausgedrückt geht es um Narrative: Mit der Geschichte will der Erzähler die Deutungshoheit erlangen. Am Tag nach dem Gutachter-Veto zu Buchungstricks im Bundeshaushalt 2025 sind die Märchenerzähler mit unterschiedlichen Versionen unterwegs.

Saskia Esken beschwert sich

SPD-Co-Vorsitzende Saskia Esken beschwerte sich darüber, dass Finanzminister Christian Lindner (FDP) ausgerechnet am Tag des großen Gefangenenaustauschs mit Russland die Debatte über den Bundeshaushalt wieder geöffnet habe. Sie nannte es „rücksichtslos“. Für sie überschreitet es die „Grenze des Erträglichen in einer Koalition“. Übersetzt heißt das: Lindner hat dem Kanzler die Show beim Gefangenenaustausch vermasselt. Der FDP-Chef ist selbst ein Meister der Kommunikation und sicher nicht unverdächtig für eine solche Taktik, so weit dürfte er aber nicht gegangen sein. Schließlich war auch die FDP mit Justizminister Marco Buschmann beteiligt und bestimmt nicht ohne Lindner.

Das Loch von 17 Mrd. Euro im Etat, verbucht als globale Minderausgabe, muss halbiert werden. Verhindern will Lindner um jeden Preis, dass er politisch für die Umgehung der Schuldenbremse haftet. Die Gutachter werten die Umwidmung von Zuschüssen in Darlehen an Deutsche Bahn und Autobahngesellschaft als verfassungsrechtlich ebenso kritisch wie die Verwendung restlicher Notlagengelder aus der Gaspreisbremse, die noch bei der KfW liegen. Das ablehnende Votum der Gutachter kam Lindner zupass. Schnell hat er andere Kürzungsmöglichkeiten im Sozialen eingefordert. Er tat es wohl wissend, dass dies SPD und Grüne auf die Palme bringt.

Eigene Wahrheiten

Esken und SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich stricken in ihrer Enttäuschung an eigenen Wahrheiten: Sie ziehen das Gutachtervotum in Zweifel, also des unabhängigen Wissenschaftlichen Beirats beim Bundesfinanzministerium und des Verfassungsrechtlers Johannes Hellermann. Die geplanten Kunstgriffe hatte Kanzleramtschef Wolfgang Schmidt (SPD) erdacht, der sich in der Coronakrise mit der Unterscheidung von Umsatz und Gewinn schwertat. Hier werden zurechtgelegte Wahrheiten gegen Expertise ausgespielt.

SPD und Grüne im Bundestag belächeln den Finanzminister, weil er den Kanzler als Rückendeckung braucht. Die Kritik fällt aber auf sie selbst zurück. Es war ihr eigener Widerstand gegen einen verfassungskonformen Bundeshaushalt innerhalb der Schuldenbremse, der Lindner nach einem starken Verbündeten Ausschau halten ließ. Den Kanzler kann zumindest die SPD weniger gut demontieren. Und Scholz muss die Ampel zusammenhalten. Aber die Kräfteverteilung in der Ampelspitze legt in der Tat die mangelnde Durchsetzungsfähigkeit Lindners gegen Buchungstricks in seinem Haushalt offen. Einen Goldesel gibt es eben nur im Märchen.

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