Mit Rückendeckung der EZB in Richtung Klimaneutralität
Die hohen Preise für Strom und Gas treffen Verbraucherinnen und Verbraucher direkt: Vielen ist ein Brief vom Energieversorger mit der Ankündigung höherer Preise in den Briefkasten gesegelt. Der deutliche Preisanstieg hat mehrere Ursachen, darunter der sprunghafte Nachfrageanstieg im Rahmen der wirtschaftlichen Erholung, Schwierigkeiten bei den Lieferketten und geopolitische Spannungen.
Bei diesen Faktoren kann es zu schnellen Veränderungen kommen. Aber auch der gestiegene CO2-Preis schlägt auf die Inflation durch. Wenn die Politik die deutschen und europäischen Klimaziele ehrgeizig weiterverfolgt, dann muss der CO2-Preis, das zentrale Steuerungselement der Klimapolitik, auch mittel- bis langfristig weiter steigen. Die Frage, wie sich der Klimawandel und der Klimaschutz auf die Inflation und die mittelfristige Preisniveaustabilität auswirkt, wird vor diesem Hintergrund zu einer der zentralen Fragen für die kommenden Jahre. Auf die damit einhergehenden Risiken müssen sich alle Marktteilnehmer einstellen, allen voran die EZB.
In ihrer jüngsten Strategieüberprüfung, die im Sommer vergangenen Jahres ihren Abschluss fand, hat die EZB einen klimapolitischen Aktionsplan vorgelegt. Damit hat sie die Richtung vorgegeben, wie sie auf die Herausforderungen des Klimawandels reagieren will. Das vorgesehene Instrumentarium ist vielfältig und reicht von der Aufnahme von Klimarisiken in makroökonomische Modelle über Offenlegungspflichten und die Entwicklung neuer statistischer Datenerhebungen zum Klimawandel bis hin zur Berücksichtigung von Klimakriterien im Programm zum Ankauf von Wertpapieren des Unternehmenssektors.
Greenflation – ja oder nein?
Die Wahrung der Preisstabilität ist die oberste Priorität der EZB. Es gibt intensive Diskussionen darüber, wie sich die grüne Transformation der Wirtschaft auf die Inflation auswirken wird. Zwar ist es naheliegend, dass Klimapolitik mit einer steigenden CO-Bepreisung die Inflation, vor allem in einer Übergangszeit hin zu einer fossilfreien Wirtschaft, nach oben drückt. Ob es aber tatsächlich zu einer „grünen Inflation“ kommt, ist keinesfalls sicher, sondern hängt maßgeblich von der konkreten Umsetzung der Transformation ab.
Entscheidend ist, ob kurzfristig ausreichend CO2-arme Vermeidungsoptionen zur Verfügung stehen. Wir fangen gerade erst an zu verstehen, wie unser derzeitiger klimapolitischer Maßnahmenmix abseits der Lehrbuchrealität auf die Inflation wirkt. Vor diesem Hintergrund ist es nur folgerichtig, dass die EZB sich aktiv damit auseinandersetzt, wie sie ihre geldpolitischen Instrumente an die neuen Herausforderungen anpassen muss. Auch wenn sich aus dem Klimawandel nicht notwendigerweise eine geldpolitische Handlungsnotwendigkeit ergibt, sind Szenarien denkbar, in denen das der Fall ist: Etwa wenn es im Rahmen der Transformation durch eine kräftige Belebung der privatwirtschaftlichen Investitionstätigkeit zu einer gesamtwirtschaftlichen Überhitzung käme.
Kein Zielkonflikt für die EZB
Die EZB muss deshalb die gesamtwirtschaftlichen Auswirkungen des Klimawandels und der Klimapolitik genau beobachten und umfassend verstehen. Gleichzeitig darf sie aber nicht riskieren, durch die Ausrichtung ihrer geldpolitischen Strategie auf Klimaaspekte überhaupt erst in einen Zielkonflikt mit ihrem Primärziel zu geraten. So könnte die Ausrichtung der Wertpapierkäufe auf Klimakriterien in einer Vielzahl von Situationen im Widerspruch zu grundsätzlichen geldpolitischen Zielsetzungen stehen: Denn wenn es zur Gewährleistung der Preisniveaustabilität erforderlich ist, muss die EZB ihre Anleihekäufe verringern oder die Ankaufprogramme beenden – die Notwendigkeit zur grünen Transformation besteht hingegen fort.
Die EZB hat indes andere mächtige Werkzeuge, die es ihr erlauben, eine wichtige unterstützende Rolle bei der Transformation zur Klimaneutralität einzunehmen. Sie kann sich weiterhin mit ihrer gewichtigen Stimme für eine ausreichend ambitionierte Klimapolitik einsetzen. Durch ihr an die neuen Herausforderungen angepasstes analytisches Instrumentarium kann sie zu einem umfassenden Verständnis beitragen, welche Auswirkungen Klimawandel und Klimapolitik für Finanzmärkte und die Geldpolitik haben. Darüber hinaus ist die EZB zwar primär, aber nicht nur der Preisstabilität verpflichtet. Als Aufsichtsbehörde und Hüterin über die Finanzstabilität muss sie auch sicherstellen, dass klimabezogene Risiken hinreichend in das Risikomanagement von Banken einfließen. Durch klimabezogene Offenlegungspflichten kann die EZB zu mehr Transparenz auf den Finanzmärkten beitragen. Je schneller diese Transparenz entsteht, desto geringer wird das Risiko abrupter Politikmaßnahmen zu einem späteren Zeitpunkt, die die Preisstabilität gefährden könnten. Die empirische Evidenz zeigt, dass die Offenlegung von CO2-Emissionen durch Unternehmen die Unsicherheit von Anlegern verringert, was sich in Form niedrigerer Kapitalkosten auszahlt. Transparenz ist wiederum ein entscheidender Faktor, damit die Finanzmärkte Kapital in klimafreundliche Anlagen lenken.
Politik bleibt gefragt
Der Klimawandel ist die wohl größte Herausforderung unserer Zeit. Die damit verbundenen Risiken betreffen uns alle und müssen daher im Rahmen ökonomischen Handelns aller Akteure Berücksichtigung finden – auch in dem von Zentralbanken. Die Frage ist also weniger ob, sondern vielmehr wie die EZB auf den Klimawandel reagiert. Hauptsächlich bleibt jedoch die Politik gefragt, denn die Instrumente der Zentralbanken können die klimapolitischen Instrumente von Regierungen, die hier den größeren Hebel haben, nur unterstützen.
Fritzi Köhler-Geib ist Chefvolkswirtin der Förderbank KfW.
In dieser Rubrik veröffentlichen wir Kommentare von führenden Vertretern aus der Wirtschafts- und Finanzwelt, aus Politik und Wissenschaft.