Unterm Strich

Morgen­dämmerung einer neuen Block­bildung

Westliche Konzerne, allen voran VW und BASF, haben die Lektion des Ukraine-Überfalls noch nicht gelernt. Ihr Umgang mit China ist blauäugig.

Morgen­dämmerung einer neuen Block­bildung

Wir sollten Nancy Pelosi dankbar sein. Zumindest für einige Tage hat sie es geschafft, unseren auf die eigene Gasversorgung und den Kriegsherrn Putin fixierten Blick auf einen anderen Konflikt dieser Welt zu lenken, dessen Gefahrenpotenzial für Frieden und Welthandel den Ukraine-Krieg in den Schatten stellt. Das Timing des Besuchs der Vorsitzenden des US-Repräsentantenhauses in Taiwan mag aus diplomatischer Perspektive als unglücklich gelten, für Politiker und Unternehmen in Europa war es ein weiterer Weckruf, ihre Abhängigkeit von China zu hinterfragen. Denn die Leichtfertigkeit, mit der europäische und insbesondere deutsche Unternehmen immer noch über die grundlegend veränderte geopolitische Lage hinwegsehen und an ihrem China-Engagement nicht nur festhalten, sondern es weiter ausbauen, gibt Anlass zu Sorge.

Die Xi-Versteher

Eine der gängigen Rechtfertigungen lautet, Xi Jinping sei nicht so unberechenbar wie Wladimir Putin. Nach den Putin-Verstehern, die sich inzwischen ausdifferenziert haben in Putin-Handlanger wie Gerhard Schröder, Putin-Beschwichtiger wie Olaf Scholz und Putin-Hasser wie die Mehrzahl der Deutschen, gibt es die neue Gruppe der Xi-Versteher. Letztere glauben zu wissen, wie der sich immer diktatorischer aufführende chinesische KP-Chef tickt, welche Ziele er verfolgt und wie er reagiert. Nur weil es bisher immer gut gegangen ist, glauben sie, sich weiter irgendwie zwischen grundsätzlicher Akzeptanz des Ein-China-Anspruchs und Unterstützung der Eigenständigkeit Taiwans hindurchmogeln zu können. Diese Anhänger des „Weiter so“ sind oft schon so abhängig vom chinesischen Absatzmarkt oder von Zulieferungen aus dem Reich der Mitte, dass nur ein externer Schock Anlass und Rechtfertigung für einen Strategiewechsel böte.

Zur Xi-Versteher-Gruppe gehören viele Dax-Konzerne, allen voran BASF und Volkswagen. Für beide ist China seit Jahrzehnten eine Erfolgsgeschichte, beide haben große Produktionen vor Ort und beide wollen die Präsenz dort weiter ausbauen, ungeachtet der wachsenden politischen Vorbehalte und steigender Abhängigkeit. Bei VW ging das so weit, dass Herbert Diess, Vorstandschef mit Restlaufzeit bis 30. August, Kritik am Produktionsstandort in der chinesischen Uiguren-Provinz Xinjiang mit dem lapidaren Hinweis abtat, man könne nicht nur mit Demokratien arbeiten. Immerhin hat das Bundeswirtschaftsministerium – der China-kritische Grünen-Minister Robert Habeck lässt grüßen – jüngst Investitionsgarantien für Projekte in der Provinz Xinjiang abgelehnt und damit dem VW-Aufsichtsratsvize und IG-Metall-Chef Jörg Hofmann zusätzliche Munition geliefert für seine Forderung, der VW-Vorstand solle sich mit dem Standort, den Verbrechen an den Uiguren in der Region und den Auswirkungen auf den Ruf des Konzerns befassen. VW dürfe nicht nur darauf schauen, was im eigenen Vorgarten geschehe, sondern müsse auch darauf achten, in welcher Straße man wohne, so Hofmanns griffige Formulierung. Mit dieser Nachbarschaftsfrage darf sich demnächst Diess-Nachfolger Oliver Blume befassen. Vom Porsche-Chef, der vor zwanzig Jahren am Institut für Fahrzeugtechnik der renommierten Tongji-Universität in Schanghai promoviert wurde, wird mehr Fingerspitzengefühl im schwierigen Umgang mit China und dem Thema Menschenrechte erwartet.

Seine langjährige Verantwortung als Asienvorstand der BASF mit Sitz in Hongkong hat Martin Brudermüllers Sicht auf China geprägt. Als Chef des weltgrößten Chemiekonzerns setzt er weiterhin auf diesen am stärksten wachsenden Markt. Daran teilhaben will BASF mit dem neuen Verbundstandort Zhanjiang in der Provinz Guangdong, dem zweiten in China nach Nanjing. Der BASF-Vorstand hat jüngst hierfür grünes Licht gegeben und will bis 2030 rund 10 Mrd. Euro investieren. Keine kluge Entscheidung in Zeiten wie diesen! Unter Risikoaspekten wäre es besser, den neben Kuantan/Malaysia und Nanjing dritten Verbundstandort für den asiatisch-pazifischen Markt außerhalb Chinas anzusiedeln.

Kriegs- und Sanktionsrisiken

Bei Standortfragen geht es nicht mehr nur um ethische Standards international tätiger Konzerne oder um die Auflagen des Lieferkettengesetzes. Es geht vielmehr um die Frage, ob nicht im Fall einer Eskalation der geopolitischen Spannungen bis hin zum Krieg die Verpflichtung zu wirtschaftlichen Sanktionen ein Unternehmen schwer schädigen oder gar in die Pleite bzw. in staatliche Obhut treiben kann. Wie will beispielsweise BASF reagieren, wenn der Taiwan-Konflikt eines Tages militärisch eskaliert, die USA Sanktionen gegen China verhängen und ebensolches von der EU und den anderen westlichen Industrieländern erwarten? Wenn Sanktionsverweigerern Geschäfte mit und in den USA untersagt werden, wie einst im Fall Iran? Für die BASF wäre das die Wahl zwischen Pest und Cholera, denn auch in den USA hat der Chemiekonzern zwei Verbundstandorte.

Bis heute ist das China-Sentiment deutscher Unternehmen von guten Geschäften und erfolgreichen Direktinvestitionen geprägt. Vorstände extrapolieren die Ausnahmejahrzehnte der Globalisierung. Ein fataler Irrtum. Die Ambition Chinas unter Xi Jinping, wieder die führende imperiale Macht der Welt zu werden, ist nicht nur eine Herausforderung der USA als Nummer 1, sondern auch aller demokratischen Staaten.

China ist nicht allein. Die seit 2001 in der Shanghai Cooperation Organisation verbündeten Länder China und Russland mitsamt der ehemaligen Sowjetrepubliken Kasachstan, Kirgisistan, Tadschikistan und Usbekistan sowie Indien und Pakistan positionieren sich zunehmend als sicherheitspolitischer und wirtschaftlicher Gegenentwurf zu Nato und westlichen Freihandelszonen. Schon heute repräsentieren sie 40% der Weltbevölkerung, Weitere Länder wie Mongolei, Belarus und Afghanistan haben Beobachterstatus oder wollen Mitglied werden, wie Iran. Es ist die Morgendämmerung einer neuen Blockbildung. Westliche Konzerne sollten dies bei Investitionsentscheidungen bedenken.

c.doering@boersen-zeitung.de

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