Nachhaltigkeitsdaten werden zunehmend wertvoller
Von Wolf Brandes, Frankfurt
Daten hätten Öl als wertvollste Ressource der Welt abgelöst, hat der „Economist“ schon 2017 in Bezug auf die Datenkraken Google & Co. geschrieben. Vier Jahre später zeigt sich, dass auch ESG-Daten zunehmend wertvoller werden. Gleichwohl sind Datenqualität- und -beschaffung ein Problem. Aus Sicht der Finanzbranche ist es zum Beispiel oft schwierig, die richtigen Daten für nachhaltige Assets zu identifizieren. Abhilfe könnte eine europaweite Datenbank schaffen, erläutert der GDV in einem Positionspapier. Der Versicherungsverband fordert einen freien Zugang zu standardisierten und vergleichbaren „gebrauchsfertigen“ ESG-Daten. So sollten standardisierte ESG-Daten in einem offenen europäischen Datenregister veröffentlicht werden.
Es geht bei ESG-Daten aber nicht nur um Qualität, sondern zunehmend auch um die aus Sicht der Nutzer hohen Kosten. Als Anbieter weist Frieder Olfe von Imug Rating dies zurück und sagt, dass den Preisen entsprechende Leistungen gegenüberstehen: „Um beurteilen zu können, ob ein Preis für ESG-Daten und Ratings angemessen ist, muss man sich das Leistungspaket anschauen.“ Welche Vorteile ESG-Ratingagenturen als Spezialisten böten, werde beim Versuch, vergleichbare Daten über öffentliche Quellen zusammenzustellen, schnell gewahr.
Kornelia Fabisik von der Frankfurt School of Finance hält wenig von einer vermeintlichen Transparenz bei ESG-Ratings. „Obwohl Investoren mehr Transparenz sehen möchten, werden die Ratings weniger transparent, zum Beispiel durch die Einführung von proprietären Variablengewichtungsschemen und Modellen, welche maschinelles Lernen einsetzen.“ Kritisch sei auch zu werten, dass Anbieter ESG-Ratings zum Teil kostenlos online stellten, aber nicht die detaillierte Beschreibung der Gewichtungsmethoden.
Massive Konzentration
Wie bei Kreditratings wird auch bei ESG-Ratings eine Konsolidierung beklagt. Rudolf Siebel, Geschäftsführer beim Fondsverband BVI: „Bei den Datenanbietern sehen wir eine massive Marktkonzentration, auch im Bereich ESG-Daten. Immer häufiger werden Nischenanbieter von großen Konzernen übernommen. Das führt dazu, dass auch die Preise von ESG-Daten steigen.“ Daher drängt zum Beispiel auch der GDV bei ESG-Daten auf eine unabhängige Non-Profit-Organisation oder Regelung, „um eine Oligopol-Stellung der Ratingagenturen in diesem Bereich von vornherein auszuschließen“. Die Gefahr der Oligopole bei ESG-Daten sieht auch Fabisik. Bereits heute seien oligopolistische Merkmale erkennbar – zum Beispiel an Bedingungen, die den Kauf von ESG-Ratings an den Erwerb des Basisprodukts koppeln.
Die Deutsche Börse, die über den Kauf von ISS in die Sparte eingestiegen ist, stellt allerdings fest, dass es eine Vielzahl von Anbietern für ESG- und Nachhaltigkeitsdaten gebe. „Aktuell ist eine Konsolidierung zu beobachten. Es gibt unseres Erachtens jedoch keine Einheitslösung und folglich auch keine Einheitsdatenanbieter, die den differenzierten Nachhaltigkeitszielen von Indexanbietern gerecht werden“, so die Deutsche Börse.
Die Klagen über hohe Kosten und Oligopole im Markt der ESG-Daten haben die Regulatoren auf den Plan gerufen. Einen ersten Vorgeschmack gab eine Initiative der französischen und niederländischen Finanzmarktbehörden, AMF und AFM. Sie forderten vor einigen Monaten eine europäische Regulierung von ESG-Daten, Ratings und Dienstleistungen.
Der Einfluss von ESG-Faktoren auf die Anlageentscheidungen sei groß und werde noch zunehmen, so die beiden Behörden. Um den wachsenden Bedarf an nachhaltigkeitsbezogenen Analysen zu decken, sei die Qualität und Zuverlässigkeit entscheidend. AMF und AFM stellen fest, dass die Anbieter nachhaltigkeitsbezogener Dienstleistungen noch weitgehend unreguliert sind. Ein neuer Regulierungsrahmen würde es ermöglichen, Fehlallokationen von Investitionen oder Greenwashing zu vermeiden. Angesichts der Vielfalt der Nachhaltigkeitsratings sei eine größere Transparenz bei der Herkunft von Daten entscheidend.
In ihrem Schreiben stellen AMF und AFM ebenfalls fest, dass es in Europa zu einer stärkeren Konsolidierung des Marktes für nachhaltigkeitsbezogene Dienstleistungen und Daten gekommen sei. Dies könnte zu einer Abhängigkeit von Anbietern, zu höheren Preisen und zu Interessenkonflikten führen. Daher schlagen die beiden Aufsichtsbehörden vor, die ESMA mit der Beaufsichtigung von Marktteilnehmern zu betrauen. Eine Verordnung sollte unter anderem transparente Anforderungen an die Methoden sowie an die Ermittlung und Handhabung von Interessenkonflikten bewirken.
Die AFM weist darauf hin, dass laut der erneuerten EU-Strategie für nachhaltige Finanzen Maßnahmen zu ergreifen seien, um die Zuverlässigkeit und Vergleichbarkeit von ESG-Ratings zu verbessern. Zu Recht erwartet die AFM jetzt, dass die Kommission Ende dieses Jahres oder Anfang nächsten Jahres ein Konsultationspapier zu möglichen Maßnahmen für ESG-Ratings vorlegen wird. Doch auch dann scheint der Weg zu vergleichbaren, transparenten und kostengünstigen ESG-Daten noch weit. Ohne Daten wird ein nachhaltiger Umbau der Finanzbranchen aber kaum gelingen.