Nato-Gipfel irritiert die Washingtoner
Notiert in Washington
Nato-Gipfel irritiert die Washingtoner
Von Peter De Thier
Tagungen des IWF und der Weltbank, internationale Konferenzen und Staatsdiners zu Ehren eines ausländischen Staatsoberhaupts, alle gehören sie in Washington fast schon zur Tagesordnung. Ganz andere Dimensionen nehmen aber diese Woche der Nato-Gipfel und die Feierlichkeiten zum 75. Jahrestag des nordatlantischen Verteidigungsbündnisses an. Regierungschefs und Außenminister aus fast 70 Ländern, knapp 1.000 akkreditierte Medienvertreter und insgesamt an die 13.000 Besucher haben den täglichen Betrieb in der US-Hauptstadt zum Stillstand gebracht.
Einheimische und Geschäftsinhaber beschweren sich über die exorbitanten Sicherheitsvorkehrungen, Straßensperrungen und zahlreichen Ausfälle im öffentlichen Nahverkehr. Angereiste Politiker und Diplomaten klagen hingegen über das brutale, aber typische Sommerwetter, das in dem subtropischen Klima der „nation’s capital“ im Juli nicht anders zu erwarten ist.
„Bundesdorf“ Washington
Um zu verstehen, warum Washington von dem Mega-Spektakel überfordert ist, genügt ein Vergleich zu meiner Geburtsstadt Bonn. Ich erinnere mich, wie mein Vater, der vor unserem Umzug in die USA Korrespondent im Hauptstadtbüro von dpa war, vom „Bundesdorf Bonn“ sprach. Washington ist gar nicht so anders. Keine Metropole, wie man sich die Hauptstadt einer Weltmacht vorstellt.
Mit weniger als 700.000 Einwohnern ist der District of Columbia (D.C.) in Relation zu Moskau oder Peking im Grunde auch ein „Dorf“. Die Bewohner sind einerseits stolz auf ihre Museen, die durchaus abwechslungsreiche Architektur und die Tatsache, dass ihre Heimatstadt ein Ballungszentrum der Macht ist. „Doch die Politiker können den Bogen auch manchmal überspannen“, sagt die Rentnerin Maggie Shelton, die seit über 40 Jahren hier zu Hause ist. „Was die uns mit diesem Gipfel zumuten, das geht einfach zu weit“.
Wirtschaftliche Folgen
So ist seit Sonntag um Mitternacht der öffentliche Verkehr praktisch zum Stillstand gekommen. Die Innenstadt rund um das Konferenzzentrum Walter E. Washington ist für Normalsterbliche unzugänglich und von der Außenwelt komplett abgeschnitten. Polizei ohne Ende, Scharfschützen des FBI und des Militärs auf Dächern von Hochhäusern. Parkverbote, Barrikaden, Stacheldrahtzäune und weiträumige Absperrungen prägen das Stadtbild. „Ich kann nicht einmal von einer Straßenecke zur nächsten spazieren“, klagt Anthony Quilden, der einen Friseurladen wenige Blocks von dem Konferenzzentrum besitzt.
Geschäfte, Restaurants und Fitnessstudios mussten schließen, weil Kunden und selbst viele der Gäste aus Übersee sie nicht erreichen können. Lediglich Ray Plowden, der als Verkäufer bei dem Herrenausstatter „Gentleman’s Closet“ arbeitet, versteht nicht, warum sein Chef eine große Gelegenheit auslässt. „Gerade die Europäer werden in dieser schwülen Hitze extrem schwitzen und extra Hemden brauchen, da könnten wir doch einen tollen Umsatz machen.“