Neue Runde im Dauerstreit um Kreditratings
Von Wolf Brandes, Frankfurt
Seit Jahren herrscht in der Finanzbranche Unmut über die Dominanz der US-Anbieter S&P Global und Moody’s auf dem Markt für Kreditratings. Die Kritik dreht sich dabei vielfach um die Preise und das Wettbewerbsverhalten. „Die überlegene Ertragskraft ist ein Hauptgrund dafür, dass Wettbewerber nicht in den Markt eindringen können. S&P Global Ratings und Moody’s Investors Service haben eine herausragende Preissetzungsmacht“, sagt Oliver Everling, Geschäftsführer der Beratungsgesellschaft Rating Evidence. Die beiden Agenturen seien aber auch die einzigen, die in der ganzen Welt einen Namen haben. „Wenn ich in China jemanden nach Scope Ratings frage, dann weiß der nicht, wen ich meine. Wegen der Bekanntheit und der Anerkennung im Markt ist ein Rating von Moody’s und S&P auch mehr wert.“
Moritz Krämer, Chefvolkswirt der Analysefirma Countryrisk.io, ist überzeugt, dass das Preisgebaren darauf hinauslaufe, dass sie so viel Geld wie möglich herausholen. „An der Stelle kann man einem privatwirtschaftlichen Unternehmen mit dem Ziel der Gewinnmaximierung keinen Vorwurf machen. Der Druck auf die Emittenten für ein Rating der großen Anbieter stärkt die Verhandlungsmacht der Großen.“ Indikatoren für die Preissetzungsmacht sind die Marge und der Marktanteil. Die Gewinnmarge ist in den vergangenen zehn Jahren bei Moody’s von 47 auf 60 % und bei S&P von 45 auf 62 % gestiegen. Eine Studie hat für S&P Global außerdem zutage gefördert, dass Unternehmen mit einem S&P-Rating bei der Aufnahme von Aktien in den S&P 500 möglicherweise eine höhere Chance hätten.
Eine Initiative gegen die großen US-Anbieter haben vor einiger Zeit der Fondsverband BVI und der Versicherungsverband GDV angestoßen. Sie appellierten in einem gemeinsamen Schreiben an die EU-Kommission, die US-Ratingagenturen stärker zu regulieren und schärfer zu überwachen. „Die großen US-Ratingagenturen nutzen ihre marktbeherrschende Stellung für ihre Preisgestaltung aus, aber der EU-Wertpapierbehörde ESMA fehlt es an regulatorischer Handhabe, diesen missbräuchlichen Nutzungslizenz- und Gebührenforderungen ein Ende zu setzen“, so BVI-Chef Thomas Richter in dem Papier von Ende 2020.
Mehr Kostentransparenz
BVI und der GDV wollen eine Verschärfung der Ratingagentur-Verordnung und haben vorgeschlagen, dass die Ratinganbieter zu mehr Preis- und Kostentransparenz verpflichtet werden, analog zu den Regeln für Börsen unter Mifid II. Zusätzlich müsse sichergestellt werden, dass sämtliche Datenanbieter von der Regulierung erfasst werden. Das ist derzeit nicht der Fall. Als dritte Maßnahme plädieren der BVI und der GDV für mehr Macht der ESMA in diesem Bereich. „Fondsmanager, Versicherer und institutionelle Anleger sind nicht zuletzt aufgrund der zunehmenden Regulierung auf den Bezug von Ratinginformationen und -daten angewiesen“, heißt es in dem Appell.
Everling weist jedoch darauf hin, dass die Preise der großen Agenturen den Aufwand reflektierten. „Es ist teuer, wenn sie spezialisierte Analysten brauchen, gewaltige Mengen an Unterlagen studieren und dann die richtigen Schlüsse daraus ziehen müssen.“ Diesem Prozess könne man bisher kaum effizienter machen und deshalb seien die Kosten auch nicht gesunken. Aus Marktsicht sieht Everling bei den Ratingkosten zwei Szenarien: Auf der einen Seite würden die großen Agenturen ihre Prozesse stärker mit IT unterstützen und mehr standardisieren. Auf der anderen Seite gebe es Start-up-Unternehmen, die zum Beispiel über künstliche Intelligenz die Art und Weise, Risiken zu analysieren, revolutionieren würden. „Damit werden sie deutlich günstigere Ratings anbieten können“, so Everling.
Aus Sicht von Krämer haben die bisherigen Vorstöße der ESMA, etwa zur stärkeren Berücksichtigung kleinerer Agenturen, in der Praxis nichts bewirkt. „Auch die Vorgabe, bei der Kalkulation von Gebühren nach dem System ‚Kosten-plus‘ zu arbeiten, hat nichts gebracht.“ Jetzt hat die ESMA reagiert und Ende September eine Stellungnahme zu dem Themenkomplex Kreditratings veröffentlicht. Es geht der ESMA in diesem Papier darum, zumindest den Zugang zu und die Nutzung von Ratings in der EU zu verbessern. Die ESMA reagiert damit auf die Schwierigkeiten, die Nutzer von Ratings haben, und empfiehlt, die Verordnung über Ratingagenturen zu ändern, um diese Probleme zu lösen.
Bislang werden Ratings kostenlos auf der Europäischen Ratingplattform (ERP) der ESMA veröffentlicht. Die Nutzbarkeit sei jedoch stark eingeschränkt, da sie nicht in einem maschinenlesbaren Format abgerufen oder heruntergeladen werden können, um für regulatorische Zwecke verwendet zu werden, stellt die ESMA selbst fest. „In der Praxis haben die Nutzer hauptsächlich über Lizenzen, die von Ratingagenturen angeboten werden, Zugang zu Ratings“, so die Behörde – und diese kosten viel Geld. Die ESMA schreibt, dass die „Lizenzierungspraktiken sowie die hohen Gebühren Anlass zu Bedenken hinsichtlich des Anlegerschutzes und der Wettbewerbsfähigkeit geben“. Hinzu komme, dass oft zusätzliche Lizenzen notwendig seien, um ein gleichbleibendes Niveau der Datennutzung zu gewährleisten. Die ESMA kommt zu dem Schluss, dass gesetzliche Änderungen unumgänglich sind, um den Zugang zu Ratings zu verbessern.