Neue Strategien für Europas Banken im globalen Wettbewerb
Zunächst die gute Nachricht: Grundsätzlich ist das Bankensystem in Europa mehr als ein Jahrzehnt nach der großen Finanzkrise und nach zahlreichen regulatorischen Schritten, die den Banken zu Recht einiges abverlangen, stabil. Und in der aktuellen Krise sind die Banken Teil der Lösung und nicht das Problem. So weisen die Banken in Europa für das erste Quartal 2021 gute Ergebnisse aus. Allerdings ist fraglich, ob es sich dabei um einen langfristigen Trend handelt. Zumal Europas Banken aus meiner Sicht in der Mehrzahl im Vergleich zu den US-amerikanischen und asiatischen Instituten schwächer dastehen. Insbesondere die US-Banken waren schon in den zurückliegenden Jahren deutlich profitabler als ihre europäischen Pendants. Das hat sich auch in der Coronakrise nicht wesentlich geändert.
Woran liegt das? Viele Länder in Europa sind – das ist wirklich kein Geheimnis – immer noch „overbanked“. Und es gibt immer noch zu viele unterschiedliche Regulierungen in den einzelnen Ländern. Hinzu kommt, dass die Banken in der aktuellen Niedrigzinsphase nach wie vor viel zu wenig verdienen. Sie erwirtschaften kaum ihre Eigenkapitalkosten und können daher nur schwer neues Kapital aufnehmen. Hohe IT-Investitionen dienen meist dazu, bestehende und oft überalterte IT-Systeme zu erhalten, die im Wettbewerb mit den schnellen und agilen Fintechs nicht mithalten können. Das wiederum hindert die Banken daran, in großem Stil das Know-how dieser Spezialisten einzukaufen, was sie technologisch wieder an die Spitze bringen könnte. Unterm Strich ist ihre Aktienbewertung im Vergleich zu den Technologieunternehmen zu niedrig.
Sind grenzüberschreitende Fusionen, wie sie in der Vergangenheit aus der Branche selbst und vielfach auch von Seiten der Aufsicht und der Regulierer ins Gespräch gebracht wurden, eine Lösung? Nur bedingt. Denn Kostensenkungen sind endlich. Und grenzüberschreitende Fusionen und Übernahmen mit dem Ziel der Kostensenkung sind höchst unpopulär. Und weil die Rahmenbedingungen für eine echte Banken- und Kapitalmarktunion immer noch lückenhaft sind, kommen die Vorteile grenzüberschreitender Transaktionen vor allem bei der Aktienbewertung nicht voll zum Tragen.
Echte Skaleneffekte
Was also ist zu tun? Aus meiner Sicht könnte die Antwort in einer stärkeren Fokussierung der Banken und einer horizontalen paneuropäischen Konsolidierung liegen, um echte Skaleneffekte erzielen zu können. Damit meine ich eben nicht die grenzüberschreitende Fusion von kompletten Banken, sondern die Konzentration auf gemeinsame Stärken und besondere Expertise in bestimmten Bereichen. Die Strategie der „National Champions“ könnte so durch eine Strategie der „Industrial Champions“ ersetzt werden. Beispiele dafür gibt es heute schon, etwa in Form von Spezialisierungen im Assetmanagement, beim Leasing oder im Equity Brokerage.
Ich könnte mir vorstellen, dass dadurch weitere europäische Spezialisten entstehen, die im immer härter werdenden globalen Wettbewerb mithalten können. Das ist genau die Idee hinter den „Industrial Champions“, die in bestimmten Geschäftsfeldern zu wichtigen europäischen Akteuren werden und sogar weltweit ihre Wettbewerbsfähigkeit unter Beweis stellen.
In einem weiteren Schritt könnten diese hoch spezialisierten Institute dann aus den bestehenden Bankkonzernen ausgegliedert und als eigenständige Technologieunternehmen positioniert werden. Schließlich wäre sogar ein Listing an den Börsen denkbar, um auf diese Weise eine neue Währung für Akquisitionen zu erhalten. Andere Branchen sind diesen strategischen Weg in den vergangenen Jahren gegangen, man denke nur an Siemens. Den Münchnern ist es immer wieder erfolgreich gelungen, top performende Sparten auszugliedern und an die Börse zu bringen – Infineon, Siemens Healthineers oder zuletzt Siemens Energy. Das zeigt: Die Strategie kann funktionieren.
Natürlich kann man die Bereiche, in denen ein so riesiges, technologisch und geografisch weitverzweigtes Unternehmen wie Siemens tätig ist, nicht eins zu eins mit uns Banken vergleichen. Aber es geht um das Prinzip: einzelne Themenbereiche auszulagern, um sie noch erfolgreicher zu machen. Und der Mutterkonzern und dessen Aktionäre haben dabei in der Regel etwas davon.
Zugegeben, diese Strategie wird selten angewendet, aber es gibt Beispiele – auch in Deutschland und auch im Bankwesen. Denken Sie an die deutschen Sparkassen und den genossenschaftlichen Sektor. Die schrittweise Zusammenlegung der IT der gesamten Sparkassenorganisation oder der Genossenschaftsbanken in den letzten zwei Jahrzehnten war ein solcher Schritt, der – wenn ich richtig informiert bin – sehr erfolgreich war. Das war zwar auf Deutschland beschränkt, aber warum sollte so etwas nicht auch grenzüberschreitend funktionieren?
Coronakrise als Katalysator
Ich halte fest: Die aktuelle Krise kann als Katalysator für die von mir skizzierte Entwicklung wirken, und zwar in zweierlei Hinsicht. Zum einen erhöht sie den Druck auf alle Beteiligten, etwas zu tun, und zum anderen ist es typisch, dass in Krisen neue Wege gedacht, gewagt und dann oft auch gegangen werden. Es ist also aus meiner Sicht wahrscheinlich, dass sich gerade durch diese Krise ganz neue Möglichkeiten für alle Banken und in allen europäischen Ländern eröffnen. Ich kann mir gut vorstellen, dass die europäische Bankenlandschaft anders aussehen wird als heute, wenn wir die Folgen dieser Krise vollständig verdaut haben. Es wird wohl noch ein paar Jahre dauern, aber wir sollten diese Krise als Chance begreifen und mutig nach vorn gehen – gerade auch im Kontext des globalen Wettbewerbs.
Philippe Oddo ist Geschäftsführender Gesellschafter und Vorstandsvorsitzender von Oddo BHF.
In dieser Rubrik veröffentlichen wir Kommentare von führenden Vertretern aus der Wirtschafts- und Finanzwelt, aus Politik und Wissenschaft.