KommentarPreise

Noch längst keine Normalität bei der Inflation

Der kräftige Rückgang der Inflation im September in Deutschland ist erfreulich. Für Entwarnung ist es aber weiter zu früh. Die EZB muss wachsam bleiben. Bei der Zinssitzung im Dezember wird es wieder spannend.

Noch längst keine Normalität bei der Inflation

Inflation

Noch längst
nicht normal

Von Mark Schrörs

Der kräftige Rückgang der Inflation ist erfreulich. Für Entwarnung ist es aber weiter zu früh.

Die Inflation in Deutschland ist im September richtig kräftig gesunken. In EU-harmonisierter Rechnung ging es um mehr als zwei volle Prozentpunkte von 6,4% auf 4,3% runter. Im gesamten Euroraum, für den am Freitag eine erste Schätzung vorgelegt wird, dürfte das Bild zumindest ähnlich sein. Prognostiziert wird ein Rückgang von 5,2% auf 4,5%. Herrscht jetzt also endlich Ruhe an der Inflationsfront? Mitnichten! So erfreulich die Entwicklung auch ist, für eine Entwarnung ist es zu früh.

Nur kurz zur Einordnung: Selbst mit „nur“ noch 4,5% läge die Inflation im Euroraum abgesehen von der aktuellen Inflationswelle immer noch auf einem absoluten Rekordhoch. Vor der Welle der Jahre 2021 und 2022, die sich durch das zu späte Gegensteuern der Europäischen Zentralbank (EZB) noch einmal höher aufgetürmt hatte, lag der Höchstwert in gut 20 Jahren Euro-Historie bei 4,1% – erreicht im Juli 2008. Das allein sollte schon reichen, um zu verstehen, dass von Normalität noch längst nicht die Rede sein kann – auch wenn sich die Teuerung gegenüber den 10,6% vom Oktober 2022 mehr als halbiert hat.

Wichtiger aber noch: Zwar hat sich die Lage entspannt und der Trend auf den vorgelagerten Preisstufen nährt die Hoffnung, dass es in den nächsten Monaten in der Tendenz weiter bergab geht mit der Inflation. Der aktuelle starke Rückgang ist aber vor allem Basiseffekten zu verdanken – etwa infolge des Auslaufens des 9-Euro-Tickets und des Tankrabatts im August 2022. Und der jüngste scharfe Anstieg der Ölpreise sowie die hartnäckige Dienstleistungsinflation und das kräftige Lohnwachstum könnten dazu führen, dass der Inflationsrückgang noch zäher wird als ohnehin erwartet.

Vor allem der steigende Ölpreis macht die Lage für die Zentralbanken und insbesondere für die EZB jetzt noch ungemütlicher. Er verschärft das Dilemma aus weiter zu hoher Inflation und zunehmenden Rezessionsrisiken – das sogar zum Trilemma wird, wenn man noch die große Unsicherheit über die genaue Wirkung der EZB-Straffung in Zeiten struktureller Umbrüche in der Wirtschaft hinzuzieht. Nach dem kolossalen Unterschätzen der Inflation 2021 und 2022 kann die EZB in jedem Fall durch einen Anstieg des Ölpreises nicht mehr wie früher einfach „hindurchschauen“.

Der Rückgang der Inflation ist fraglos eine gute Nachricht für die EZB. Sie muss aber vor allem mit Blick auf die Inflationserwartungen äußerst wachsam bleiben. Zusammen mit der jüngsten Zinserhöhung geben ihr die neuen Inflationsdaten jedoch Zeit, die Lage zu beobachten und zu analysieren. Die Oktober-Zinssitzung dürfte nun eine Durchgangsstation sein. Richtig spannend wird es wieder im Dezember.