SAP

Ohne (HV-)Kompass

Viele SAP-Anleger üben Kritik an Aufsichtsratschef Hasso Plattner. Dieser ist allerdings allenfalls das Ziel, aber nicht die Ursache des Unmuts.

Ohne (HV-)Kompass

Die Hauptversammlung des Walldorfer Softwarekonzerns SAP verspricht turbulent zu werden – oder besser, verspräche turbulent zu werden, wäre diese nicht erneut eine rein virtuelle Veranstaltung. Dass die Aktionäre ihre Fragen auch im Jahr 2022 wieder nur schriftlich einreichen durften, drückt weiter auf die wegen der schwachen Aktienkursperformance ohnehin schon getrübte Anlegerstimmung. Gerade füllen sich die Kalender mit immer mehr Terminen, die ein persönliches Zusammentreffen vorsehen. Da scheint die Vorsicht der SAP aus der Zeit gefallen – auch wenn sie zum Zeitpunkt der Einladung zur HV noch vollkommen dem Zeitgeist entsprach.

Doch gerade in diesem Jahr wäre eine Aussprache mit den Aktionären wohl wichtig gewesen. Die Tatsache, dass noch immer keine Nachfolgeregelung für den mittlerweile 78-jährigen Mitgründer Hasso Plattner präsentiert werden kann und dieser sich daher gezwungen sieht, für weitere zwei Jahre zu kandidieren, sorgt für reichlich Unmut unter den Investoren – insbesondere hierzulande. Zum Ablauf der neuen Amtszeit wäre Plattner bereits 80 Jahre alt.

Hatte der SAP-Gründer bei seiner letzten Mandatierung 2019 noch eine breite Zustimmung von über 90% des anwesenden Kapitals erhalten, droht nun ausgerechnet im Jahr des 50-jährigen Firmenjubiläums eine unangenehme Klatsche. Deka, Union Investment und DSW haben im Vorfeld der Hauptversammlung bereits angekündigt, gegen den Mitgründer zu stimmen. „Die Zukunft von SAP hängt davon ab, wie sehr sich der Konzern von Hasso Plattner emanzipieren kann“, begründet etwa Ingo Speich, Leiter Nachhaltigkeit und Corporate Governance, seine Ablehnung. Die verkürzte Mandatierung von nur zwei Jahren, die angestrebt werde, nennt er halb gar. „Wieder einmal wurde die Chance vertan, den SAP-Aufsichtsrat zukunftsfest zu machen.“

Allerdings ist die Kritik an der Person des Aufsichtsratsvorsitzenden mehr die Folge als die Ursache des Unmuts vieler Investoren. Hauptproblem von SAP bleibt, dass der Vertrauensverlust, der mit dem stärkeren Fokus auf die Cloud und den angepassten Gewinnzielen im Herbst 2020 einherging, nie wirklich aufgeholt werden konnte. SAP-Vorstandschef Christian Klein, der knapp zwei Jahre allein an der Spitze steht, müsse erst noch zeigen, dass SAP unter seiner Leitung zu echter Innovation fähig sei, befindet Speich. Er wirft SAP etwa vor, auf einem Planeten zu leben, der um sich selbst kreise. Die Wettbewerber liefen SAP davon. Zu einer vollkommen anderen Ein­schätzung kommt die Schutzgemeinschaft der Kapitalanleger (SdK), die Plattner sogar als „stabilisierendes Element“ wahrnimmt und sich für dessen Wiederwahl ausspricht. Auch die DWS stellt sich nicht gegen Plattner.

Die Dissonanzen, die sich zwischen SAP und ihren Aktionären vor der Hauptversammlung im Jubiläumsjahr zeigen, zeugen von einer wachsenden Entfremdung zwischen Anlegern und Aktiengesellschaften im digitalen Zeitalter. Eine maximal dreiminütige Videobotschaft und eine Liste eingereichter Fragen ersetzen eben keinen Dialog. Der Kompass, den die Begegnung mit einer breiten Auswahl an Investoren bietet, fehlt SAP schon im dritten Jahr in Folge. Wie lange ist das? Lange genug, dass Klein sich als CEO in seiner gesamten Amtszeit noch in keiner Aktionärsversammlung einer direkten Fragerunde stellen musste.

Das bedeutet indes nicht, dass Europas größter Softwarekonzern unter Klein den Kompass verloren hat. Man kann sogar sagen, dass die zuletzt gestiegenen Wachstumsraten in der Cloud, mit denen vielen US-Wettbewerbern die Rücklichter gezeigt werden, den vor fast zwei Jahren eingeschlagenen Kurs nur bestätigen. Der Kompass scheint aber manchem Aktionär auf der Wegstrecke verloren gegangen zu sein. Strategiewechsel, personelle Veränderungen im Vorstand und gestiegene Investitionen – all diese Entscheidungen brachten eigentlich viel Klärungsbedarf mit sich. Doch wesentliche Foren, die zur Klärung hätten beitragen können, standen zu Pandemiezeiten nicht im gewohnten Rahmen zur Verfügung. Die Krise hat zwar gezeigt, dass viele Vorgänge aus dem realen Arbeitsumfeld in die virtuelle Welt übertragen werden können. Vertrauen zu Stakeholdern aufzubauen gehört mit zunehmender Sicherheit aber nicht dazu. Und so ist zu erwarten, dass die Unsicherheit der SAP-Anleger auch nach dieser Hauptversammlung anhalten wird – trotz Rekorddividende von 2,45 Euro je Aktie, beschleunigtem Cloud-Wachstum und egal ob mit oder ohne den Aufsichtsratschef Hasso Plattner.

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