E-Commerce

Onlinehändler und ihr Problem mit den Retouren

Vor allem im Modegeschäft schicken Kunden viele Pakete wieder zurück. Die Kosten dafür tragen in den meisten Fällen die Verkäufer. Welchen Umfang die Retouren haben und was Onlinehändler dagegen tun.

Onlinehändler und ihr Problem mit den Retouren

Hin und Her macht Taschen leer. Dieser Satz gehört zu den am häufigsten zitierten Börsenweisheiten. Er warnt vor dem ständigen Kauf und Verkauf von Wertpapieren. Denn jede Transaktion kostet Geld und erhöht die mit der Anlage verbundenen Kosten.

Auch im Onlinehandel geht das Hin und Her ins Geld. Hier trägt allerdings in aller Regel nicht der Kunde die Kosten, sondern der Anbieter. Die Belastungen entstehen zum einen durch den Rücktransport der Ware. Zum anderen müssen retournierte Produkte aufgearbeitet werden, um sie wieder als neuwertig verkaufen zu können. Darüber hinaus verursachen die Rücksendungen ökologische Schäden, etwa durch die Emission von CO2.

Besonders hoch sind die Retouren im E-Commerce mit Bekleidung und Schuhen. Ging man bisher davon aus, dass etwa jede zweite Fashion-Sendung in Deutschland an den Verkäufer zurückgeht, sind die Quoten zuletzt noch gestiegen. Inzwischen seien es etwa 60% und teilweise sogar über 70%, berichtete der Berater Sven Kromer von Accenture Strategy im Sommer im Gespräch mit der Börsen-Zeitung.

Dafür gibt es mehrere Gründe: Neue Kundengruppen, die wenig Erfahrung mit dem Interneteinkauf haben, gehäufte Verspätungen bei der Zustellung, die zu Unzufriedenheit bei Kunden führen, und die ex­trem stark gestiegenen Energiepreise, die an der Kaufkraft zehren und so manchen Besteller dazu bringen, georderte Ware zurückzugeben.

Ein paar Sneaker, ein neues Shirt, vielleicht noch ein Mantel, der gerade im Angebot ist: Der Siegeszug von Internet und Smartphones und veränderte Lebens- und Einkaufsgewohnheiten bescheren dem E-Commerce einen strukturellen Aufschwung. Die Corona-Pandemie hat diesen Trend noch verstärkt, weil Läden wochenlang geschlossen waren oder Kunden aus Sorge vor Ansteckung die Geschäfte mieden.

Rücksendung meist kostenfrei

Annähernd jeder siebte Euro, der den Deutschen für Haushaltsausgaben zur Verfügung steht, wurde im vergangenen Jahr für Online-Warenkäufe ausgegeben, berichtet der Bundesverband E-Commerce und Versandhandel (BEVH). Ein Jahr zuvor sei es erst jeder achte gewesen. Lässt man Lebensmittel außen vor, habe der Onlineverkauf von Waren 2021 sogar jeden fünften Euro auf sich gezogen.

Derzeit bekommt der wachstumsverwöhnte Onlinehandel allerdings den Konsumschock zu spüren, den die Energiepreissprünge und der Krieg in der Ukraine ausgelöst haben. Der BEVH meldet für das dritte Quartal einen nominalen, also nicht inflationsbereinigten Umsatzverlust der Branche von 10,8% im Vergleich zum Vorjahreszeitraum. Schon im zweiten Jahresviertel waren die Umsätze im E-Commerce mit Waren binnen Jahresfrist um ein Zehntel ge­schrumpft. Hart erwischt hat es den Modehandel und Segmente, in denen sich Einkäufe aufschieben lassen, wie Möbel oder Schmuck/Uhren. Besser läuft der Verkauf von Waren für die alltägliche Versorgung, also Lebensmittel, Kosmetik, Tierbedarf oder Medikamente.

Das Ausmaß der Retouren sei bisher unterschätzt worden, stellen Wissenschaftler der Universität Bamberg in einer aktuellen Studie fest. Demnach geht fast jedes vierte Paket (24,2%) im E-Commerce zurück an den Händler. Im Vergleich mit anderen Ländern sei Deutschland Retouren-Europameister.

„Über alle Warencluster hinweg wurden in Deutschland die höchsten Retourenquoten beobachtet“, konstatiert die Bamberger Forschungsgruppe Retourenmanagement. Knapp dahinter lägen mit Schweiz und Österreich die weiteren deutschsprachigen Länder. Die hohen Rücklaufquoten in Deutschland führen die Universitätsforscher zum einen auf den vergleichsweise hohen Rechnungsanteil bei den Bestellungen zurück. Diese Form der Zahlungsabwicklung geht mit höheren Rücksendungen einher. Zum anderen ist die Rückgabefrist hierzulande großzügiger als im übrigen Europa.

Und drittens sind Rücksendungen in Deutschland bei neun von zehn Händlern kostenfrei. Genau sind es der Befragung zufolge 88,7%. Das führt dazu, dass sich hiesige Kunden wenig Gedanken machen bei ihren Bestellungen. Im europäischen Ausland dagegen verlangt fast die Hälfte der Händler eine Kostenbeteiligung, entweder in Form einer Gebühr oder indem Kunden die Rücktransportkosten tragen müssen.

Laut der Forschungsgruppe wurden in Deutschland im vergangenen Jahr fast 530 Millionen Sendungen zurücktransportiert, in denen 1,3 Milliarden Artikel enthalten waren. Die Transport- und Bearbeitungskosten der Retouren veranschlagen die Wissenschaftler im Schnitt auf knapp 7 Euro je Sendung und 2,85 Euro je Artikel – bei großen Unterschieden nach Warencluster und Firmengröße. In Summe läuft das auf Kosten von 3,7 Mrd. Euro hinaus. Zum Vergleich: Der Bruttowarenumsatz im E-Commerce in Deutschland lag im vergangenen Jahr bei 99 Mrd. Euro.

Den CO2-Fußabdruck ihrer Rücksendungen erfassen die meisten Unternehmen überhaupt nicht, doch ergibt eine Hochrechnung, dass die 2021er Retouren in Deutschland zum Ausstoß von 795 000 Tonnen CO2 geführt haben. Die Emissionen entsprächen einer Pkw-Fahrleistung von 5,3 Mrd. Kilometern – eine Strecke, die bei 6,6 Millionen Fahrten zwischen Hamburg und München zusammenkommt.

Diskussion über Gebühr

Besonders ärgerlich ist, wenn retournierte Ware nicht wiederverkauft wird, sondern im Müll landet. Laut der Befragung können 93% der zurückgeschickten Artikel wieder als neuwertig angeboten werden. Der Anteil der entsorgten Retouren wird mit 1,3% ermittelt, erscheint also recht gering. Tatsächlich aber ist er wohl höher, weil die Entsorgung durch Wiedervermarkter ebenso wenig berücksichtigt ist wie die Entsorgung durch Kunden, die eine Erstattung erhalten ohne Rückgabe der Ware.

Die allermeisten Rücksendungen entfallen auf Modeartikel. Laut der Forschungsgruppe gehen in diesem Segment 64% der Pakete und 34% der Artikel zurück an den Händler. Im Unterhaltungssektor und bei Einrichtungsgegenständen sind es etwa 5%. Den Fashion-Anteil an den insgesamt retournierten Sendungen geben die Wissenschaftler mit 83% an. Bezogen auf die Artikel seien es sogar 91%. Stellt man die hochgerechneten Transport- und Bearbeitungskosten dem 2021er Bruttowarenumsatz mit Bekleidung und Schuhen von knapp 25 Mrd. Euro gegenüber, ergeben sich Kostenanteile von etwa 13%. Schon diese grobe Kalkulation macht deutlich, wie stark die Retouren den Fashion-Onlineverkäufern zu schaffen machen.

Inzwischen versuchen einige An­bieter, die Retourenflut durch eine pauschale Gebühr einzudämmen. Die Modekette Zara verlangt 1,95 Euro pro Paket, der japanische Bekleidungshändler Uniqlo 2,95 Euro. Die Gebühr setzt Anreize, bewusster einzukaufen und das verbreitete Vorgehen, vorsorglich mehrere Größen eines Produkts zu bestellen, zu überdenken. Klima- und Um­weltschützer gehen noch weiter. Sie fordern, Gratisretouren generell ab­zuschaffen.

Doch große Pure Player wie Zalando, About You, Otto und Amazon halten an Gratisretouren fest und setzen damit den Branchenstandard. Sie haben ihre Kunden an den risikolosen Einkauf gewöhnt und fürchten, dass der Absatz bei einer Abkehr von dieser Regel einbricht. Wobei die Rücksendungen in Wirklichkeit gar nicht gratis sind, weil viele Händler diese Kosten bereits in den Preis der Ware einkalkuliert haben. Letztlich findet also eine Umverteilung von Wenig- zu Vielretournierern statt.

Kostenfreie Anprobe

„Die Rücknahme von Waren ge­hört zum Verbraucherschutz und ist Teil eingespielter Prozesse im On­line- und Versandhandel“, sagt Martin Groß-Albenhausen, stellvertretender Hauptgeschäftsführer des Branchenverbands BEVH. Neun von zehn Onlinekunden hätten im ersten Halbjahr 2022 angegeben, die be­stellte Ware behalten zu wollen. Das entspreche dem Vorjahreswert.

Otto verteidigt die Kostenfreiheit mit dem Hinweis, dass sich die Mehrheit in Deutschland gegen kostenpflichtige Retouren ausspreche. „Das kostenfreie Anprobieren von Textilien und anderen Waren gehört bei uns zum Service“, sagt Alexander Birken, CEO der Otto Group. Für Europas größten Online-Modehändler Zalando sind Gratisretouren Teil des unternehmerischen Erfolgs, denn sie ermöglichten Kunden einen bequemen und risikolosen Einkauf. Die Berliner ziehen eine Analogie zur Anprobe im Geschäft. Da müsse der Kunde auch nicht alles behalten, was er in die Umkleidekabine mitnimmt.

Berater Kromer stuft Retourenquoten von 60% als „absurd unter Kosten- und Umweltaspekten ein“, bezweifelt aber, dass pauschale Ge­bühren als Steuerungsinstrument ge­eignet sind. Er plädiert für differenzierte Modelle, die nach Produkt- und Kundengruppen unterscheiden. Attraktive Kunden, die zum Normalpreis kaufen und vereinzelt Ware zurückgeben, sollten besser behandelt werden als unattraktive, die regelmäßig ermäßigte Artikel re­tournieren. Ganz zu schweigen von notorischen Alles-Retournierern, die ohne jede Kaufabsicht bestellen.

Der Online-Modehandel versucht, dem Retouren-Problem mit moderner Technologie zu Leibe zu rücken. Zalando beispielsweise setzt auf datenbasierte und Computer-Vision-Ansätze, die Kunden helfen, Kleidungsstücke in der richtigen Größe und Passform auszuwählen.

Daten darüber, ob ein Artikel eher kleiner oder größer ausfällt, und Informationen aus früheren Einkäufen werden in die Größenempfehlung einbezogen. Darüber hinaus können Kunden Referenzartikel angeben, die ihnen gut passen. Das hilft, zumindest die Rücksendungen einzudämmen, die darauf zurückgehen, dass der bestellte Artikel nicht passt.

Die Otto-Tochter Bonprix forciert die 3D-Produktentwicklung: Neue Kleidungsstücke werden digital so weit entwickelt, dass die Daten direkt in die Produktion gehen. Das verbessere die Passform und stelle Kunden umfangreichere Informationen zu Schnitt, Farben und Textilstruktur zur Verfügung, heißt es. Zudem werden umfangreiche Informationen angeboten wie detaillierte Produktbilder, personalisierte Größenfinder und eine smarte Auswahl der Bewertungen.

Kleine Interventionen helfen

Apps für die individuelle virtuelle Anprobe sind zwar noch Zukunftsmusik, dürften aber kommen. Statt Größen digital an Standardmodellen auszuprobieren, erfolgt dann die Anprobe durch einen Avatar des Kunden. Außerdem arbeiten Anbieter da­ran, die Nachhaltigkeit in der Logistik zu verbessern. Amazon beispielsweise setzt verstärkt Elektrofahrzeuge ein und investiert in Lastenfahrräder.

Auch kleine psychologische Interventionen tragen dazu bei, Retouren zu vermeiden. Sie können Impulse geben, sich ökologisch besser zu verhalten. So zeigen Feldexperimente, dass manche Kunden, die ein Produkt in mehreren Größen bestellen, ihr Verhalten überdenken, wenn sie am Ende des Ordervorgangs mit der Frage konfrontiert werden, ob ihre Mehrfachbestellung wirklich notwendig ist. Der banal anmutende Hinweis, dass eine Rücksendung auch dem Besteller in erheblichem Maße Zeit und Arbeit kostet, bringt manchen Kunden ebenfalls dazu, seinen Auftrag noch einmal zu prüfen.

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