China

Peking spielt den Schleusenwärter für Hongkong-IPOs

Während der globale IPO-Markt auf ein Ausnahmejahr zusteuert, gibt es an Chinas wichtigster Bühne für Börsengänge wenig zu feiern. Die Tech-Regulierungskampagne Pekings hat das Marktklima ramponiert.

Peking spielt den Schleusenwärter für Hongkong-IPOs

Von Norbert Hellmann, Schanghai

Traut sich noch einer? Darf überhaupt noch wer? Mit den Irrungen und Wirrungen der chinesischen Regulierungskampagne bei heimischen Internetunternehmen hat Peking nicht nur den Drang chinesischer Tech-Start-ups an die New Yorker Börsen wirkungsvoll gestoppt. Auch an der Hongkong Exchanges (HKEX) stehen die Räder im IPO-Geschäft seit sechs Monaten praktisch still. Während man im weltweiten Rund trotz aller Corona-Hindernisse auf ein Ausnahmejahr zusteuert, in dem alle Listing-Rekorde gebrochen werden, gibt es für Chinas wichtigste IPO-Bühne wenig zu feiern. Nach einem rauschenden Debüt im Januar und Februar ist der Hongkonger IPO-Markt bereits im zweiten Quartal aus dem Tritt gekommen, um dann seit Jahresmitte völlig brachzuliegen.

Ein Blick auf das Ranking der im bisherigen Jahresverlauf am meisten frequentierten Listing-Bühnen zeigt die technologielastige Nasdaq mit knapp 77 Mrd. Dollar an Kapitalaufnahmen als größten Profiteur des diesjährigen Neuemissionsrauschs, während die Hongkonger Börse noch hinter der New York Stock Exchange auf Rang 3 liegt. Mit 38 Mrd. Dollar kommt sie lediglich auf die Hälfte des IPO-Volumens der Nasdaq. Das ist eine denkbar seltene Konstellation. Zwar pflegen die beiden New Yorker Börsen und die HKEX das IPO-Rennen stets unter sich auszumachen, dabei hatte Hongkong aber in sieben der vergangenen zehn Jahre die Nase ganz vorn.

HKEX-Chef Nicolas Aguzin zeigt sich zuversichtlich, dass das Blatt rasch wieder gewendet werden kann. Er rechne felsenfest damit, dass die grenzüberschreitenden Kapitalflüsse in Richtung des Hongkonger Aktienmarktes in den kommenden Jahren gewaltig zunehmen würden, betonte er kürzlich. Die Möglichkeiten, über die Stock Connect genannte Handelsverknüpfung zwischen Hongkong und den Festlandbörsen einen breiteren Zulauf chinesischer Retailanleger zu generieren, seien noch lange nicht ausgeschöpft. Dies mag zwar für günstige Liquiditätsvoraussetzungen sorgen, ändert aber wenig an der neuen Risikoscheu der Investoren gegenüber chinesischen Techwerten und einem drastisch reduzierten Appetit auf neue Börsenware aus dem Sektor.

Chinas politisch motiviert wirkende Tech-Offensive hat das Marktklima jedenfalls schwer ramponiert. Mit der diesjährigen Talfahrt von chinesischen Techaktien verbinden sich Marktwerteinbußen von über 800 Mrd. Dollar. Dabei legte insbesondere eine Reihe von Anfang des Jahres neu an den Hongkonger Markt gekommenen Techfirmen nach Kavalierstarts letztlich eine miserable Performance hin. Zwar verfügt die HKEX nach Aguzins Angaben über eine äußerst gut bestückte IPO-Pipeline, mit gegenwärtig über 200 Listinganträgen chinesischer Firmen, die einem Börsengang in Hongkong harren, doch heißt dies noch lange nicht, dass sich im kommenden Jahr eine Flut von Neuemissionen über den Markt ergießen wird.

Freiheiten aufgelöst

Mit der Unterstellung der Sonderverwaltungszone unter das brachiale chinesische Sicherheitsgesetz vom Sommer 2020 haben sich die politischen, juristischen und gesellschaftlichen Freiheiten Hongkongs, auf denen die bisherige Aura des wichtigsten internationalen Finanzzentrums in Asien wesentlich mitberuhte, praktisch im Nichts aufgelöst. Zwar hat die chinesische Regierung kein Interesse daran, den Finanzplatz Hongkong verkümmern zu lassen, allerdings finden die wesentlichen Entscheidungen über sein Wohlgedeihen nun in Peking statt, und unterliegen in erster Linie „sicherheitspolitischen“ Prioritäten.

Auf dem chinesischen Festland hat man sich ein Jahrzehnt lang damit herumgeschlagen, das Listing-Regime an den Festlandbörsen regulatorisch zu entschlacken, das Zulassungsprozedere für IPOs kapitalmarktfreundlicher zu gestalten und Börsensegmente für die New Economy wie den Shanghai Star Market und Shenzhen Chinext neu zu schaffen oder frisch herauszuputzen. Das ernüchternde Resultat aber ist, dass Freigaben für Börsengänge, beziehungsweise – wie im Falle des Fintech-Giganten Ant Group – spektakuläre Verbote derselben nun erst recht auf politischen Erwägungen beruhen, die denkbar wenig mit Kapitalmarktinteressen von Emittenten und Anlegern zu tun haben.

Auch die HKEX ist längst zum politischen Spielball geworden, wobei das Sicherheitsgesetz in Verbindung mit dem eigentlichen „Auslandsstatus“ Hongkongs zusätzlich Verwirrung stiftet. Peking sorgt mit neuen Cybersecurity- und Datenschutzregelungen zwar dafür, dass keine chinesischen Tech-IPOs mehr im US-Markt als „feindlichem Ausland“ landen, lässt aber nicht klar erkennen, wie es mit dem „freundlichen Ausland“ Hongkong aussieht. Immerhin wird mit dem Musikstreamingdienst des Internetkonzerns Netease erstmals seit Juli nun doch wieder eine Techadresse in den Hongkonger Handel starten. Man darf sehr gespannt sein, ob sich Anleger auf die neue Ware stürzen werden, weil sie knapp ist, oder aber dem chinesischen Tech-Braten noch nicht wieder trauen.

BZ+
Jetzt weiterlesen mit BZ+
4 Wochen für nur 1 € testen
Zugang zu allen Premium-Artikeln
Flexible Laufzeit, monatlich kündbar.