Politisches Gezerre um die Riester-Rente
Von Wolf Brandes, Frankfurt
Mit 115 Mrd. Euro ist die Position Rente der größte Posten im Bundeshaushalt 2021. Altersvorsorge zählt zu den Top-Themen, die die Menschen interessieren. In den Wahlprogrammen 2021 der Parteien wird die Rente eher am Rande behandelt. 2 von 272 Seiten bei den Grünen, 113 von 4998 Zeilen bei der CDU/CSU und 1 von 66 Seiten bei der SPD, um drei Beispiele zu nennen. Dabei ist das Thema zu komplex, um es kurz abzuhandeln, denn es geht um die gesetzliche, die betriebliche und insbesondere die Riester-Rente.
Seit Jahren streiten die Verantwortlichen, wie die private Altersvorsorge der Zukunft aussehen soll. Zuletzt ist das Thema Riester heißgelaufen. Die Auseinandersetzung entzündete sich an der Frage, wie effizient das System ist und wie es unter den Bedingungen einer Niedrigzinswelt und einer weiteren Absenkung des Garantiezinses operieren kann.
Reformvorschläge zu Riester liegen seit Jahren in Berlin auf dem Tisch, ohne dass sich viel getan hat. In den Programmen zur Bundestagswahl deutet sich ein Gezerre um Riester an. CDU/CSU sprechen von einem „Neustart“. Die SPD findet das Konzept „nicht zufriedenstellend“, und aus Sicht der Grünen ist die Riester-Rente ein „völliger Fehlschlag“. Sie wollen einen Bürgerfonds; die SPD hat ebenfalls vor, bei der privaten Vorsorge eine öffentliche Institution zu beauftragen, und verweist auf den schwedischen Staatsfonds.
Die FDP will ein „Altersvorsorge-Depot“ einführen und darin das Beste aus Riester-Rente, Rürup-Rente und dem amerikanischen Modell „401K“ vereinen. Darüber hinaus will sie den kapitalgedeckten Teil der Altersvorsorge stärken und eine „gesetzliche Aktienrente“ bei der ersten Säule einführen. Und auch hier: „Schweden macht uns seit Jahren vor, wie Aktien-Sparen organisiert werden kann“, schreiben die Liberalen.
Genervte Branchenvertreter
Während die Politik sich beim Reformeifer zurückgehalten hat, sind die Akteure der Finanzbranche zunehmend zermürbt. Fondsanbieter, Versicherungen und Bausparkassen hatten sich auf ein Fünf-Punkte-Programm für Riester geeinigt, das in Berlin nicht aufgegriffen worden ist. In dem, was die Parteien nun vorschlagen, finden sich die Verbände kaum wieder. Der Fondsverband BVI stellt genervt fest, dass in der Diskussion um die private Altersvorsorge immer Schweden als leuchtendes Beispiel genannt werde. „Dabei wird aber vergessen zu erwähnen, dass der AP7 in Schweden ein Teil der gesetzlichen Altersvorsorge ist.“ Das Schweden-Modell werde fälschlicherweise benutzt, um es als Vorbild für die private Altersvorsorge in Deutschland darzustellen, so Holger Sedlmaier, Leiter Steuern und Altersvorsorge beim BVI. Der Fondsvertreter verweist auf die Nachteile privater Anbieter im Wettbewerb mit einem Staatsfonds. „Wenn auf einem Produkt der Bundesadler prangt, suggeriert dies Sicherheit. Dann gibt es keinen fairen Wettbewerb mehr.“
Peter Schwark vom GDV hält den Hinweis auf Schweden ebenfalls für irreführend. Dort wurde entschieden, den Rentenbeitrag um 2,5% zu reduzieren und diesen Teil in eine kapitalgedeckte Säule zu stecken. Gleichzeitig wurde das Rentenniveau begrenzt. „In Deutschland sehe ich nicht den Mut zu solch einer stringenten Reform, und ich sehe auch nicht den großen parteiübergreifenden Konsens, der in Schweden langfristige Verlässlichkeit schafft.“ Wer die Lücken fiskalisch ausgleichen wolle, akzeptiere langfristig eine Übergangsfinanzierung von 20 bis 30 Mrd. Euro pro Jahr. „Das ist im Bundeshaushalt sicher gar nicht darstellbar“, so der Experte des Versicherungsverbandes GDV.
Die Verbände haben natürlich auch das Geschäft ihrer Mitglieder im Blick, wenn sie sich gegen die in den Wahlprogrammen vorgestellten staatlichen Modelle in der dritten Säule aussprechen. „Die private Altersvorsorge sollte freiwillig abgeschlossen und von privaten Unternehmen angeboten werden. Bei einer staatlichen Lösung bekommen die Sparer unter Umständen keine individuell angepassten Lösungen“, sagt Sedlmaier. Der GDV ergänzt: „Übersehen wird oft, dass die Anbieterlandschaft sehr vielfältig ist, es gibt bereits sehr günstige Angebote, und ich verstehe nicht, warum Verbraucherschützer nicht einfach diese empfehlen. Stattdessen fordert man, die private Altersvorsorge an den Staat zu übertragen, der keine Erfahrung in der Kapitalanlage und mit der Verwaltung von Verträgen hat.“
Es geht der Branche um eine Korrektur der Fehler der Riester-Rente, aber auch um mehr Schwung. „Deshalb muss die Förderung einfacher werden. Mindestens 50 Cent Förderung für jeden selbst eingezahlten Euro versteht jeder“, sagt Schwark. „Wenn man noch nicht mal versucht hat, die Fehler zu korrigieren, kann man nicht behaupten, Riester sei gescheitert.“ International werde Deutschland um Riester beneidet, und er werde häufiger gefragt, wie die Branche es geschafft habe, 16 Millionen Verträge in einem freiwilligen Modell abzuschließen.
Der Cheflobbyist der privaten Bausparkassen, Christian König, stößt in dasselbe Horn. Die künftige Regierung sei gut beraten, bei einer Reform die 16 Millionen Riester-Sparer im Blick zu haben. „Heute rein in die Kartoffeln, morgen raus aus den Kartoffeln“, das habe mit einer verantwortungsvollen Politik nichts zu tun.