Polnische Frankenkredite sind wie ein Fass ohne Boden
Wie ein Fass ohne Boden
Polen gilt als Wirtschaftswunder-Land. Doch auch hier lauern Risiken. Vor mehr als 15 Jahren vergaben die Banken Milliarden an Hypotheken in Fremdwährungen. An den Folgen kaut unter anderem die Commerzbank bis heute.
Von Sebastian Becker, Warschau, und Anna Sleegers, Frankfurt
Unter Investoren wird Polen seit Jahren als „Erfolgsgeschichte“ oder „Wirtschaftswunder“ gehandelt. Dabei haben nicht zuletzt die deutschen Unternehmen mit ihren Geschäften ihren Anteil daran. Auch die Commerzbank ist dank einer Beteiligung an der börsennotierten MBank auf dem Wachstumsmarkt vertreten. Die Beteiligung an der viertgrößten Bank des Nachbarlandes dürfte man in der Frankfurter Konzernzentrale jedoch mit gemischten Gefühlen sehen. Denn immer wieder neue Rückstellungen für die polnische Tochter erweisen sich als Dauerbelastung für das Commerzbank-Ergebnis.
Verkappte Währungswette
Denn seit Jahren hat die Commerzbank mit der Restrukturierung der sogenannten Franken-Kredite zu kämpfen, die ihre polnische Tochter vor mehr als 15 Jahren vergeben hat. Dabei handelt es sich um variabel verzinste Hypotheken, die polnische Banken in Fremdwährungen vergeben hatten, weil es im damaligen Zinsumfeld preiswert erschien. Das ging eine ganze Weile gut. Doch mit dem Ausbruch der globalen Bankenkrise von 2008 strömte viel Kapital in die als sicherer Hafen geltende Schweiz. Der Franken wertete massiv auf – mit fatalen Folgen für die polnischen Häuslebauer.
Commerzbank stellt 318 Mill. Euro zurück
Erst vor wenigen Tagen ist das Thema wieder in den Fokus geraten. So wurde die Freude über unerwartet gute Quartalszahlen von neuen Rückstellungen für die Rechtsstreitigkeiten der Tochter getrübt. 318 Mill. Euro musste der Konzern dafür im ersten Quartal an Vorsorge treffen. Das entspricht fast dem gesamten Beitrag der wachstumsstarken polnischen Tochter zu den Konzernerträgen. Im zweiten Quartal sollen es noch einmal 80 Mill. Euro werden.
Auf eine Summe für das Gesamtjahr wollte sich Finanzvorständin Bettina Orlopp nicht festlegen. Sie sei aber zuversichtlich, weniger Rückstellungen als die 1,1 Mrd. Euro bilden zu müssen, mit denen die Franken-Kredite 2023 zu Buche geschlagen hatten.
Doch die Commerzbank-Tochter ist keineswegs die einzige Bank, die noch unter den Lasten der Vergangenheit ächzt. Per Ende 2023 summierten sich die Rückstellungen der polnischen Banken für die Rechtsrisiken auf die Fremdwährungskredite auf 65 Mrd. Złoty (15 Mrd. Euro).
Sozialer Sprengstoff
Und das Thema birgt sozialen Sprengstoff. Einheimischen Schätzungen zufolge wollten bis zu 900.000 Polinnen und Polen ihren ersten Wohlstand auf Pump in Franken finanzieren, darunter viele Familien. Wegen der Aufwertung des Franken konnten immer mehr von ihnen ihre Schulden nicht mehr bedienen. Ein nennenswerter Teil der Bevölkerung geriet existenziell unter Druck, so dass sich alle Parteien mit dem Thema befassen mussten. Im Wahlkampf 2023 befeuerten die massiven Zinserhöhungen der polnischen Zentralbank das Thema zusätzlich.
Immer mehr Kundinnen und Kunden warfen den Instituten vor, Klauseln in den Verträgen seien fehlerhaft gewesen und versuchten, ihr Recht vor Gericht zu erstreiten. Unzählige Urteile des Europäischen Gerichtshofs und der nationalen Gerichte folgten. Diese luden zu neuen Interpretationen ein. Laut Fachanwälten haben die Kreditnehmer mit einem Richterspruch vom 12. Januar 2024 einen wichtigen Etappensieg errungen.
Staatsbank PKO BP führt die Liste der Rückstellungen an
Der staatliche Marktführer PKO BP nahm das Urteil sogar zum Anlass, weitere 1,28 Mrd. Złoty (300 Mill. Euro) an Reserven zu bilden. Das Unternehmen ist am stärksten von dem Problem betroffen, wenn man den Wert der Streitigkeiten aus dem Jahr 2023 als Grundlage nimmt. So betrug das Volumen der PKO BP 12 Mrd. Złoty (2,8 Mrd. Euro), gefolgt von der MBank, die bis Ende September des vergangenen Jahres 8,7 Mrd. Złoty (1,9 Mrd. Euro) aufwies.
Unübersichtliche Lage
Die Lage ist unübersichtlich, wie Orlopp bei der Vorlage der Quartalszahlen einräumte. Immerhin kann sich die MBank damit Mut machen, dass die Zahl der Vergleiche im vergangenen Jahr sukzessive gestiegen ist. Im ersten Quartal weist die Statistik 1.847 Fälle mehr als noch im Vorquartal auf. Im Vergleich zum Vorjahreszeitraum gibt es sogar eine Verdreifachung der Zahlen auf 15.168.
Die Zahl der noch offenen Rechtsstreitigkeiten hat sich gegenüber dem Vorjahr nur leicht auf mehr als 21.772 erhöht. In den vergangenen drei Jahren haben sie sich hingegen vervielfacht.
Goldgrube für Anwälte
Mittlerweile hat sich aber ein Spezialmarkt dafür entwickelt, auf dem Fachanwälte, Verbraucherschützer und auch einige Finanzmedien versuchen, damit das große Geld zu machen. Fachportale beobachten sehr genau jede Entwicklung und preisen marktschreierisch die Erfolge von Juristen an. Jede Bank hat hier quasi ihre Kategorie – und somit auch die MBank. Mitunter wird hier sogar vom „Krieg“ gesprochen, in dem sich die Banken befänden.
Mit einer Kampagne versuchen spezialisierte Kanzleien zurzeit, auch diejenigen zur Klage zu bewegen, die bereits ihren Kredit abbezahlt haben. Diese bislang kaum beachtete Gruppe zählt nach Schätzungen bis zu 400.000 Kreditnehmer. Das sind zwischen 40 und 60% des Gesamtbestands.
Zähe Angelegenheit
Gelingt es, auch nur einen Teil dieser Kunden zu mobilisieren, dann wäre das Problem über weitere Jahre hin ungelöst. Durchschnittlich schleppt sich ein Urteil, das bereits nach der ersten Instanz endet, anderthalb Jahre hin. Auf einen Richterspruch in zweiter Instanz müssen die Unternehmen sogar zweieinhalb Jahre warten. Bisher ist die Zahl dieser Fälle allerdings nur sehr gering. „Wenn aktuell eine Rate zu zahlen ist, löst das offenbar den Impuls aus, vor Gericht zu ziehen“, sagt Michał Sobolewski, Analyst des Investmenthauses DM BOŚ. Diejenigen, die ihren Kredit bereits abbezahlt haben, verspüren diesen Druck nach seiner Einschätzung nicht im selben Maße.
Vielleicht wüssten sie auch nicht, dass sie noch rechtliche Möglichkeiten hätten, oder sie wollten sich nicht dem Stress eines Gerichtverfahrens aussetzen, mutmaßte Soboloweski kürzlich in der polnischen Tageszeitung „Rzeczpospolita“. „Doch ist nicht sicher, ob sich dies nicht ändert, weil die Juristen hier sehr aktiv sind“, warnt er. Denn die Anwälte könnten damit viel Geld verdienen.