Prime Time
Die Zeiten, in denen TV-Sender mit einem überschaubaren Rechteportfolio an Film-Titeln und einem noch dünneren Angebot an Eigenproduktionen im Kampf um die Hauptsendezeit bei den Zuschauern bestehen konnten, sind auch in Europa schon länger vorbei. Analoges Fernsehen hat eine alternde und damit letztlich schrumpfende Zielgruppe, während „Prime Time“ inzwischen nutzerdefiniert wird. Die – jüngeren – Konsumenten wählen ihr Programm aus einem immer größeren On-Demand-Angebot auf globalen Video-Streaming-Plattformen, deren Kampf um Marktanteile voll entbrannt ist.
Ob der Schulterschluss zweier großer französischer Pay-TV-Gesellschaften, den diese bis Ende 2022 vollziehen wollen, noch rechtzeitig kommt, damit auch Europa im Umbruch des Film- und Fernsehgeschäfts noch mehr als eine Nebenrolle spielen kann, ist zweifelhaft. Unzweifelhaft ist dagegen wohl eine Hauptrolle für Amazon. Der E-Commerce-Riese, dessen erfolgreiche Plattformstrategie den Konzern längst auch zu einem globalen Schwergewicht in der Medienwelt gemacht hat, stellt mit dem 9 Mrd. Dollar schweren Kauf der MGM Filmstudios eines klar: Die laufende M&A-Inszenierung in der Branche, bei der ein Mega-Deal den nächsten jagt, wird Amazon nicht von der Zuschauerbank aus verfolgen, um künftig der Konkurrenz die Bühne zu überlassen.
Der Video-Streamingdienst Amazon Prime ist derzeit global noch mit einigem Abstand die Nummer 2 hinter Netflix. Beide stehen jedoch unter Druck des erst 2019 gestarteten Konkurrenten Disney+, der zuletzt mit gut 100 Millionen Abonnenten weltweit bereits halb so viele Nutzer hatte wie Streaming-Pionier Netflix. Die rasante Aufholjagd verdankt Disney+ ihrer gigantischen Filmrechtebibliothek, mit der Branchen-Newcomer von sich aus nicht mithalten können. Mit dem Zugriff auf MGM, deren Rechteportfolio Highlights wie die James-Bond-Filme oder die „Rocky“-Reihe umfasst, macht Amazon nun einen kleinen Quantensprung.
Netflix kann derzeit im Kampf um die Zuschauergunst noch mit zahlreichen eigenproduzierten, oft ausgezeichneten Serientiteln punkten, deren Bekanntheit die Marke stützen. Auf Dauer werden aber tiefe Taschen darüber entscheiden, wer den besten und größten Content-Pool zu bieten hat. In dieser Hinsicht dürfte es für alle Player schwer sein, Amazon das Wasser zu reichen – besonders für die gebeutelte europäische Medienbranche, die es über Jahre nicht geschafft hat, eine gemeinsame Streaming-Plattform aufzubauen.