Private Equity ohne Fremdkapitalhebel
Seit KKR, die Mutter aller Private-Equity-Firmen, 1976 von Jerome Kohlberg, Henry Kravis und George Roberts gegründet wurde, ist die Branche vor allem für stark fremdfinanzierte Käufe von Mehrheitsbeteiligungen an relativ großen und etablierten nicht-börsennotierten Unternehmen samt anschließender Kostensenkung bekannt – ein Ruf, der 1989 in dem Buch und dem darauf folgenden Film „Barbarians at the Gate“ verewigt wurde, in dem die hart umkämpfte Übernahme des US-Tabakkonzerns RJR Nabisco beschrieben wird.
Doch inzwischen vollzieht sich ein Strategiewandel. Finanzinvestoren sind es eigentlich gewöhnt, ihre Deals mit viel Fremdkapital zu hebeln. Doch der bevorstehende globale Wirtschaftsabschwung hat die Kosten für die Fremdkapitalaufnahme durch Anleihen oder Kredite deutlich erhöht. Im Fall von Hochzinsanleihen mit einer schlechten Bonitätsnote von „B“ – wie sie bei den hoch verschuldeten Firmen bei Buy-out-Deals üblich ist – hat sich der zu zahlende Schuldzins seit Jahresbeginn von rund 5% auf rund 10% verdoppelt – bei denjenigen Banken und Investoren, die überhaupt noch bereit sind, Kredite für Private-Equity-Deals zu vergeben.
Verwunderlich ist das nicht. Das Blutbad, das die Banken erlebt haben, die die Übernahme der US-Softwarefirma Citrix aus Florida durch den aktivistischen Investor Elliott und den Finanzinvestor Vista Equity Partners finanziert haben, lässt den Appetit auf weitere solche Deals schwinden. Unter anderem Bank of America, Credit Suisse und Goldman Sachs haben mehrere hundert Millionen Dollar verloren, als sie rund 8,6 Mrd. Dollar Fremdfinanzierung mehrere Monate nach der Transaktion über Anleihen und Kreditsyndizierung auf viele Schultern zu verteilen versuchten. Der Markt hatte sich gedreht, die Finanzierung war nur zu deutlichen Abschlägen aus den Büchern zu bekommen.
Ähnlich Unerfreuliches steht den finanzierenden Banken noch bei weiteren Milliardendeals bevor. Dazu zählen etwa die Übernahme der US-Fernsehsender-Gruppe Tegna durch den Hedgefonds Standard General oder der Kauf des Autozulieferers Tenneco durch Apollo. Der größte Deal aus dieser Kategorie ist die Übernahme von Twitter durch Elon Musk für 44 Mrd. Dollar. Wenn auch diese Transaktionen mit hohen Verlusten für die Banken enden, werden die Geldhäuser kaum mehr bereit sein, Kredite für große M&A-Transaktionen zu geben.
Fusion statt Zukauf
Wird das Geschäftsmodell von Private Equity dann vielleicht nicht mehr funktionieren? Ronald Ayles, Managing Partner beim US-Branchenriesen Advent International und Co-Chef des Deutschlandgeschäfts, glaubt das nicht, wie er im Gespräch mit der Börsen-Zeitung betonte: „In Zeiten, wenn Fremdkapital schwer verfügbar ist, kann man trotzdem Deals machen“, sagt Ayles. „Wir denken dann noch stärker über die strategische Fortentwicklung und Partnerschaften unserer Portfoliounternehmen als über reine Zukäufe nach.“
Advent hat gerade bewiesen, dass es geht. Der Finanzinvestor hat sein Chemiedistributionsunternehmen Caldic mit Sitz in Rotterdam gerade mit der halb so großen Tochter Connell aus Chicago des US-Familienkonzerns Wilbur-Ellis zu einer globalen Firma mit 3 Mrd. Dollar Umsatz fusioniert. Die Familie, die hinter dem mehr als 100 Jahre alten Traditionskonzern aus San Francisco steht, bleibt dabei mit einer Minderheit beteiligt. Es brauchte weder Eigenkapital in Form von Bargeld dafür noch Fremdkapital. Nur die Wertverhältnisse der beiden Unternehmen wurden ermittelt. Advent machte den Deal ohne Berater, und Wilbur-Ellis engagierte die Rabobank.
„Ein Merger kann Synergien und Wachstum generieren, auch wenn bei der Transaktion selbst kein Geld fließt“, sagt Ayles, unter dessen Führung Advent über die Jahre zu einem wichtigen Akteur mit einem guten Ruf in der Chemieindustrie aufgestiegen ist. „Aus Caldic und Connell entsteht jetzt ein global agierender Chemiedistributeur mit einer starken Stellung in den wachsenden Emerging Markets.“
Früher hatten Familienunternehmen und Konzerne oft Bedenken, in eine Partnerschaft mit Private Equity zu gehen. „Jetzt öffnen sie sich teilweise für PE, wenn der entsprechende Track Record, die Sektorerfahrung und die Reputation stimmen“, beobachtet Ayles. „Man muss sich mit dem Partner verständigen und eine ähnliche Kultur haben, dann gelingt es. Das hat auch unser Joint Venture mit Lanxess für Hochleistungskunststoffe gezeigt.“
Im Mai dieses Jahres tat sich Advent bereits mit dem Kölner Spezialchemiekonzern Lanxess zusammen, um die Polymersparte der niederländischen Royal DSM zu übernehmen und mit eigenen Portfoliofirmen als Ergänzung ein Unternehmen für Hochleistungskunststoffe zu gründen, die unter anderem in Elektroautos zum Einsatz kommen. Die entsprechenden Polymere dienen einerseits als Leichtbauelemente und können so Metallteile ersetzen, andererseits werden sie für Batterie- und Ladesysteme benötigt. Damals wurde der Unternehmenswert der DSM Engineering Materials, die 1,5 Mrd. Euro Umsatz macht, inklusive Schulden mit 3,7 Mrd. Euro angegeben. Auch hier ging es um die Schaffung von zusätzlichem Wert, ohne dass alle Bestandteile der Dreierfusion in Geld aufgewogen werden mussten.
Im Juli dieses Jahres hatte Advent dasselbe auch schon in der Verbraucherdatenbranche vorgemacht. Dabei erhielt die Analysefirma GfK aus Nürnberg einen neuen Eigentümer. Advent und KKR schlossen ihre beiden Konsumforschungsfirmen zusammen – die GfK und NielsenIQ aus Chicago. Die beiden ähnlich großen Firmen dürften zusammen auf einen Unternehmenswert von mehr als 6 Mrd. Dollar kommen, hieß es aus Finanzkreisen. An dem neu entstehenden Unternehmen, das seinen Sitz in Chicago hat, hält Advent die Mehrheit der Anteile. An der GfK ist neben KKR auch noch der Nürnberger Verein für Marktentscheidungen (NIM) mit rund der Hälfte der Anteile beteiligt. Beide sollen als weitere Gesellschafter neben Advent investiert bleiben. Durch den Zusammenschluss soll ein führender Anbieter von Handels- und Verbraucherdaten entstehen. Die Transaktion soll – vorbehaltlich der Zustimmung der Genehmigungsbehörden, die durchaus keine Selbstverständlichkeit ist – Anfang 2023 über die Bühne gehen. Die Unternehmen wollen neue Möglichkeiten bei Verbraucheranalysen ausschöpfen. NielsenIQ und GfK sollen sich ergänzende Daten und Analysetools zusammenführen.
„Leverage ist unser Feind“
„In einer Krise wie dieser ist Leverage unser Feind“, sagte Philipp Freise, Co-Head of European Private Equity bei KKR, kürzlich in einem Bloomberg-Interview. „Die Quelle der Rendite ist Wachstum. Wenn wir ein Unternehmen kaufen, versuchen wir, etwas aufzubauen, das es vorher nicht gab.“ Freise und sein Co-Chef Mattia Caprioli stützen sich dabei auf die Erfahrungen, die sie in den ersten Tagen der Covid-19-Pandemie gesammelt haben, als ihr Unternehmen aufgrund eines ähnlichen Finanzierungsengpasses ungewöhnlich große Eigenkapitalschecks ausstellte und sich damit auf eine weltweite Schnäppchenjagd begab. In den drei Monaten nach Beginn der Pandemie im März 2020 investierte KKR so rund 17 Mrd. Dollar neu in Unternehmensbeteiligungen. Einige dieser mutigen Deals wurden erst später mit Fremdkapital refinanziert, als sich die Märkte erholten. Auch in dieser neuen Krise, die durch Russlands Krieg gegen die Ukraine ausgelöst wurde, könnte das vielleicht wieder so ähnlich gelingen.