Bundeshaushalt

Regelwerk nicht verbiegen

Wer die Schuldenbremse für eine ökonomische Fehlkonstruktion hält, darf nicht die Regeln zurechtbiegen, sondern muss die Schuldenbremse ändern. Die Ampel muss ehrlich sein.

Regelwerk nicht verbiegen

Das Ergebnis steht schon fest, auch wenn der zweite Nachtragshaushalt 2021 noch in der Gesetzgebung steckt. Die Ampel-Koalition aus SPD, Grünen und FDP hat im Bundestag die nötige Mehrheit, Kreditermächtigungen von 60 Mrd. Euro rückwirkend einem Nebenhaushalt des Bundes – dem Energie- und Klimafonds – zuzuweisen, ungeachtet der Bedenken von Verfassungsjuristen und der Opposition. Sie wird ihre Macht nutzen. Eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts auf die angekündigte Be­schwerde von CDU und CSU wird erst zu einem Zeitpunkt kommen, zu dem sich die politische und die finanzpolitische Lage längst wieder gedreht haben wird. Welche Wirkung die Finanzoperation unter dem Aspekt der Nachhaltigkeit auf die Disziplin Staatsfinanzen hat, ist aber schon jetzt relevant.

Finanzminister Christian Lindner (FDP) rechtfertigt den Schritt damit, dass keine neuen Schulden über das 2021 geplante Maß hinaus gemacht werden, die Ausgaben zwar für den Klimaschutz, aber rein krisenbedingt eingesetzt werden und von 2023 an die Schuldenbremse wieder eingehalten wird. Dafür ist das Vorgehen der Regierung geradezu kurios. Lindner insinuiert, die für 2021 vom Bundestag für die Pandemie gebilligten 240 Mrd. Euro Nettoneuverschuldung hätten ausgegeben werden müssen und könnten deshalb problemlos in künftige Perioden fortgeschrieben werden. Mitnichten: Die alte Bundesregierung hatte vielmehr unter der Unsicherheit der Krise die Kosten und Einnahmeausfälle viel höher geschätzt, als sie es waren – und sicher auch Puffer eingebaut. Der gebilligte Kreditbetrag ist enorm und entspricht mehr als zwei Drittel der Ausgaben des Bundes im Vorkrisenjahr 2019. Unter dem Eindruck der Notlage hatte der Bundestag mitgezogen, trotz Kritik an den wenig spezifizierten Ausgabeposten. Der Aufschwung in der Wirtschaft im vergangenen Sommer hatte mehr Geld in die öffentlichen Kassen gespült als erwartet. Der Bund konnte sich damit stärker aus Steuereinnahmen finanzieren als geplant. Der Schluss, die einmal gebilligten Kredite könnten unbeschwert für andere Zwecke verwendet werden, nur weil sie 2021 nicht benötigt wurden, hat wenig mit nachhaltiger Finanzpolitik zu tun. Jeder Euro weniger an Schulden lastet nicht auf künftigen Generationen. Die Ampel aber will Mittel losgelöst von dem Limit der Schuldenbremse aufnehmen können, ohne dafür politisch verantwortlich gemacht zu werden. Dazu wird auch die Buchungsmethode geändert – man drehte das Rad in die Zeit vor der Schuldenbremse zurück, als Bundesfinanzminister Kreditpolitik über die Nebenhaushalte betrieben, weil der Kernhaushalt an der Schuldengrenze stand.

Die öffentliche Anhörung im Bundestag zum Nachtragshaushalt hat eine nahezu eindeutige Trennlinie zwischen Juristen und Ökonomen gezeigt. Sie legte offen, wie zwei Fachdisziplinen zwar zu einem Thema, aber komplett aneinander vorbeiredeten. Die Wirtschaftswissenschaftler plädierten fast einstimmig für eine Konjunkturstimulierung in der noch fragilen Lage der Wirtschaft und befürworteten den Nachtragsetat. Die Juristen lehnten den Nachtragshaushalt nahezu unisono als verfassungswidrig ab, weil er die Regeln der Schuldenbremse verbiege. Ein Punkt wurde von den Ökonomen nicht diskutiert: Kreditermächtigungen im Energie- und Klimafonds sind keine Rücklage vorhandener Mittel, um sie künftig auszugeben. Nicht einmal der Zeitpunkt ist bestimmt. Vielmehr wird die Finanzagentur des Bundes irgendwann Mittel über den Kapitalmarkt zum dann aktuellen Zins beschaffen. Die Kosten der zu tilgenden Kredite bleiben heute unbestimmt.

Die Schuldenbremse erlaubt dem Bund immerhin eine begrenzte Kreditaufnahme bezogen auf die Wirtschaftskraft Deutschlands und flexibilisiert durch eine Konjunkturkomponente. Derzeit erlebt die noch recht junge Grundgesetzregelung ihre Bewährungsprobe in einer Krisenlage. Wer meint, die gegebene Flexibilität reiche nicht aus, um die Wirtschaft nach einem Einbruch durch öffentliche Hilfe wieder flottzumachen, darf nicht die Regeln verbiegen, sondern muss die Schuldenbremse ändern. Dafür braucht es eine Grundgesetzänderung mit zwei Drittel Mehrheit – und die Opposition. Dazu ist ein breiter politischer Diskurs nötig, der Probleme benennt. Ehrlich wäre die Ampel zumindest, wenn sie die Krisenkosten in die richtige Periode buchen würde und nicht in ein altes Jahr. Wenn die Krise tatsächlich noch weiterer Investitionsanreize bedarf, gehört die Finanzoperation in den Haushalt 2022, den die Ampel voraussichtlich im März verabschiedet.

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