KommentarRüstung

Rheinmetall kann Europas Abhängigkeit nicht über Nacht reduzieren

Europas „Epoche der Aufrüstung“ treibt Rheinmetall. Doch die Abhängigkeit von US-Rüstungsgütern ist nicht über Nacht abzustreifen.

Rheinmetall kann Europas Abhängigkeit nicht über Nacht reduzieren

Rheinmetall

Artillerie statt Automobile

Von Christoph Ruhkamp

Europas „Epoche der Aufrüstung“ treibt Rheinmetall. Doch die Abhängigkeit von US-Rüstungsgütern ist nicht über Nacht abzustreifen.

Das Potenzial für die „Epoche der Aufrüstung“, die Rheinmetall-Chef Armin Papperger anlässlich der Jahresbilanz ausgerufen hat, ist gewaltig. Wenn die Nato-Staaten ihr Ausgabenziel wie erwartet bald von 2% auf 3% des BIP erhöhen, dann wäre das rund 1 Bill. Euro im Jahr 2030. Gelingt es der neuen Bundesregierung am kommenden Dienstag, die Schuldenbremse zu lockern, dann sind allein in Deutschland für Rheinmetall 42 Mrd. Euro Auftragsvolumen drin. Das Ganze gleicht einem gigantischen Konjunkturprogramm. Bei Rheinmetall wächst die Belegschaft in den nächsten zwei Jahren um ein Viertel auf 40.000 Beschäftigte – und der Boom hilft sogar, die Schwäche der Autoindustrie auszugleichen. Es werden gleich mehrere eigene und fremde Autofabriken umgerüstet für Militär-Lkw und Panzer. Rheinmetall ist zum größten Munitionshersteller der westlichen Welt geworden. Neue Wachstumsfelder sind neben dem angestammten Geschäft mit Panzern auch die Luftabwehr mit dem Geschütz Skyranger und die Digitalisierung der Bundeswehr.

Hoher Anteil an US-Rüstungsimporten

In diesen Bereichen trägt der Konzern zweifellos dazu bei, Europa unabhängiger von den USA zu machen. Das ist begrüßenswert angesichts der Tatsache, dass nicht mehr als selbstverständlich gelten kann, dass die USA in kommenden Konflikten auf der Seite Europas stehen. Noch ist die Abhängigkeit groß. Laut Stockholmer Friedensinstitut Sipri ist der Anteil Amerikas an den europäischen Rüstungsimporten in den vergangenen zehn Jahren von 52 auf 64% gewachsen. An einzelnen – sehr bedeutenden – Stellen ist die Abhängigkeit kurzfristig nicht abzustreifen. Dazu zählen neben dem Raketenabwehrsystem Patriot vor allem die F-35-Kampfjets, die als Träger nuklearer Waffen im Zentrum der Abschreckung stehen. Schon ausgelieferte F-35 würden schnell nicht mehr funktionieren, wenn es keine Software-Updates und keine Unterstützung bei der Instandhaltung aus den USA mehr gäbe. Glücklicherweise ist die Abhängigkeit wechselseitig. Rheinmetall etwa liefert Teile für den Rumpf der F-35. Auch wenn es angesichts der wachsenden Unzuverlässigkeit der USA als Bündnispartner gute Gründe gibt, Europas Verteidigungsindustrie unabhängiger aufzustellen, muss die Realität anerkannt werden, dass es diese Unabhängigkeit auf absehbare Zeit nicht vollständig geben kann. Niemand sollte die USA gleich vom Freund zum Feind umdeuten. Der Dialog muss aufrechterhalten werden.

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