Sánchez im Angriffsmodus
Spanien war bislang von populistischen Exzessen wie etwa in Italien, Großbritannien oder Ländern in Osteuropa verschont geblieben. Die Sozialisten von Ministerpräsident Pedro Sánchez ließen die radikaleren Forderungen ihres kleinen Koalitionspartners, des Linksbündnisses Unidas Podemos, abblitzen. Die frühere Leiterin der Haushaltsabteilung der Europäischen Kommission Nadia Calviño steht als Wirtschaftsministerin in der Außendarstellung des Landes für eine gemäßigte sozialdemokratische Politik. Doch nun versucht Sánchez scheinbar, Unidas Podemos links zu überholen. Die neuen Sondersteuern auf die Übergewinne von Energiekonzernen und Banken haben in Wirtschaftskreisen für Irritation gesorgt. Mehr noch die scharfen verbalen Attacken auf die betroffenen Unternehmen und deren Manager, die der Regierungschef als Krisenprofiteure abstempelt. Seit einiger Zeit schon redet Sánchez von dunklen Mächten und „Zigarre rauchenden Männern in Madrid“, die angeblich seine Regierung zum Sturz bringen wollen. Tatsächlich war der Gegenwind für die Linkskoalition aus Teilen der Wirtschaftselite und konservativen Medien von Beginn an überzogen scharf.
Doch dem Sozialisten geht es mit den Attacken auf Versorger und Kreditinstitute um ein politisches Ziel. Denn bei den Regionalwahlen in Andalusien, dem einwohnerstärksten Landesteil Spaniens, im Juni erlitten die Sozialisten in ihrer früheren Hochburg eine herbe Schlappe. Und auch in den landesweiten Umfragen liegt die PSOE von Sánchez hinter der konservativen Volkspartei. Die Analyse zeigt, dass vor allem die eigene Wählerschaft durch die Krise demotiviert ist. Mit Blick auf die Parlamentswahl im kommenden Jahr versucht Sánchez daher mit einem Linksruck das linke Lager wachzurütteln. In der Rede zur Lage der Nation Mitte Juli packte der Ministerpräsident die Sondersteuern aus, mit denen die Lasten der Energiekrise und der hohen Inflation vermeintlich gerechter verteilt werden sollen. Die Abgabe für die Energieversorger war mehr oder weniger erwartet worden, zumal andere Länder in Europa ähnliche Übergewinnsteuern eingeführt haben oder zumindest darüber debattieren, wie in Deutschland. Es gibt gute Gründe für diese Maßnahme. Denn die Stromversorger profitieren nicht nur von den drastisch gestiegenen Preisen, sondern auch von den Hilfsmaßnahmen des Staates wie Stromzuschüsse für einkommensschwache Haushalte oder der Tankrabatt.
Die Sondersteuer für die Banken war dagegen eine Überraschung, wie die starken Kursverluste der Geldinstitute am Tag der Ankündigung belegten. In den nächsten zwei Jahren werden 4,8% auf Zinsüberschuss und Provisionen erhoben, mit denen die Regierung insgesamt 3 Mrd. Euro einstreichen will. Sánchez’ Argument sind die steigenden Zinsen in der Eurozone, die den Gewinnen der Banken auf die Sprünge helfen, während sie die Hypotheken für viele Kunden verteuern. Das Ende der außergewöhnlich langen Zeit der negativen Zinsen den Kreditinstituten als Krisengewinn anzulasten, ist gewagt. Die Vorstände der großen Banken und Energiekonzerne wettern wenig überraschend gegen die Sonderabgaben und drohen juristische Schritte an. Sánchez nutzte diese Reaktionen als Vorlage für weitere harte Attacken. Er zitierte die Vorsitzenden der Bank Santander und des Versorger Iberdrola, Ana Botín und Ignacio Sánchez-Galán, sogar namentlich. „Wenn die protestieren, sind wir auf dem richtigen Weg“, frohlockte der Regierungschef.
Unabhängig davon, ob die vorübergehende Extrabesteuerung gerecht ist oder wirtschaftspolitisch Sinn macht, treibt Sánchez ein gefährliches Spiel, indem er diese zwei Branchen brandmarkt. Die Banken beklagen zu Recht eine Stigmatisierung. Trotz großer Bemühungen in den letzten Jahre, hat die Finanzbranche in Spanien weiterhin ein Imageproblem. Das geht auf die milliardenschwere Rettung nach dem Platzen der Immobilienblase zurück sowie auf Exzesse bei Hypothekenverträgen, die von den Gerichten gekippt wurden, bis zur massiven Schließung von Filialen, die viele Menschen auf dem Land ohne Service gelassen haben. Die Banken sind also ein leichtes Opfer für populistische Schuldzuweisungen. Die Linksregierung verdrängt mit den Sondersteuern derweil die Tatsache, dass sie die mit Brüssel vereinbarte große Steuerreform vor sich herschiebt. Würde man an Körperschaft-, Einkommen- oder Mehrwertsteuer drehen, wären ungleich mehr Menschen, sprich Wähler, betroffen. Da ist es politisch rentabler, nur eine begrenzte Zahl von Unternehmen zur Kasse zu bitten.(Börsen-Zeitung, 6.8.2022)