Währungen

Schweiz trotzt Franken-Stärke

Trotz des starken Anstiegs des Euro zum Franken ist es der Schweizer Industrie seit der Einführung der Gemeinschaftswährung gelungen, ihre Exporte um 50% zu steigern.

Schweiz trotzt Franken-Stärke

Damals, als der Euro noch frisch und knusprig war, hatte sich kaum ein Ökonom gewagt vorauszusagen, was in diesen Tagen Tatsache wird: Für einen Franken gibt es inzwischen mehr als einen Euro. Die Gemeinschaftswährung hat seit ihrer Entstehung vor gut 20 Jahren um rund 60% zum Franken abgewertet. Über diese Zeitperiode haben sich Produkte aus Schweizer Fabrikation im Ausland somit um durchschnittlich rund 3% pro Jahr verteuert. Natürlich war die Entwicklung inflationsbereinigt etwas weniger dramatisch. So sind die Preise in der Eurozone zwischen den Jahren 2000 und 2021 im Mittel etwa um 1,7% pro Jahr gestiegen, in der Schweiz nur um ca. 0,4%.

Dennoch: Der Franken ist seit der Schaffung des Euro auch real teurer geworden, was für die exportorientierte Schweizer Industrie selbstredend eine schwere Bürde darstellte. Dass sich die traditionell überaus wertschöpfungsintensiven Branchen wie die Pharmaindustrie mit dieser Situation gut zurechtfinden konnten, stellt keine Überraschung dar. Erstaunlich ist hingegen, wie gut sich auch stark wechselkursexponierte Wirtschaftszweige in diesem Umfeld behaupten konnten. Ein Paradebeispiel ist die Kunststoffindustrie. Nach der grauen ökonomischen Theorie dürfte es diese Branche in der Schweiz gar nicht mehr geben. Seit Jahren kämpft sie mit einem immensen Franken-Problem. Unter Anwendung des sogenannten Fair-Value-Modells, mit dem sich berechnen lässt, zu welchem Wechselkurs ein Kunststoffprodukt made in Switzerland gleich teuer wäre wie das gleiche Produkt made in EU, beträgt die Überbewertung des Franken zum Euro rund 50%.

Vor diesem Hintergrund erweist sich deren Widerstandskraft schon fast als phänomenal. Im Vergleich zum Jahr 2012, als die Euro-Schuldenkrise ihren letzten Höhepunkt erreichte und den Franken-Kurs schon damals zeitweilig auf Parität zum Euro steigen ließ, ist die Zahl der Beschäftigten in der Kunststoffbranche mit gut 33000 nahezu konstant geblieben. In der gleichen Zeit sind die Exporte um rund 10% auf 3,6 Mrd. sfr im Jahr 2021 gestiegen. Einen gewichtigen Anteil an diesem Erfolg hat zweifellos die Zunahme der Produktivität. So hat sich der Umsatz pro Kopf seit 2012 um rund 15% auf über 500000 sfr erhöht. Allgemeine Betrachtungen dieser Art sind selbstredend immer auch mit Vorsicht zu genießen. So kann es statistische Verzerrungen durch die Leistungen von Großunternehmen geben, die mit ihrem Leistungsangebot über eine besondere Exportstärke und Preissetzungsmacht verfügen. Doch gerade in der Kunststoffbranche bilden typische Klein- und Mittelbetriebe die dominierende Kraft. Rund zwei Drittel aller Beschäftigten arbeiten in Unternehmen mit höchstens 250 Mitarbeitenden. Offensichtlich gelingt es seit vielen Jahren auch vielen kleineren Betrieben erstaunlich gut, der Geißel des teuren Franken zu trotzen. Tatsächlich haben die Exporte der Schweizer Industrie seit der Einführung des Euro um rund 50% zugenommen, bei einem ungefähr gleich schnellen Anstieg des handelsgewichteten Frankenkurses.

Die naheliegende Erklärung dafür ist die Spezialisierung. Diese lässt sich anhand eines internationalen Vergleichs der Exportperformance ziemlich genau ausmessen. Ein Indikator dafür ist der sogenannte „Revealed Comparative Advantage“ (RCA), entwickelt vom ungarisch-amerikanischen Ökonomen Béla Balassa. Dieser zeigt unter Verwendung der relativen Exportleistung pro Branche, in welchen Wirtschaftszweigen ein Land über kompetitive Vorteile verfügt.

Nicht viele Länder haben die Spezialisierung in den vergangenen Jahrzehnten so weit vorangetrieben wie die Schweiz. So hat sich die Anzahl wichtiger Produktklassen, in denen die Schweiz im Vergleich zur restlichen Welt einen komparativen Vorteil aufweist, zwischen 1995 und 2019 von 80 auf nur mehr 40 Güterklassen halbiert. Abgestiegen sind zum Beispiel diverse Textilerzeugnisse, Aluminiumprodukte, aber auch Kunststofffabrikate. Überlebt haben in diesen Branchen nur Betriebe, denen es gelungen ist, durch Spezialisierung und Kundenorientierung eine Preissetzungsmacht zu erarbeiten. Erfolgreiche Schweizer Kunststoffverarbeiter verkaufen im internationalen Markt deshalb längst nicht mehr primär den verarbeiteten Werkstoff, sondern vielmehr kundenspezifische Lösungen in ausgewählten Nischen. Diese Art der Spezialisierung hat der Schweiz beträchtliche Wohlstandsgewinne gebracht. Die Kehrseite ist, dass das Land damit anfälliger für schockartige Veränderungen in der Weltwirtschaft geworden ist. Eine andere Wahl gab es nie.

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