Selbst schuld
Die gute Nachricht aus Sicht der Airlines vorweg: Die im EU-Klimapaket „Fit for 55“ vorgesehene Kerosinsteuer wird wohl nicht kommen. Denn sie muss von den Mitgliedstaaten einstimmig abgesegnet werden und irgendeines der 27 Mitglieder schert derzeit immer aus.
Die schlechte Nachricht: Daran, dass der politische Druck nun erhöht wird, ist die Airline-Branche nicht ganz unschuldig. Jahrelang haben europäische Fluggesellschaften wenig getan, um den Klimaschutz voranzutreiben. Zwar hatte es in dem ein oder anderen Unternehmen ambitionierte Pläne etwa zu nachhaltigen Kraftstoffen gegeben, die aber schnell wieder in den Schubladen verschwanden.
Die von der EU vorgesehenen Klimaschutzmaßnahmen – verschärfter Emissionshandel sowie Mindestquoten für nachhaltige Treibstoffe – werden bei den Airlines auch ohne Kerosinsteuer die Kosten in die Höhe treiben. Nachhaltige Kraftstoffe sind deutlich teurer als herkömmliches Kerosin und künftig müssen alle Zertifikate für den Emissionshandel bezahlt werden. Es muss sich dann noch zeigen, ob die Fluglinien die höheren Kosten an ihre Passagiere weitergeben können oder ob der höhere Aufwand nicht doch kräftig an den Renditen zehrt. Zudem geht die Angst vor Wettbewerbsverzerrung um, denn bisher geht Europa mit den Klimaschutzmaßnahmen allein voran, was Fluglinien aus anderen Regionen Wettbewerbsvorteile verschaffen dürfte.
Ziemlich kniffelig wird es bei der Umsetzung der Ziele für nachhaltige Treibstoffe. Von Lufthansa-Chef Carsten Spohr stammt das Bonmot, dass der letzte Liter Erdöl wahrscheinlich in einer Flugzeugturbine verbrannt werde. Zu hoch ist der Energiebedarf der schweren Jets beim Start, als dass bereits heute ausreichend Ersatz für die energiedichten fossilen Brennstoffe existierte. Der Spagat, der gelingen soll, lautet: Synthetisches Kerosin in großen Mengen herstellen, ohne die Kosten fürs Fliegen ins Unermessliche steigen zu lassen. Die Herstellungsverfahren sind technisch weitestgehend erprobt, doch bislang sind die Kraftstoffe weder in relevanten Mengen noch zu marktüblichen Preisen erhältlich. Geht es um nachhaltig produziertes Flugbenzin werden die Erzeuger sich zudem in die lange Warteschlange derer einreihen müssen, die am Ende für ihre Produktionsabläufe nachhaltig erzeugten Strom brauchen, der vermutlich auf Sicht nicht im benötigten Umfang vorhanden sein wird. Die hehren Ziele, die sich etwa die deutsche Bundesregierung in Sachen Wasserstoff oder Batterieantrieb auf die Fahnen geschrieben hat, bringen die Luftfahrt nicht weiter, denn beides ist für Flugzeuge kurz- und mittelfristig kaum umsetzbar. Bei dem Bedarf eines Jets wären die Wasserstofftanks riesig und die Batterien zu schwer.
Angesichts der nun absehbaren Belastungen ist in der Luftfahrtbranche lautes Jammern und Klagen ausgebrochen. Gerade die deutsche Luftfahrtindustrie muss sich indes vorwerfen lassen, das Thema bisher eher unambitioniert angepackt zu haben. Die von der Industrie gerühmte „Roadmap“ des Bundesverbandes der Deutschen Luftverkehrswirtschaft passt da ins Bild: Die Menge an nachhaltigem Treibstoff, die sich die Branche mit der Bundesregierung für 2030 vorgenommen hat, reicht gerade mal für ein Drittel des Inlandsverkehrs.
Auch Marktführer Lufthansa spricht zwar viel über neue Flugzeuge, die die Emissionen senken werden, wirklich innovativen Ideen gegenüber ist das Unternehmen allerdings nicht besonders aufgeschlossen. Hat sie vor zehn Jahren unter dem damaligen Vorstandschef Christoph Franz etwa noch mit dem Start-up Caphenia zusammengearbeitet, das ein neues Verfahren zur Herstellung von nachhaltigem Treibstoff entwickelt hat, hat CEO Spohr diese Kooperation wieder abgewickelt. Andere machen vor, wie es geht, und sie kommen nicht aus Europa: Die US-Fluggesellschaft United Airlines gehört seit Neuestem zum Investorenkreis der schwedischen Firma Heart Aerospace, die ein voll elektrisch betriebenes Regionalflugzeug entwickelt. In den USA lässt der Gesetzgeber die Fluglinien übrigens bisher in Ruhe, was Klimaschutz angeht. Wenn die Unternehmen wie jetzt United weiter selbst aktiv werden, dürfte das auch so bleiben.
Dagegen haben die Europäer die Zeit vor dem EU-Klimapaket weitgehend ungenutzt verstreichen lassen. Wenn Willie Walsh, der Präsident des Airline-Verbandes IATA, als Reaktion auf „Fit for 55“ nun erklärt, man brauche keine Strafmaßnahmen wie Steuern, um Veränderungen voranzutreiben, möchte man ihm zurufen: Anscheinend doch.