Sinneswandel
Inflation und Stagflationsrisiko oder doch eher Rezessionsgefahr – das ist die Gemengelage, die die Diskussion an den Bondmärkten bestimmt. Hierzulande ist in dieser Woche bei der Teuerungsrate schon fast die Acht vor dem Komma zu sehen. Das ist Wasser auf die Mühlen all derer, die sowieso seit Monaten aufgrund der Teuerungsentwicklung eine schärfere Gangart der Notenbanken fordern, die ja auch schon eingetreten ist bzw. mit Blick auf die EZB im dritten Quartal dann eintreten wird: höhere Leitzinsen als Reaktion auf die höchsten Teuerungsraten seit Jahren bzw. seit Jahrzehnten. Ihren Ursprung nahm die Inflationsentwicklung in der Covid-19-Pandemie, ihre Verstärkung bekam sie durch den Ukraine-Krieg. Energie- und Rohstoffpreisexplosionen, unterbrochene Lieferketten, Produktmangel etc. sind nur drei Stichwörter für die Preisentwicklung, die allerorten zu beobachten ist.
Die Renditen am Bondmarkt gemessen an Staatsanleihen, Festzinspapieren staatsnaher Emittenten, supranationaler Adressen, Banken oder Unternehmen sind als Reaktion hierauf in den vergangenen Wochen und Monaten deutlich gestiegen. Denn der Bondmarkt nimmt diese Entwicklung, d.h. die restriktivere Gangart der Notenbanken in Form höherer Leitzinsen vorweg. Im zehnjährigen Laufzeitenbereich der Bundesanleihen werden schon mehr als 1% an laufender Verzinsung gemessen. So viel gab es zuletzt im Juni 2015. Danach hieß es doch überwiegend entlang der Renditestrukturkurve der sicheren Staatsanleiheemittenten in der Eurozone, aber auch anderswo: Negativzins – also Parkgebühren für die Anlage des Geldes bei einer sicheren Adresse, die auf jeden Fall zurückzahlt. Doch das scheint der Vergangenheit anzugehören.
Immer mehr Auguren, Volkswirte und Marktakteure stellen sich darauf ein, dass die Renditen von Anleihen – von Staat bis Unternehmen – weiter steigen. Aber so richtig Fahrt aufnehmen will der Renditeanstieg an den Märkten dann wohl doch nicht. Denn oberhalb von 1% bei der zehnjährigen Bundrendite wird die Luft offenkundig dünn. Und an manchen Tagen ist dann zu beobachten, dass die Renditerücksetzer doch recht heftig ausfallen können. Am Markt schein sich mehr und mehr ein Sinneswandel zu vollziehen. Die Covid-19-Pandemie hat zwar einen Inflationsschub ausgelöst, sie hat aber auch konjunkturelle Beeinträchtigungen mit sich gebracht. Mehr gespielt wurde an den Bondmärkten aber immer die Inflations- und weniger die Wachstumskarte. Auch der Ukraine-Krieg hat der Inflation über die bekannten Kanäle noch einen weiteren Schub verliehen. Aber er führt Marktteilnehmern auch vor Augen, welche wirtschaftlichen Implikationen damit verbunden sind. Das macht es den Notenbanken natürlich nicht einfach zu reagieren. Stagflation steht im Raum, also Inflationsraten über Gebühr bei gleichzeitiger Wachstumsverlangsamung bzw. eben Stagnation der konjunkturellen Tätigkeit. Und mehr und mehr spielt der Bondmarkt nun auch nicht mehr nur die Stagflation, sondern auch die Rezession. Abzulesen ist das an den Renditestrukturkurven der Staatsanleihen sicherer Emittenten wie den USA oder dem Bund: Flach sind sie. Das bedeutet, der Markt preist die konjunkturelle Verlangsamung ein. Dann müssten die Notenbanken nicht mehr so restriktiv reagieren, die Leitzinsen müssten zur Bekämpfung der Inflation nicht so weit heraufgeschraubt werden. Der Bondmarkt signalisiert dies mit nicht so stark steigenden oder sogar stabil bleibenden Renditen.
Immer mehr macht am Markt aber auch das R-Wort die Runde, also die möglicherweise eintretende Rezession. Dann könnte es auch zu wieder fallenden Renditen der Bonds in praktisch allen Emittentensegmenten kommen. Notenbanken müssten dann der Wirtschaft mit niedrigeren Leitzinsen unter die Arme greifen. Der Markt nimmt dies mit niedrigeren Anleiherenditen vorweg. Besonders deutlich wird dies an inversen Zinsstrukturkurve, also niedrigeren langfristigen Zinsen im Vergleich zu den kürzerfristigen Bondrenditen. In den USA ist die Kurve im Staatsanleihebereich im vorigen Monat schon invertiert – zwar nur kurz, aber immerhin. In der Vergangenheit war dies ein recht verlässliches Konjunktursignal, gingen Rezessionen mit schöner Regelmäßigkeit doch inverse Zinskurven voraus mit einem Vorlauf von einigen Quartalen. Ein Signal fehlt aber noch: Unternehmen bevorraten für solche Phasen gern Liquidität. Aber ist anzumerken, dass sie in den vergangenen Jahren gut bevorraten konnten, zu sehr günstigen Konditionen. Gut möglich, dass viele Adressen das nun nicht mehr brauchen.