Sonderkonjunktur verschönt Hapag-Lloyds Firmenjubiläum
Von Carsten Steevens, Hamburg
Glücklicher kann ein Firmenjubiläum kaum fallen als das von Hapag-Lloyd an diesem Freitag. Nach einer wechselvollen Geschichte, in deren Verlauf die Flotte der Traditionsreederei infolge der Weltkriege zweimal vollständig neu aufgebaut werden musste, in deren Verlauf der technische Wandel tiefgreifende Änderungen am Geschäftsmodell erforderte und in deren Verlauf auch ein Verkauf an ausländische Investoren verhindert und der Status als eigenständiges Unternehmen mit Sitz in Hamburg bewahrt werden konnte, präsentiert sich das weltweit derzeit fünftgrößte Containerschifffahrtsunternehmen heute zum 175. Jahrestag der Gründung der „Hamburg-Amerikanischen Packetfahrt-Actien-Gesellschaft“ durch Hamburger Kaufleute in glänzender Verfassung.
Das Unternehmen verbuchte 2021 mit 9,1 Mrd. Euro den größten Jahresgewinn seiner Historie und steuert nach dem bislang besten ersten Quartal auf ein noch höheres Ergebnis im laufenden Turnus zu. Das im vorigen Jahr um 9,4 Mrd. auf gut 16 Mrd. Euro gesteigerte Eigenkapital entspricht einer Eigenkapitalquote von über 60%. Die Nettoverschuldung wurde vollständig abgebaut, Ende 2021 belief sich die Nettoliquidität auf 2,2 Mrd. Euro. Mit den signifikant verbesserten Bilanzkennzahlen, die Ratingagenturen im vorigen und auch in diesem Jahr zu Hochstufungen der Bonitätsnoten veranlasst haben, sieht sich Hapag-Lloyd heute unter den finanziell stabilsten Linienreedereien weltweit.
Doch beruht der aktuelle Höhenflug der Hamburger wie der anderer großer Containerschifffahrtsgesellschaften zu einem erheblichen Teil auf Folgen der Coronakrise – und damit auf einer Sonderkonjunktur für die Branche. Die Pandemie hat zu einer deutlichen Verschiebung der Haushaltsausgaben weg von Dienstleistungen hin zu Konsumgütern geführt. Hohe Nachfrage traf und trifft auf limitierte Transportkapazitäten. Bei einer Transportmenge, die bei Hapag-Lloyd 2021 infolge angespannter Lieferketten mit fast 12 Mill. Standardcontainern (TEU) nahezu dem Vorjahresniveau entsprach, legte die durchschnittliche Frachtrate um rund 80% von 1115 auf 2003 Dollar/TEU zu. Kunden waren bereit, in etwa doppelt so hohe Preise für den Containertransport zu bezahlen wie noch im ersten Coronakrisenjahr 2020.
An der Börse kamen und kommen die Entwicklungen prächtig an: Verdreifachte sich der Hapag-Lloyd-Aktienpreis 2021 auf knapp 280 Euro, ist der Kurs im bisherigen Verlauf dieses Jahres bereits um mehr als 50% gestiegen. Mit einer Marktkapitalisierung von mehr als 77 Mrd. Euro lägen die Hanseaten unter den Dax-Werten weit vorn. Doch dem Index gehört die Reederei nicht an, denn der Streubesitzanteil liegt bei niedrigen 3,6%.
Über massive Kursgewinne seit dem Börsengang am 6. November 2015 – der Hapag-Lloyd-Emissionspreis lag bei 20 Euro – können sich vor allem die drei Ankeraktionäre freuen: der Logistikunternehmer Klaus-Michael Kühne, die ebenfalls mit derzeit 30% beteiligte chilenische CSAV als Teil der Quinenco-Holding der Familie Luksic sowie die Stadt Hamburg, deren Anteil bei 13,9% liegt. Gerade Kühne und Hamburg, die 2008 gemeinsam mit anderen Institutionen aus der Hansestadt in einem Konsortium erreichten, dass die Tui Hapag-Lloyd nicht nach Singapur losschlug, mussten im Verlauf einer langen Schifffahrtskrise, die eine Folge der Lehman-Pleite 2008 war und infolge eines ruinösen Wettbewerbs 2014 in eine mehrere Jahre andauernde Branchenkonsolidierung mündete, viel Geduld aufbringen.
Inzwischen rentiert sich das Engagement grandios, wie die von der Hauptversammlung am Mittwoch gebilligte Verzehnfachung der Dividende für 2021 auf 35 Euro je Aktie verdeutlicht: 6,2 Mrd. Euro fließen an die Aktionäre; die Ausschüttungsquote von rund 68% bezogen auf den Konzerngewinn liegt deutlich über dem Mindestziel von Hapag-Lloyd von 30%. Allein die diesjährige Dividende würde für den im März und April bekannt gewordenen gut zehnprozentigen Einstieg Kühnes bei der Lufthansa reichen. Hamburg helfen die sprudelnden Gelder vom Ballindamm in Anbetracht erhöhter Unsicherheiten infolge von Pandemie und Ukraine-Krieg zum passenden Zeitpunkt bei den Haushaltsplanungen.
In diesem Umfeld sind Bekenntnisse der Großaktionäre zu der Reederei kaum überraschend. Hamburg werde Ankeraktionär bleiben, unterstrich der Erste Bürgermeister Peter Tschentscher bei einem Empfang im Rathaus vor 350 Gästen anlässlich des 175-jährigen Reederei-Jubiläums – es klang so, als gelte dies noch für eine lange Zeit. Hapag-Lloyd habe maßgeblichen Anteil an Entwicklung und Erfolg des Hamburger Hafens, „der uns und ganz Deutschland wirtschaftliche Kraft, Sicherheit und Unabhängigkeit bietet“, so der SPD-Politiker. Auch Kühne und Quinenco-Chef Andrónico Luksic demonstrierten bei dem Empfang ihre Verbundenheit mit der Reederei.
Dem 1970 aus der Fusion der Hapag mit dem Norddeutschen Lloyd aus Bremen entstandenen heutigen Unternehmen steht in den nächsten Jahren – wie der Containerschifffahrt insgesamt – eine beschleunigte Einstellung auf Nachhaltigkeit mit Auswirkungen auch auf die Flotte bevor. Dafür sollte die derzeit günstige Lage auch vordringlich genutzt werden.