Logistik

Sorgen um Hamburgs Hafen

Der Hamburger Terminalbetreiber HHLA strebt eine Partnerschaft mit dem chinesischen Staatskonzern Cosco an. Der Deal täte dem Aktienkurs wohl gut. Ihn durchzuwinken, wäre fahrlässig.

Sorgen um Hamburgs Hafen

Als vor rund 13 Monaten bekannt wurde, dass der in Hongkong börsennotierte Terminalbetreiber Cosco Shipping Ports (CSPL) eine Minderheitsbeteiligung von 35% am kleinsten der drei Hamburger Containerterminals der Hamburger Hafen und Logistik AG (HHLA) erwerben wolle, schlug die Ankündigung kaum Wellen. Russland hatte den Angriffskrieg in der Ukraine noch nicht begonnen. Die geopolitischen Risiken auch im Zusammenhang mit China wurden im Westen anders bewertet als heute. HHLA-Vorstandschefin Angela Titzrath hob bei der Vorstellung der geplanten Transaktion auf die starken Veränderungen in der maritimen Welt ab. Langjährige und vertrauensvolle Kundenbeziehungen, wie sie der Hamburger Hafen- und Logistikkonzern seit 40 Jahren im Warenverkehr mit China pflege, seien deshalb besonders wichtig. Die Beteiligung, so hieß es, stärke die Kundenbeziehung mit dem chinesischen Kunden Cosco, laut dem Branchendienst Alphaliner mit einem Anteil von 11,1% an den weltweiten Transportkapazitäten aktuell vor der Hamburger Hapag-Lloyd die Nummer 4 unter den Containerreedereien. Zudem werde nachhaltige Planungssicherheit für den Containerterminal Tollerort mit seinen rund 600 Beschäftigten geschaffen. Denn mit der Beteiligung soll Tollerort zu einem bevorzugten Umschlagpunkt von Cosco in Europa werden.

Ein wesentlicher Punkt für den Hamburger Hafen, der als wichtigster logistischer Knotenpunkt für den maritimen und den kontinentalen Warenverkehr zwischen China und Europa gilt. Nahezu jeder dritte Container, der in der Hansestadt über die Kaikanten geht, ist für den chinesischen Markt bestimmt oder stammt aus China. Hamburg und mithin die HHLA, die sich zu 69% im Besitz der Stadt befindet, setzen in Anbetracht bereits lang anhaltender Marktanteilsverluste beim Containerumschlag darauf, dass die strategische Partnerschaft mit Cosco die Position des größten deutschen Seehafens im Wettbewerb der Häfen in der europäischen Nordrange stärkt.

Gängige Beteiligungen

Dass die Ankündigung des Deals zwischen HHLA und CSPL vor Jahresfrist keine große Aufmerksamkeit fand, lag indes auch an der üblichen Praxis von Reederei-Beteiligungen an Hafenterminals. Große Containerschifffahrtsgesellschaften wie Mærsk aus Kopenhagen sind an für sie wichtigen Standorten längst in Häfen beteiligt. Die Hamburger Reederei Hapag-Lloyd kündigte allein seit Beginn der Coronakrise Beteiligungen am Jade-Weser-Port in Wilhelmshaven sowie an einem geplanten Terminal im Hafen von Damiette/Ägypten an, das 2024 in Betrieb genommen und dem Branchenfünften als strategischer Umschlagplatz im östlichen Mittelmeerraum dienen soll. Cosco baute europaweit schon weit vor der Ankündigung des Geschäfts in Hamburg ein Netz an Hafenbeteiligungen auf. So erwarb CSPL in mehreren Schritten die Kontrolle im Hafen Piräus, den Griechenland im Zuge der Staatsschuldenkrise zum Verkauf gestellt hatte. Die Investitionen waren willkommen, auch in europäischen Partnerländern. An vier der fünf größten EU-Con­tainerhäfen ist CSPL inzwischen beteiligt, darunter in den Nordrange-Häfen Rotterdam und Antwerpen.

Jubel im Senat

Um die Bedeutung des geplanten Geschäfts in Hamburg für den Hamburger Hafen im Allgemeinen und für die HHLA im Besonderen einzuordnen, scheint ein Rückblick hilfreich. Vor 15 Jahren, am 2. November 2007, herrschte Jubelstimmung im Hamburger Senat. Die Aktie der HHLA war gerade 122 Jahre nach Gründung der Vorgängergesellschaft Hamburger Freihafen-Lagerhaus-Gesellschaft in den Börsenhandel gestartet – mit einem Kursplus von gut 11% über dem Platzierungspreis von 53 Euro. Der Börsengang mit der Platzierung von 31% der Aktien des Teilkonzerns Hafenlogistik sei ein „Meilenstein für Hamburgs Zukunft“, so Hamburgs damaliger Finanzsenator Michael Freytag (CDU). Der Hafen könne „jetzt seine Position im harten internationalen Wettbewerb nachhaltig ausbauen“. Bei der HHLA freute man sich in Anbetracht einer mehr als zehnfachen Überzeichnung des IPO, eines Emissionserlöses von knapp 1,2 Mrd. Euro zum Ausbau der Hafeninfrastruktur und einer Marktbewertung des Unternehmens von 3,7 Mrd. Euro, dass die „Wertschätzung unseres Geschäftsmodells und unserer Wachstumsstrategie“ die Grundlagen für die Fortsetzung des Expansionskurses nochmals verbessere.

Den großen Optimismus rund um die HHLA, die sich nicht nur als Gewinner, sondern auch als Treiber der Globalisierung sah, teilten viele Börsianer. Die Perspektiven für die Logistikbranche in den kommenden Jahren seien sehr positiv. Der Hamburger Hafen als östlichster Nordseehafen und Verkehrsknotenpunkt für den Ostseeraum und den Hinterlandtransport nach Mittel- und Osteuropa werde von der Entwicklung überproportional profitieren. Doch die Wachstumserwartungen sollten sich nicht erfüllen.

Bis 2007 hatte das Geschäft der Hafenlogistik vom starken Wachstum des weltweiten Frachtaufkommens, von sinkenden Transportkosten und dem Abbau von Handelshemmnissen profitiert. Die Containerschifffahrt hatte fast zwei Jahrzehnte als der am schnellsten wachsende Sektor in der globalen Schifffahrtsbranche hinter sich. Das zeigte sich international an den Kaikanten der Häfen. Mit einem im IPO-Jahr auf 9,9 (i.V. 8,9) Mill. TEU gewachsenen Umschlagvolumen rangierte Hamburg an neunter Stelle der weltweit größten Häfen. Während die Weltfinanzkrise 2008 mit der Pleite der US-Investmentbank Lehman Brothers kulminierte, hielt sich der Rückgang der Umschlagsmenge des größten deutschen Seehafens auf 9,7 Mill. TEU noch in Grenzen. Der Sturz folgte im Jahr darauf mit dem Einbruch der Weltkonjunktur und des globalen Handels, der 2009 infolge der schwersten Rezession seit dem Zweiten Weltkrieg um 12% schrumpfte, wie der Internationale Währungsfonds (IWF) feststellte. Der Einbruch ließ den weltweiten Containerumschlag um 10% zurückfallen. Der Umschlag im Hamburger Hafen sackte gar um 28% auf 7 Mill. TEU und damit auf das Niveau des Jahres 2004 ab.

Kurssturz in der Krise

In der Liste der führenden Häfen, in der in den Jahren zuvor vor allem chinesische Häfen durch starkes Wachstum auf die vorderen Plätze gerückt waren, rutschte Hamburg von Rang 11 auf 16 zurück. Verglichen mit Rotterdam und Antwerpen, die in der Konjunkturkrise als Westhäfen in der Nordrange von ihrer stärkeren Ausrichtung auf die Versorgung stabilerer Märkte in Westeuropa profitierten, musste der Hamburger Hafen vor allem durch seine Funktion als Drehscheibe für den Warenaustausch mit krisenanfälligeren Märkten in Osteuropa große Mengenverluste hinnehmen. Fahrtgebiete, durch die Hamburg in den Jahren zuvor stark gewachsen war, brachen vergleichsweise kräftig ein. Das trug im Ergebnis auch dazu bei, dass der Kurs der HHLA-Aktie bis Anfang März 2009 auf unter 17 Euro fiel – obwohl es der Hafenkonzern auch im Jahr des Krisentiefs noch auf eine zweistellige operative Marge schaffte.

Nach einem Zwischenhoch erreichte das Papier 2012 neue Tiefstände, obwohl die HHLA auf eine solide Bilanzstruktur mit niedrigem Verschuldungsgrad und auf durchgängig gezahlte Dividenden seit dem Börsengang verweisen konnte. Unsicherheiten im Zusammenhang mit einer weiteren Elbvertiefung, die für den Zugang immer größer werdender Containerschiffe zum Hamburger Hafen für notwendig gehalten wurde, drückten auf den Kurs. Wie das Unternehmen zeigten sich Investoren von einer Gerichtsentscheidung enttäuscht, die neuerliche Elbfahrrinnenanpassung nach einem bereits mehrjährigen Planfeststellungsverfahren zunächst zu stoppen. Zudem belasteten Konjunktursorgen und die sich in die Länge ziehende Schifffahrtskrise aufgrund von Überkapazitäten.

Zugangsbeschränkungen

In den Folgejahren verlor Hamburg beim Containerumschlag stetig Marktanteile, seit 2014 kommt auch Antwerpen auf höhere Zahlen. 2021 legte Rotterdam als größter europäischer Containerhafen um 6,6% auf 15,3 Mill. Standardcontainer (TEU) zu, der Hamburger Hafen um 2,2% auf 8,7 Mill. Im vergangenen Jahr lag Hamburg unter den größten Häfen der Welt noch an 19. Stelle. Zwar wurde die Elbfahrrinnenanpassung, die nun 13,50 Meter tief gehenden Containerschiffen eine tideunabhängige Erreichbarkeit des Hamburger Hafens ermöglicht, Anfang dieses Jahres abgeschlossen. Die Anfälligkeit der für den Hafen kritischen Infrastruktur wurde zuletzt aber wieder sichtbarer, weil der Fluss schneller neu verschlickt und Behörden mit Engpässen bei den Baggerkapazitäten kämpfen. Hinzu kommt, dass das am stärksten automatisierte HHLA-Containerterminal Altenwerder, an dem Hapag-Lloyd mit einem Anteil von 25% beteiligt ist, aufgrund der 1974 eröffneten Köhlbrandbrücke inzwischen für die größten Containerschiffe nicht erreichbar ist. Ersatzbauten wie ein neuer Hafentunnel lassen noch länger auf sich warten. Die Nordrange-Häfen Rotterdam und Antwerpen punkten indes neben einfacher erreichbaren Abfertigungsanlagen weiterhin mit Kostenvorteilen. Der Tarifabschluss in diesem Jahr hat den Nachteil des Hamburger Hafens noch vergrößert.

In dieser Gemengelage und vor dem Hintergrund eines an Dynamik verlierenden Welthandels ist der Aktienkurs der HHLA im bisherigen Jahresverlauf um fast 45% auf rund zuletzt 11,78 Euro gesunken. Der Hafenkonzern, dessen Aktie im Juni 2013 erst aus dem MDax und im September 2021 auch aus dem SDax ausschied, profitiert beim Ergebnis derzeit von temporär erhöhten Lagergelderlösen aufgrund überdurchschnittlich langer Verweildauern der Container auf den Anlagen des Unternehmens. Infolge der Störungen in den internationalen Lieferketten wird 2022 mit einem stagnierenden Containerumschlag an den eigenen Terminals gerechnet. Gespräche mit den Eigentümern des Konkurrenten Eurogate, über eine Kooperation im deutschen Containergeschäft die Wettbewerbsposition zu verbessern, wurden nach zweijährigen Verhandlungen Anfang dieses Sommers mit Verweis auf die aktuelle geopolitische Situation auf unbestimmte Zeit vertagt.

Hamburger Hoffnungen

Der Hauptaktionär Hamburg und die HHLA, die nach dem Angriff Russlands auf die Ukraine das Geschäft am 2001 übernommenen Terminal im Schwarzmeerhafen Odessa ausgesetzt hat, setzen mit Blick auf die wirtschaftliche Entwicklung des Hafens nun darauf, dass der vor Jahresfrist angekündigte Cosco-Deal die Auslastung am kleinsten der drei Hamburger Containerterminals mit seinen vier Liegeplätzen stärkt und in Kürze von der Bundesregierung genehmigt wird. In Anbetracht massiver Kritik auch aus den Reihen der Berliner Ampelkoalition an der möglichen Beteiligung des chinesischen Staatskonzerns in den vergangenen Wochen sah sich das Unternehmen noch zuletzt auch öffentlich zu dem Hinweis veranlasst, es werde nicht der Hamburger Hafen an China verkauft, sondern Minderheitsanteile an der zum Konzern gehörenden Betriebsgesellschaft Container Terminal Tollerort (CTT). CSPL erlange keinen Zugriff auf den Hamburger Hafen oder die HHLA. Die HHLA behalte bei der Tochter die alleinige Kontrolle über alle wesentlichen Entscheidungen, Cosco habe an dem Terminal keine Exklusivrechte. CSPL erhalte auch keinen Zugriff auf strategisches Know-how. Die Hafeninfrastruktur verbleibe im Eigentum der Stadt, IT- und Vertriebsdaten blieben allein in der Verantwortung der HHLA. Die Zusammenarbeit zwischen HHLA und Cosco schaffe keine einseitigen Abhängigkeiten, sondern stärke Lieferketten, sichere Arbeitsplätze und fördere Wertschöpfung in Deutschland.

Die HHLA monierte, in dem seit einem Jahr laufenden Verfahren seien keine sachlichen Gründe genannt worden, die gegen eine Freigabe der Investition sprechen würden. Doch Bedenken an dem Geschäft waren und sind berechtigt. Sie führen nun offenbar auf eine Teiluntersagung zu. Der chinesische Staatskonzern soll sich nur mit maximal 24,9% an dem Hamburger Terminal beteiligen dürfen. In Anbetracht des Ukraine-Kriegs, der Anspruchshaltung Chinas mit Blick auf Taiwan sowie des von Deutschland wie von anderen europäischen Staaten inzwischen verfolgten Grundsatzes, China bei globalen Fragen nicht nur als Partner, sondern auch als Wettbewerber und Systemrivalen zu sehen, wäre ein Durchwinken der Transaktion unglaubwürdig und fahrlässig. „Es ist inzwischen offensichtlich, dass China eine stark staatlich gelenkte internationale Industrie- und Handelspolitik verfolgt, die sich an geopolitischen Interessen ausrichtet“, erklärt Rolf Langhammer, Handelsexperte am Kiel Institut für Weltwirtschaft (IfW Kiel). Vor dem Hintergrund einer Fülle von Konfliktpunkten, zu denen der Wissenschaftler unter anderem die chinesische Litauen-Diskriminierung, das Antierpressungsinstrument der EU, die Nichtinkraftsetzung des EU-Chi­na-Investitionsabkommens, das Sorgfaltspflichtengesetz zum Schutz von Arbeitnehmerrechten und Chinas Unterstützung Russlands zählt, müssten auch die internationalen Hafenbeteiligungen der Staatsbetriebs Cosco bewertet werden.

Geänderte Risiken

Für Deutschland und die EU ist dringend geboten: Über geänderte Risiken und Spielregeln muss debattiert werden. Der Westen sollte nach der Wiederwahl Xi Xinpings zum KP-Chef­ für eine bislang nicht vorgesehene dritte Amtszeit mögliche Folgen des Dominanzstrebens der Volksrepublik in Wirtschaft und Technologie, aber auch der militärischen Avancen etwa im südchinesischen Meer genau kalkulieren. Starke Abhängigkeiten in den Wirtschaftsbeziehungen zu vermeiden oder abzubauen, muss ein grundsätzliches Ziel sein. Dabei sollte die Bedeutung des EU-Binnenmarkts und das Interesse Chinas am Zugang zu diesem Markt berücksichtigt werden. Es gilt indes weiter: China ist der größte Handelspartner Deutschlands. Das Interesse, Geschäfte weiterzuentwickeln und sich nicht von dem Land mit der zweitgrößten Volkswirtschaft loszulösen, sollte weiterhin beträchtlich sein.

Vor diesem Hintergrund und in Anbetracht der Größenordnung der chinesischen Minderheitsbeteiligung am kleinsten Hamburger HHLA-Terminal unterhalb der Sperrminoritätsschwelle würde eine Genehmigung unter Auflagen, wie sie IfW-Experte Langhammer empfiehlt, plausibel erscheinen. Zu den Auflagen würde eine Garantie gehören, dass der Hamburger Senat Einblick in die von Cosco genutzte digitale Infrastruktur der Abwicklung des Handels hat und sie beeinflussen kann. Für die HHLA-Aktie wäre eine Genehmigung der Transaktion – 15 Jahre nach Börsengang – positiv, wie ein Warburg-Analyst anmerkte.

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