Transatlantische Entfremdung
Großbritannien
Transatlantische Entfremdung
Von Andreas Hippin
Die „Special Relationship“ mit den Vereinigten Staaten war stets recht einseitig. Zeit für Großbritannien, sich Europa zuzuwenden.
Der britische Premierminister Keir Starmer wird sich warm anziehen müssen. Nicht nur, weil dieser Winter zum Stresstest für die Energiepolitik seiner Regierung wird. Die „Special Relationship“ zwischen den Vereinigten Staaten und dem Vereinigten Königreich – die vermeintlich ganz besonderen Beziehungen der ehemaligen Alliierten des Zweiten Weltkriegs – wird durch die Wahl von Donald Trump zum US-Präsidenten auf eine harte Probe gestellt.
Tatsächlich war das Verhältnis zwischen London und Washington recht einseitig. Winston Churchill brachte den Begriff „Special Relationship“ 1946 auf. Dabei hatten die USA ihre schon damals an Bedingungen wie die langfristige Nutzung britischer Militärbasen geknüpfte Unterstützung des Verbündeten unmittelbar nach Kriegsende eingestellt.
„Finanzielles Dünkirchen“
Für die Labour-Regierung, die Churchill abgelöst hatte, war das ein Schock. Sie hatte nicht nur große Ausgaben im Inland zu stemmen. Großbritannien musste auch Lebensmittel an seine Kolonien und Kohle an das befreite Europa liefern. Zudem trug es die Verantwortung für die britische Besatzungszone in Deutschland.
Dem erschöpften und finanziell ausgebluteten Land blieb keine andere Möglichkeit, als das Anglo-American Financial Agreement zu unterzeichnen. Erst 2006 war der 3,75 Mrd. Dollar schwere Kredit abbezahlt. Ein gerechter Ausgleich für die Opfer, die Großbritannien im Krieg brachte, war in den Verhandlungen mit den USA nicht zu erreichen. Der Volkswirt John Maynard Keynes hatte bereits im März 1945 vor einem „finanziellen Dünkirchen“ gewarnt.
„Britain Trump“
Dennoch wurde das bilaterale Verhältnis immer wieder romantisiert. Nach der Volksabstimmung für den EU-Austritt bemühte sich der damalige Premierminister Boris Johnson darum, die „Special Relationship“ zu einem Freihandelsabkommen weiterzuentwickeln. Ohne Erfolg. Donald Trump, dem das Votum für den Brexit imponierte, versprach den Briten zwar die Pole-Position für Verhandlungen darüber. Doch am Ende war das wirtschaftliche Eigeninteresse größer als der Wunsch, seinem britischen Buddy, den Trump liebevoll „Britain Trump“ nannte, einen Gefallen zu tun.
Joe Biden nannte Johnson einen „physischen und emotionalen Klon“ von Trump und war noch weniger geneigt, den Briten entgegenzukommen. Zudem fühlte er sich der irischen Lobby in den USA verpflichtet und wurde nicht müde, seine irischen Wurzeln zu betonen.
Vor dem Scherbenhaufen
Nach dem spektakulären Comeback Trumps steht Labour vor einem Scherbenhaufen, was die transatlantischen Beziehungen angeht. Führende Politiker der Partei wurden in den vergangenen Jahren nicht müde, den künftigen US-Präsidenten zu beschimpfen. Außenminister David Lammy nannte ihn verblendet, unehrlich, ausländerfeindlich und narzisstisch. Hitler-Vergleiche und Charakterisierungen wie Lügner oder Möchtegern-Despot waren in der Partei gängig.
Von den persönlichen Anfeindungen einmal abgesehen droht handfester Ärger, was den britischen Verzicht auf den Chagos-Archipel im Indischen Ozean angeht. Dort befindet sich der US-Stützpunkt Diego Garcia. London will die Inseln Mauritius übergeben, einem Freund der Volksrepublik China, und hat dafür den Segen Bidens.
Wiederannäherung an Peking
Für den Stützpunkt gibt es zwar einen langjährigen Nutzungsvertrag, doch ist davon auszugehen, dass die neue US-Regierung das britische Vorgehen nicht hinnehmen wird. Auch die Wiederannäherung Großbritanniens an Peking wird in Washington nicht gut ankommen. Sie äußert sich unter anderem darin, dass der britische Markt Batterieautos aus der Volksrepublik offensteht.
Großbritannien bietet sich die Chance einer Neuorientierung. Zwar ist das links regierte Land auch im nach rechts rückenden Europa isoliert, doch sprechen die Erfahrungen mit Washington dafür, auf eine größere Annäherung an die EU setzen.