Tech-Schreck-Sozialismus
Die Stadtregierung von Chinas Finanzkapitale Schanghai hat sich einer ambitiösen Agenda in Sachen „Urban Soft Power“ verschrieben mit dem Anspruch, zu einer attraktiven „sozialistischen Metropole mit globalem Einfluss“ heranzuwachsen. Was die Attraktivität und den globalen Einfluss des Finanzplatzes Schanghai angeht, will man zumindest im asiatischen Raum unangefochten dastehen. Zuletzt ist das dortige Börsengeschehen wegen sozialistischer Anwandlungen, nämlich drakonischer Markteingriffe bei Chinas (bis dato) mächtigen Internet- und Technologieriesen, auch bei westlichen Marktteilnehmern zum Tagesgespräch geworden. Das kann man sicherlich als globale Einflussmehrung werten, allerdings unter einem eher abschreckenden Vorzeichen.
Peking geht es darum, die heimische Tech-Gemeinde mit ihren umtriebigen Entrepreneuren zu braven Parteisoldaten zu machen und sie einer vage umrissenen sozialen Verantwortung zu unterstellen, die ihre Turbogeschäftsmodelle torpediert. Die Kampagne hat ihren Ursprung im November 2020, als Peking sich dazu aufschwang, Chinas erfolgreichsten Tech-Gründer und Vorzeigekapitalisten Jack Ma zu demontieren. Dem von Ma großgezogenen Fintech-Riesen Ant Group machte man den weltgrößten Börsengang zunichte, während der Online-Händler Alibaba eine Milliardenstrafe wegen Marktmachtmissbrauch kassierte. Der Kreis der Adressaten von Restriktionen aus dem Tech-Lager ist immer mehr ausgeweitet worden, um dann im Juli – passend zum 100. Geburtstag der Kommunistischen Partei – regelrecht zu eskalieren.
Bei der Verkündung von wirtschaftspolitischen Zielsetzungen für das Jahr 2021 trat eine ominöse Formulierung zum Vorschein, der zufolge China die „ungeordnete Expansion des Kapitals“ einzudämmen gedenkt. Mittlerweile weiß man besser, was damit gemeint war. Mit den erratisch und teilweise emotionsgeladen wirkenden Interventionen des Staates wird praktisch das gesamte Spektrum chinesischer Tech-Firmen von einem Unsicherheitsstrudel erfasst, der eine gigantische Marktwertvernichtung mit sich bringt. Sie betrifft zwar in erster Linie die Börsen in Hongkong und New York, wo das Gros der bekannten chinesischen Tech-Unternehmen notiert, doch hat die Sorge vor einer immer weiter ausufernden Kampagne gegen Privatsektorfirmen auch den Anlegern auf dem Festland den Schneid abgekauft.
Prompt sah man eine panikgeladene Verkaufswelle, die den breiten Markt erfasste. In der „neuen Ära des Sozialismus chinesischer Prägung“ macht sich die Staatsführung aber auch zum Herrscher über das Kapitalmarktgeschehen und versucht mit allen möglichen Methoden, „Marktunruhen“ zu beseitigen. Das Spektrum reicht von massiven Medienkampagnen zur Anlegerbeeinflussung und Drohgesten an Baissespekulanten bis hin zu Liquiditätseinschüssen der Zentralbank sowie Stützungskäufen des „Nationalteams“ staatlicher Brokerhäuser und Fondsvehikel.
Das hat auch diesmal funktioniert, und der Markt fand rasch wieder einen Boden. Allerdings war der Leitindex CSI 300 zwischen Mitte Februar und Ende Juli um fast 20% zurückgekommen. Man ist also nur knapp an einem Bärenmarkt vorbeigeschrammt, ein ziemliches Kontrastprogramm zur Index-Rekordjagd in den USA und Europa. Chinas dirigistische Methoden haben es zwar erlaubt, am heimischen Aktienmarkt vorerst Schadensbegrenzung zu betreiben und damit auch internationale Investoren nicht völlig zu vergraulen. Man darf sich jedoch die Frage nach einem Vertrauensschaden stellen, dessen Spätfolgen für den Kapitalmarkt derzeit noch nicht absehbar sind.
Globaler Finanzplatzwettbewerb hat etwas mit gesteigerter Anziehungskraft für internationale Investoren zu tun, wofür es in China weiterer Öffnungsschritte bedarf. Hier fährt man seit jeher eine Salamitaktik und begnügt sich mit Liberalisierungshäppchen, die mit wortreichen Versprechen über noch anstehendes Reformpotenzial bei wachsender Marktzuwendung garniert werden. Peking ist sich anscheinend sicher, mit diesem Spielchen weiter durchzukommen. Schließlich bietet das Reich der Mitte gegenüber anderen Wirtschaftsräumen noch immer überlegene Wachstumsperspektiven und dazu den weltgrößten Verbrauchermarkt. Das hält ausländische Direktinvestoren, Bondkäufer und Aktienanleger bei der Stange. Wenn Chinas „Reformelan“ nun aber darin besteht, die dynamischsten Elemente der Privatwirtschaft zu schikanieren und Kapitalmarktmechanismen zu korrumpieren, muss irgendwann einmal eine neue Rechnung aufgemacht werden.(Börsen-Zeitung, 4.8.2021)