Teure neue Abhängigkeiten
Eine der vielen Nebenwirkungen des Ukraine-Krieges ist die verstärkte politische Anlehnung Deutschlands an die USA. Sie kommt nicht nur in einer gemeinsamen Position zur militärischen Unterstützung gegen den russischen Angriff auf das Nachbarland zum Ausdruck, sondern zieht auch eine wachsende „Gleichschaltung“ im Verhältnis zu China nach sich. Dessen Ambitionen als Technologiemacht und die – damit verknüpfte – Bedrohung der Unabhängigkeit Taiwans haben in den USA die Alarmglocken schrillen lassen und bereits eine Reihe harter wirtschaftlicher Sanktionen ausgelöst, die die chinesischen Unternehmen teilweise erheblich getroffen haben. Das gilt insbesondere für die Technologie-Ikone Huawei, deren Aufstieg zum weltgrößten Telekomausrüster umso mehr Anstoß erregte, als der umtriebige Konzern auch binnen weniger Jahre ein Smartphone-Geschäft aus dem Boden stampfte, das global zweitgrößter Lizenznehmer der Google-Systemsoftware Android war, und überdies die eigene Chiptechnologie bei künstlicher Intelligenz (KI) in Zusammenarbeit mit westlichen Schlüsselpartnern wie Arm vorantrieb.
Die schon unter Trump angestoßene „Sicherheitskampagne“ gegen Huawei, die zum Ausschluss des Konzerns aus den sogenannten Kernnetzen des 5G-Mobilfunkstandards in vielen westlichen Ländern geführt hat, wurde von den europäischen Telekomnetzbetreibern bereits mit mäßiger Begeisterung aufgenommen. Denn für sie hat sich der ohnehin oligopolistische Markt weiter verengt, auf im Wesentlichen zwei Komplettanbieter, Nokia und Ericsson, die entsprechend an der Preisschraube drehen konnten. Im Zuge wachsender Spannungen zwischen den USA und China sieht sich die Bundesregierung nun genötigt, ihr Sicherheitskonzept bei kritischer Infrastruktur zu überprüfen und zu verschärfen. Die bei den Telekomnetzbetreibern angefragte „Liste“ kritischer Komponenten, die bereits in den Netzen verbaut sind, gibt sich zunächst als diskriminierungsfrei, aber der damit verbundene Sicherheitskatalog könnte dazu führen, dass der chinesische Ausrüster darüber stolpert. Der neuerliche Vorstoß zur Bereinigung der kritischen Infrastruktur wird sowohl von den betroffenen Unternehmen als auch von der chinesischen Regierung als unverhüllte Eskalation in einem kalten Technologiekrieg wahrgenommen. Er hat erstmals öffentlich geäußerte Kritik Chinas nach sich gezogen, – ein direktes Warnsignal an Deutschland, dessen Wirtschaft in China starke Interessen und Abhängigkeiten hat, sich nicht zu sehr dem Diktat der USA zu beugen. Auch bei den Telekomnetzbetreibern weckt das verschärfte Sicherheitskonzept eher Missstimmung. Denn der Ausschluss bestimmter Komponenten chinesischer Hersteller aus dem neuen 5G-Netz hat die Ausbauherausforderungen bereits erhöht. Ein Rückbau bereits eingesetzter Komponenten, womöglich sogar aus dem 4G-Kernnetz oder aus dem Antennennetz, wäre für die Branche mit zeitlichem und finanziellem Aufwand verbunden. Die Ansage aus dem Bundesinnenministerium, dass das Gesetz einen Schadenersatz gegebenenfalls nicht vorgesehen hat, ist für die Branche ein teures Ärgernis.
Diese gegenwärtige politische Strategie stellt kaum die Unabhängigkeit kritischer Infrastruktur sicher. Sie macht sich zu offenbar abhängig von vermeintlich sicherheitspolitischen Vorgaben der westlichen Hegemonialmacht, die primär eigene handfeste wirtschaftliche Interessen verfolgt und dabei auf die Europäer wenig Rücksicht nimmt – wie auch der sogenannte Inflation Reduction Act zeigt. Ohne Zweifel sind hohe Sicherheitsanforderungen an kritische Telekommunikationsinfrastruktur geboten. Allerdings sollte dabei technische Expertise entscheidend sein. Komponenten, die die Gefahr von Ausfällen oder Cyberangriffen erhöhen, dürfen zu Recht auf eine schwarze Liste. Deren Umfang rein politisch motiviert auszudehnen hat allerdings für Deutschland und Europa absehbar hohe Opportunitätskosten, deren Wert sorgfältig abgewogen werden muss. Klar ist, dass eine verstärkte Abkopplung von chinesischer Technologie durch sogenanntes „Friendshoring“ oder gar Produktion in (West-)Europa nicht nur unmittelbar teuer wird wegen höherer Standortkosten, sondern mit zunehmender Wahrscheinlichkeit auch mittelbar – wenn beispielsweise Deutschland als einer der wichtigsten Märkte für Huawei in Europa die Daumenschrauben so stark anzieht, dass dies den Konzern empfindlich trifft, ist nicht auszuschließen, dass die chinesische Regierung, die in dem Konflikt bisher zurückhaltend blieb, doch an der ein oder anderen Stelle zurückschlägt. Angesichts der Bedeutung Chinas für große deutsche Unternehmen könnten die Treffer schmerzhaft sein. (Börsen-Zeitung, 16.3.2023)