Übers Ziel hinaus
Die Spannung ist groß, was US-Notenbankchef Jerome Powell am Freitagmorgen US-Ortszeit bei der Jackson-Hole-Konferenz der Fed via Liveschaltung zu sagen haben wird. Allen voran Finanzmarktteilnehmer gieren regelrecht nach Informationen über eine mögliche Drosselung der billionenschweren Anleihekäufe – das „Tapering“. Gut möglich ist aber, dass Powell sich noch nicht wirklich in die Karten schauen lässt, dass zumindest ein konkreter Zeit- und Ablaufplan erst etwas später verkündet wird. Dass das Tapering bevorsteht, scheint aber so sicher wie das Amen in der Kirche. Und das ist auch gut so. Es ist höchste Zeit für einen ersten Schritt zur Normalisierung der beispiellos lockeren Geldpolitik. Das gilt aber nicht nur für die Fed – sondern auch für die Europäische Zentralbank (EZB).
Im Kampf gegen die Corona-Pandemie und die dadurch ausgelöste Jahrhundertrezession haben Fed, EZB & Co. zu zuvor kaum vorstellbaren Maßnahmen gegriffen und insbesondere über Anleihekäufe Tausende Billionen Dollar ins globale Finanzsystem gepumpt. Im Konzert mit der Fiskalpolitik haben sie damit noch Schlimmeres verhindert. Tatsächlich stellte der wirtschaftliche Abschwung infolge der Coronakrise in Sachen Schärfe und globaler Synchronizität sogar die Große Depression der 1930er Jahre in den Schatten. Zwar mag bei mancher Einzelmaßnahme Kritik gerechtfertigt sein, und die sehr große Nähe der Geldpolitik zur Fiskalpolitik ist auf Dauer brandgefährlich. Alles in allem aber gebührt den Währungshütern für ihren Einsatz Anerkennung und Respekt.
Jetzt aber ist die Zeit reif, zumindest den Einstieg in den Ausstieg aus der ultralockeren Geldpolitik einzuläuten. Zwar ist die Pandemie leider noch immer nicht final ausgestanden. Aber die akute, schockhafte Krise scheint vorüber. Rund um den Globus erholen sich die Volkswirtschaften. Damit können und sollten sich aber auch die Notenbanken vom absoluten Krisenmodus abkehren. Das gilt umso mehr, als die Inflation stärker als erwartet anzieht. Zwar besteht für Panik oder Hysterie bislang kein Grund. Aber es wäre auch fahrlässig, das Risiko einer dauerhaft höheren Inflation auf die leichte Schulter zu nehmen. Und nicht zuletzt macht es durchaus Sinn, perspektivisch auch wieder Puffer aufzubauen und Handlungsspielraum zurückzugewinnen.
Das alles gilt in besonderem Maße für die Fed. Die US-Wirtschaft steuert 2021 auf ein stolzes Wachstum von 6% oder mehr zu und der Arbeitsmarkt erholt sich. Zwar schürt die Delta-Variante auch in den USA Konjunktursorgen. Aber bislang spricht vieles dafür, dass Delta den Aufschwung allenfalls etwas bremst, ihn aber nicht abrupt beendet. Zudem liegt die Inflation mit satten 5,4% auf einem mehrjährigen Hoch. Die Fed darf nicht den Fehler der 1970er wiederholen, als sie bei anziehenden Preisen zu lange tatenlos zuschaute. Das Herunterfahren der Anleihekäufe ist deshalb angemessen – und geboten. Im Übrigen bleibt die US-Geldpolitik auch dann noch sehr expansiv, schließlich verharrt der Leitzins vorerst bei quasi null.
Aber auch die EZB täte gut daran, sich mit Ausstiegsszenarien zu befassen und insbesondere einen Plan zu entwerfen, wie sie dereinst die Anleihekäufe beenden will. Zwar verliert die Euro-Wirtschaft momentan an Momentum. Aber das scheint mehr eine Normalisierung des Wachstums auf hohem Niveau, nicht der Beginn eines neuerlichen Abschwungs. 2021 und 2022 sind weiter jeweils mehr als 4% Wachstum drin. Zugleich mehren sich die Signale, dass der Inflationsanstieg auf aktuell 2,2% länger anhalten könnte. Derzeit gibt es deshalb keinen Grund, das Corona-Notfallanleihekaufprogramm PEPP über März 2022 hinaus zu verlängern. Aber auch das Anleihekaufprogramm APP sollte nicht zur Dauereinrichtung werden. Zinserhöhungen hingegen sind im Euroraum sicher noch viel stärker als in den USA Zukunftsmusik. Aber die EZB sollte sich auch nicht jeglicher Flexibilität berauben. Die neue Forward Guidance, die die Null- und Negativzinsen auf Jahre hinaus zementiert, schießt da übers Ziel hinaus.
Die Notenbanken brauchen generell mehr Zuversicht, dass die Volkswirtschaften auch ohne permanente Stütze klarkommen können. Und sie sollten weniger Angst vor ungewollten Reaktionen an den Finanzmärkten haben. Natürlich wird es beim Exit mal ruckeln – zumal nach dieser beispiellosen Geldflut. Aber die Notenbanker dürfen sich nicht vollends abhängig machen von den Finanzmarktakteuren. Und schon gar nicht dürfen sie zur Vollkaskoversicherung teils irrationaler Märkte mutieren. Der Ausstieg muss jetzt graduell erfolgen. Aber es ist ebenso essenziell, damit nicht zu lange zu warten.