Unicredit gerät bei Übernahmen ins Hintertreffen
Jean Pierre Mustier hat Unicredit zwischen 2016 und 2021 mit einer knallharten Sparpolitik, Verkäufen und einer Mega-Kapitalerhöhung vor dem Konkurs gerettet und wieder auf Kurs gebracht. Dann durfte oder musste er gehen. Mission accomplished. Sein Nachfolger Andrea Orcel wurde geholt, um die HVB-Mutter in eine neue Dimension zu führen – auch durch Übernahmen. Zwar hat er die Abläufe vereinfacht, Doppelfunktionen eliminiert, Komplexität herausgenommen, Kosten reduziert und Kooperationen mit Partnern im Versicherungssektor abgeschlossen. Er hat einen Strategieplan vorgestellt, der deutliche Gewinnsteigerungen sowie bis 2024 die Ausschüttung von mehr als 16 Mrd. Euro an die Aktionäre vorsieht.
Glückloser Orcel
Doch beim Thema Akquisitionen ist er trotz mehrerer Versuche nicht vorangekommen. „Die Bank hat Orcel für Übernahmen geholt, aber die Sache ist kompliziert geworden. Er hat bisher kein Glück“, sagt Stefano Caselli, Bankenprofessor an der renommierten Mailänder Universität Bocconi. Im Herbst 2021 verzichtete der CEO nach intensiver Prüfung auf den Kauf großer Teile der mehrheitlich staatlichen Monte dei Paschi di Siena (MPS): zu große Risiken, zu viel Kapitalbedarf, versteckte Gefahrenquellen, hohe Kosten. Dann nahm er die BPM, Italiens drittgrößte Bank, ins Visier. Sie ist vor allem stark in Italiens reichen Regionen Lombardei, Venetien und Emilia Romagna. Doch nachdem die Absichten durch Indiskretionen ans Licht der Öffentlichkeit kamen, stieg die BPM-Aktie deutlich. Orcel verzichtete. Vermutlich bietet sich diese Chance nicht noch einmal. Denn inzwischen ist die französische Crédit Agricole bei BPM eingestiegen. Beobachter glauben, dass dies nur die Vorstufe zu einer vollständigen Übernahme ist. Damit würden die Franzosen zur Nummer drei in Italien aufsteigen und Unicredit im wirtschaftsstarken Norden des Landes sogar von Platz zwei verdrängen. Das wären keine guten Nachrichten für Orcel.
Der CEO wollte auch die russische Otkritie-Bank kaufen. Die HVB-Mutter ist sehr stark in Osteuropa engagiert und hätte mit dem Erwerb ihre Position dort ausbauen können. Doch dann brach der Ukraine-Krieg aus. Das Projekt, das zum Glück für den CEO noch nicht in trockenen Tüchern war, scheiterte. Ebenfalls zum Jahresanfang streckte Orcel die Fühler nach der Commerzbank aus. Schon Orcels Vorgänger Alessandro Profumo und Mustier hatten dieses Dossier auf ihren Tischen liegen. Deutschland trägt ein Viertel zu den Einnahmen von Unicredit bei. Grundsätzlich wäre eine weitere Stärkung in Europas wirtschaftsstärkstem Land daher sinnvoll. Doch unabhängig davon, dass Berlin als Commerzbank-Anteilseigner da ein Wörtchen mitzureden hätte, führte auch hier der Krieg in der Ukraine zu einer Verschiebung der Prioritäten. Das Umfeld ist nicht günstig für eine solche Transaktion. Es kommt hinzu, dass Orcel nun erstmal das Russland-Thema klären muss. Im ersten Quartal reduzierte er das Exposure dort um 2 Mrd. Euro und prüft nun auch einen kompletten Rückzug.
Im Hinblick auf mögliche Übernahmen wiegelt der CEO ab. „Akquisitionen sind für uns kein Ziel an sich. Sie müssen strategisch sinnvoll sein, unsere Position in einzelnen Ländern oder Segmenten stärken, unser Wachstum beschleunigen und zu attraktiven Bedingungen zu tätigen sein“, sagte er kürzlich. Unicredit ist etwas ins Hintertreffen geraten. Konkurrent Intesa Sanpaolo hat sich Ubi Banca einverleibt. BPER übernahm dabei rund 500 Filialen der Ubi Banca und steht unmittelbar vor der Übernahme der Genueser Carige. Und die französische Crédit Agricole hat Creval gekauft und ist bei BPM eingestiegen. „Die Gefahr ist, dass Unicredit steckenbleibt“, meint Caselli.
Die einzige Möglichkeit, die der HVB-Mutter in Italien verbleibt, ist nach seiner Ansicht die Monte dei Paschi. „Das ist immer noch nicht vom Tisch und machbar“, sagt er. Und es gibt auch Gerüchte, dass Kontakte aufgenommen worden sind. Der neue Monte-dei-Paschi-CEO Luigi Lovaglio hat einen guten Ruf und ist ein Ex-Unicredit-Banker. Die Regierung hat zwar bei der EZB und der EU um eine Verlängerung der Frist für die Privatisierung der zu 64% staatlichen Bank nachgesucht.
Rom will eine Lösung
Doch irgendwann muss das Institut privatisiert werden. Rom wäre froh, das Thema vom Tisch zu bekommen, und so viele Kandidaten gibt es nicht. Stimmten die Konditionen – die Regierung wäre da sicher kompromissbereit –, könnte die inzwischen nur noch fünftgrößte Bank Italiens doch interessant werden für Unicredit. Doch eigentlich ist Caselli der Auffassung, „dass das wirkliche Match für Unicredit im Ausland gespielt wird. Commerzbank, Société Générale oder Credit Suisse ergäben Sinn“, findet er. Noch bestehe keine Dringlichkeit, aber „hätte Orcel am Ende seines Mandats im Hinblick auf Akquisitionen nichts vorzuweisen, dann würde das sicher auch intern Fragen aufwerfen“, glaubt er.
Kurzfristig erscheinen Schritte in diese Richtung schwierig. Der Ukraine-Krieg hat die Voraussetzungen für grenzüberschreitende Fusionen sicher nicht verbessert. Und auch in Richtung Bankenunion hat es keine wesentlichen Fortschritte gegeben. Orcel hat noch Zeit, aber er wird liefern müssen.