Täuschende Morgenröte am US-Immobilienmarkt
Täuschende Morgenröte am US-Immobilienmarkt
Dass Unternehmen ihre Angestellten zunehmend zurück ins Büro beordern, weckt Hoffnungen für den US-Gewerbeimmobilienmarkt. Doch die Krise im Segment ist noch lange nicht ausgestanden.
Von Alex Wehnert, New York
Auf den ersten Blick machen die Zahlen Mut. Bei einigen der größten Finanzierer des US-Gewerbeimmobilienmarkts verliert der Anstieg der notleidenden Kredite an Schwung – das legt zumindest die oberflächliche Betrachtung nahe. Bei Wells Fargo hat sich das Volumen der Non-Performing Loans zuletzt auf recht konstanten Niveaus gehalten und ist Ende 2024 sogar leicht zurückgegangen, nachdem die Volumina bei nicht durch den Eigentümer genutzten Objekten Ende 2023 einen für viele Investoren schockierenden Anstieg auf 3,81 Mrd. Dollar hinlegten. Im Jahr zuvor hatte es sich auf lediglich 480 Mill. Dollar summiert. Bei Bank of America und J.P. Morgan sind aktuell indes nur noch leichte Anstiege zu beobachten.
Verzerrte Statistik
Dass über dem US-Gewerbeimmobilienmarkt gerade allerdings keine strahlende Sonne aufgeht, schlüsselt Bill Moreland vom Datenbankbetreiber Bank Reg Data auf. „Sie mögen den Anteil der Non-Performing Loans zwar als nahe am Zenit darstellen, in Wahrheit modifizieren die Banken ihre Kredite aber in schwindelerregendem Tempo“, betont er. Die Institute senkten also künstlich die Zinsverpflichtungen für Schuldner, damit diese nicht in den Zahlungsverzug gerieten, und bildeten stattdessen Rückstellungen für künftige Kreditrestrukturierungen, was die Statistik verzerre.
Wells Fargo weise im Gewerbeimmobiliensegment einen Anteil notleidender Kredite von zuletzt 2,06% aus. Wer allerdings die Darlehen mit Nachlass auf den Zinsdienst hinzurechne, komme auf 8,39%. Bei Bank of America liege die „Stressrate“ des Portfolios bei 10,19%. Die Spitzeninstitute haben dabei wesentlich früher begonnen, notleidende Kredite neu zu strukturieren, als es im Vorlauf der Finanzkrise 2008 der Fall war. Ziehe sich der Kreditzyklus aber länger hin, „entsteht eine zweite Welle an Zahlungsverzügen, da viele Schuldner dann zurück in die Säumigkeit fallen“, betont Moreland. Diese Darlehen müssten dann verspätet und geballt abgeschrieben werden.
Strukturelle Probleme belasten
Vertreter des Immobiliensektors krallten sich im vergangenen Jahr noch an der Losung „Survive till 2025“ fest – überlebe bis ins neue Jahr, dann werden die Zinssenkungen der Federal Reserve den Markt schon retten. Doch unerwartet starke Arbeitsmarktdaten und die Furcht vor neuerlichen Inflationsanstiegen infolge angepeilter Strafzölle der Regierung Donald Trumps haben die Aussichten auf eine weitere starke geldpolitische Lockerung deutlich eingetrübt.
Ohnehin sind die Verwerfungen im Gewerbeimmobiliensegment laut Analysten bei weitem nicht nur auf die restriktive Geldpolitik der Fed zwischen Anfang 2022 und September des vergangenen Jahres zurückzuführen, sondern auch auf strukturelle Probleme. So sorgt der Bauboom des vorangegangenen Jahrzehnts in Metropolen für ein Überangebot an Gewerbeflächen, während der Homeoffice-Trend einen hohen Leerstand in Bürogebäuden nach sich zieht. Zwischen dem zweiten Quartal 2020 und dem dritten Quartal 2024 gaben US-Büromieter laut dem Informationsdienstleister Costar Group nahezu 209 Millionen Quadratfuß (über 19,4 Millionen Quadratmeter) an Flächen auf, dies bedeutet den höchsten Wert jemals für einen solchen Zeitraum.
Sprung der Zahlungsverzüge
Die Schwierigkeiten, selbst bei den noch verbleibenden Mietern Zahlungen einzutreiben, bringen die Gebäudeeigner in Bedrängnis – und damit auch die Banken, die ihnen in rosigeren Marktphasen Kredite ausgestellt haben. Die Analysten von S&P Global warnen wie Moreland davor, dass die Assetqualität in den Bilanzen der US-Banken in einem Abwärtstrend liege, und verweisen auf den Gewerbeimmobilienmarkt als zentrale Problemquelle. Bei Krediten für Bürogebäude, die hypothekenbesicherten Wertpapieren zugrunde liegen, ist die Rate der Zahlungsverzüge laut dem Datendienst Trepp im Dezember erstmals seit Beginn der Datenerfassung im Jahr 2000 auf über 11% gestiegen.
Dass Amerikas Unternehmen ihre Angestellten zurück ins Büro beordern, befeuert nun Hoffnungen auf eine Erholung. Die Großbanken suchen dabei selbst Impulse zu setzen: J.P. Morgan verkündete in der vergangenen Woche eine Anwesenheitspflicht an fünf Tagen pro Woche und folgt damit auf ähnliche Maßnahmen der Konkurrentin Goldman Sachs. Bei Mitarbeitern stößt dies auf große Unzufriedenheit: J.P. Morgan schaltete laut Insidern eine Kommentarfunktion im Intranet ab, nachdem zur Zurück-ins-Büro-Meldung Dutzende negative Rückmeldungen eingegangen waren und sogar meutereilustiges Getuschel bezüglich einer potenziellen Gewerkschaftsbildung innerhalb der US-Bank aufkam.
Investoren wiegeln ab
Während sich die größten Institute der USA mit Blick auf die Gewerbeimmobilien-Turbulenzen bereits unter Zugzwang sehen, sind Amerikas schwer gebeutelte Regionalbanken mitunter noch stärker betroffen. So schnellen die Volumina der notleidenden Kredite im gesamten Sektor in die Höhe. Bei nicht vom Eigentümer genutzten Gewerbeimmobilien zogen sie laut der Ratingagentur Fitch von 6,4 Mrd. Dollar im vierten Quartal 2022 auf zuletzt fast 21 Mrd. Dollar an.
Einige Immobilieninvestoren wiegeln auf Fragen nach Parallelen zur Finanzkrise 2008 ab. Michael Acton, Research- und Strategiechef bei der Natixis-Tochter AEW Capital Management, sieht gar „die besten Einstiegsgelegenheiten bei Gewerbeimmobilien seit 15 bis 20 Jahren“, wie er bei einer Medienrunde in New York im Dezember betonte. Die Branche werde Lösungen für ihre strukturellen Probleme finden, darunter eine Transformation von Gewerbe- in derzeit weit lukrativere Wohnflächen. Doch diese Prozesse sind regulatorisch komplex und nehmen damit viel Zeit in Anspruch. Unterdessen, betont Fitch, bleibt der Refinanzierungsdruck im Segment hoch.
Hoher Refinanzierungsdruck
Laut Trepp müssen in den USA bis Ende 2028 Gewerbeimmobilienkredite im Billionenvolumen refinanziert werden – und das trotz einer monetären Lockerung noch zu hohen Zinsniveaus. Analysten warnen vor einer Überforderung des Markts, zumal die Alternative einer Refinanzierung über festverzinsliche Darlehen angesichts der Renditeanstiege am langen Ende der Kurve weggebrochen ist. Die aktuelle Morgenröte in den Kreditstatistiken der US-Großbanken droht Investoren damit schwer in die Irre zu führen.