Brüssel

Viel Wind an Belgiens Küste

Belgien hat seinen Ausstieg aus dem Atomausstieg bereits beschlossen – allerdings ist das Land auch viel abhängiger von seinen Meilern als Deutschland. Den französischen Versorger Engie wird es freuen.

Viel Wind an Belgiens Küste

Die aktuelle deutsche Debatte um den Ausstieg aus dem (Atom-)Ausstieg und eine Verlängerung der Reaktorlaufzeiten ist auch im Nachbarland Belgien nicht unbekannt. Allerdings wurden hier Ende Juli schon Vorentscheidungen getroffen, wie es nun weitergehen soll. Das Ergebnis: Zwei der aktuell sieben Druckwasserreaktoren werden zehn Jahre länger Strom produzieren als ursprünglich gedacht. Der einst für 2015 geplante Atomausstieg, der später auf 2025 verschoben wurde, findet nun eben erst 2036 statt. Die beiden Reaktoren Doel 4 bei Antwerpen und Tihange 3, knapp 70 Kilometer westlich von Aachen gelegen, beide mit einer Leistung von gut 1 Gigawatt (GW) ausgestattet, sollen bis dahin die Versorgungssicherheit aufrechterhalten. Für diese Entscheidung mussten auch in Belgien erst einmal die Grünen über ihren eigenen Schatten springen. Die grüne Energieministerin Tinne Van der Straeten verwies zur Begründung auf das Ziel, Energie-Unabhängigkeit herzustellen. Energie sei zu einer Frage der nationalen Sicherheit geworden. Ob ähnliche Sätze demnächst auch von ihrem deutschen Parteifreund Robert Habeck kommen? Ausgeschlossen ist dies nicht.

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Allerdings hat die Atomenergie in Belgien aktuell auch noch einen ganz anderen Stellenwert als in Deutschland. Denn die AKWs mit ihrer installierten Kapazität von 5,9 GW produzierten hier 2021 noch 52% des gesamten Stroms. Dazu trugen auch die beiden seit Jahren als „Pannenreaktoren“ gefürchteten Meiler Tihange 2 und Doel 3 bei, die unter anderem wegen Tausender Risse in den Reaktordruckbehältern in die Schlagzeilen geraten waren – aber planmäßig noch bis 2025 weiterlaufen sollen. Die endgültige Vereinbarung zur Laufzeitverlängerung der zwei anderen Reaktoren muss die belgische Regierung allerdings noch mit dem Betreiber der Anlagen, dem französischen Energiekonzern Engie, aushandeln. Bislang gab es nur eine Grundsatzeinigung. Engie sprach lediglich von einer „nicht bindenden Absichtserklärung“. Allerdings sieht es für den Versorger insgesamt nach einem großartigen Geschäft aus: Denn die Vereinbarung sieht vor, dass für den Weiterbetrieb der zwei Reaktoren nach 2025 eine neue Zweckgesellschaft gegründet wird, an der der Staat und Engie zu je 50% beteiligt sein werden. Alle Gewinne, aber auch alle Risiken und Kosten werden geteilt. Was heißt: Der belgische Staat wird dann auch für den Umgang mit dem anfallenden Atommüll bezahlen müssen. Unter dem Strich, so analysierte die belgische Zeitung „Le Soir“, sehe es mehr danach aus, dass sich der belgische Staat eine Schlinge um den Hals lege, während Engie seine Risiken minimieren könne. Die Zeitung „L’Echo“ sprach von einem „Damoklesschwert über den Köpfen der künftigen Generationen“.

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Die Abhängigkeit von der Kernkraft hat so ihren Preis. Dagegen hat Belgien auf der Habenseite eine deutlich geringere Abhängigkeit von russischen Energieimporten als beispielsweise Deutschland. Nur etwa 4% bis 6% des benötigten Erdgases kamen zuletzt aus Russland. Belgien ist mit seinem Hafen in Zeebrugge und seinen zahlreichen grenzüberschreitenden Pipelines zudem eine Importdrehscheibe für Gas, besonders für verflüssigtes Erdgas (LNG), geworden, wovon auch Deutschland profitiert. Auch die Wasserstoffstrategie des Landes ist auf die Versorgung der Nachbarländer mit ausgelegt. Diese besondere Situation hat auch dazu geführt, dass Belgien beim EU-Gasnotfallplan, der seit dieser Woche in Kraft ist, Ausnahmen beim Gassparen verhandeln konnte.

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Eine Erfolgsgeschichte ist auch die belgische Windenergie, zumindest im Offshore-Bereich. Aktuell decken die Windräder vor der Küste bereits 7,4% der Nettostromproduktion. Im internationalen Ranking liegt Belgien heute schon auf Platz 5 der größten Offshore-Windenergie-Produzenten. Und die installierte Leistung wird in den nächsten Jahren die der Atommeiler deutlich übertreffen. Ob Doel 4 und Tihange 3 daher wirklich bis 2036 nötig sind, muss sich erst noch zeigen.

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