EU-Richtlinien

Viele Einwände gegen das Nachhaltigkeits­reporting

Für Wirtschaftsvertreter geht die EU mit ihren Vorgaben zum Nachhaltigkeitsreporting zu schnell vor. Dagegen legen Politik und Wissenschaft den Fokus stärker auf die Chancen der ESG-Berichterstattung.

Viele Einwände gegen das Nachhaltigkeits­reporting

Von Wolf Brandes, Frankfurt

Mit einer Vielzahl von Projekten aus Brüssel wird die Wirtschaft in den kommenden Jahren auf Nachhaltigkeit getrimmt – mit unterschiedlichen Richtlinien wie beispielsweise der Taxonomie oder der im Entwurf vorliegenden Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD). Die Vorschriften greifen in alle Geschäfte der Branchen ein und betreffen nicht nur Wertpapiere. Daten werden künftig auch bei einer Finanzierung gebraucht. Das geht so weit, dass bei einem Immobilienkredit zu prüfen ist, wie viel Liter Wasser bei einer Toilettenspülung verbraucht wird.

Ziel der EU ist es, dass die ESG-Berichterstattung künftig die gleiche Bedeutung hat wie Bilanz und Gewinn-und-Verlust-Rechnung. Der regulatorische Aufwand dafür wird dabei noch viel, viel größer sein als beim Riesenprojekt Mifid II. Nach Einschätzung des Consulting- und Softwarehauses PPI sind alle Bereiche von Compliance, Anlageberatung, Risikomanagement, IT und insbesondere Finanzen betroffen.

Der Zeitplan der EU ist ambitioniert. Nach den neuen Regeln sind in Europa künftig fast 50000 Unternehmen ­– viermal so viel wie bisher – ­ verpflichtet, einen Nachhaltigkeitsbericht in ihren Lagebericht aufzunehmen. Die geplanten Änderungen betreffen bereits die Berichtsperiode 2023. Die Inhalte wurden verglichen mit der Vorgängerrichtlinie NFRD deutlich ausgeweitet und präzisiert. Im Zuge des weiteren Prozesses werden neue Reportingstandards für Corporate-Sustainability-Berichte entwickelt, die den bislang geltenden Flickenteppich ablösen sollen.

Um den CSRD-Entwurf gibt es eine intensive Diskussion mit einer großen Beteiligung von Wirtschaft und Verbänden. Beim Justizministerium sind 42 Stellungnahmen von einem diversen Spektrum an Organisationen, darunter der WWF Deutschland, die Deutsche Börse sowie die Stadtwerke München. Auf der EU-Webseite werden 143 Kommentierungen zum CSRD-Entwurf gelistet.

Für die allermeisten Verbände geht es in Sachen Nachhaltigkeitsberichterstattung als Bestandteil der Unternehmensberichterstattung zu schnell, die Anforderungen seien zu weitgehend. Doch es gibt auch Stakeholder, die mehr und umfassendere Informationen und Daten im Bereich der Nachhaltigkeit wünschen, weil sie ihrerseits ihren Kunden zur Offenlegung beispielsweise von Investments verpflichtet sind.

„Lagebericht aufgebläht“

Die Kritik der Lobbyvertreter entzündet sich an der hohen Anzahl der einbezogenen Unternehmen. Besonders kleine und mittelgroße Unternehmen würden durch die CSRD vor kaum zu lösende Probleme gestellt werden. Kritik besteht auch an dem unklaren Zusammenspiel von europäischer und internationaler Berichterstattung. Die Wirtschaftsprüferkammer fürchtet gar, dass eine europäische Standardsetzung politisch geprägt sein könnte. Probleme sieht die Wirtschaft auch darin, dass das neue ESG-Reporting in einem digitalen Format übermittelt werden soll, obgleich dafür die Voraussetzungen noch nicht vorlägen. Zudem stemmen sich die Verbände gegen die Integration von Finanz- und ESG-Berichterstattung. Das Deutsche Aktieninstitut kommentiert, Nachhaltigkeitsberichterstattung drohe „durch die schiere Masse an Informationen die Finanzzahlen im Lagebericht an den Rand zu drängen“. Und die Prüfer glauben, dass der „Lage­bericht aufgebläht“ werde und die Beauftragung eines abweichenden Prüfers für die Nachhaltigkeitsinformationen durch die Integration erschwert sein könnte. Eine etwas andere Position nimmt der Fondsverband BVI ein, der die Investoren vor kommerziellen Datenanbietern be­wahren möchte und für mehr Daten und eine Ausweitung der CSRD-Berichtspflichten plädiert.

Politik und Wissenschaft betonen stärker die Chancen eines umfassenden Reportings und sind der Auffassung, dass die CSRD Pluspunkte für den Standort Europa bringt. Auf der diesjährigen internationalen Konferenz des Hamburger IFF-Instituts stand das Thema Nachhaltigkeit oben auf der Agenda. Aus verschiedenen Blickwinkeln wurde dabei das CS-Reporting unter der Fragestellung „Was muss es leisten?“ diskutiert. Die Experten kamen aus Politik, Wissenschaft und Praxis.

Dass eine nachhaltige Finanzmarktpolitik der Real- und Finanzwirtschaft viel finanziellen und personellen Aufwand abverlange, sei notwendig, weil man sich nur so als führender Sustainable-Finance-Standort behaupten könne, sagte Wiebke Merbeth, Leiterin Nachhaltigkeit bei BayernInvest. Die CSRD-Vorschläge seien dabei sinnvoll in den Aktionsplan der EU für ein nachhaltiges Finanzwesen mit Taxonomie und SFDR (Sustainable Finance Disclo­sure Regulation) eingepasst.

Damit Unternehmen für Investoren attraktiv bleiben, werden sie um Beantwortung von ESG-Fragen nicht herumkommen. Weniger relevant sei das Thema aber für Privatinvestoren. Von Ausnahmen abgesehen dürften sich die Anleger nicht mit dem Nachhaltigkeitsreporting beschäftigen, vermutet Matthias Fifka von der Universität Erlangen-Nürnberg.

Für Karsten Löffler, Vorsitzender des Sustainable-Finance-Beirats der Bundesregierung, zählt der Blick nach vorne. Wichtig für das Nachhaltigkeitsreporting sei, darauf zu achten, wie das Geschäftsmodell eines Unternehmens ausgerichtet sei und ob dies in zehn Jahren immer noch trage. Damit könne das neue Reporting einen Beitrag dazu leisten, dass die Transformation zu einer grünen Wirtschaft gelinge.