Nur Kosmetik wird bei VW nicht reichen
Volkswagen steht an einem entscheidenden Punkt in seiner Geschichte. Kritische Phasen gab es auch früher. Anfang der 1990er Jahre etwa, als die Einführung einer Viertagewoche verhinderte, dass auf den bis dato größten Absatzeinbruch ein Abbau zehntausender Stellen folgte. Nun fehlen den Wolfsburgern aber nicht nur Verkäufe in wichtigen Absatzmärkten. Es stehen zugleich wichtige und teure Investitionen in Zukunftstechnologien an, die mit hohen Risiken in der Umsetzung einhergehen.
Autobauer
Volkswagen
am Scheideweg
Von Carsten Steevens
Der Konzern braucht einen großen Wurf. Es erscheint unvermeidlich, dass der tiefe Wunden reißen wird.
Verglichen mit dem Absatzrekord im letzten Jahr vor der Coronakrise dürften es 2024 rund 2 Millionen Fahrzeuge weniger sein, die die Wolfsburger weltweit ausliefern. In Europa, wo VW mit einem Marktanteil von 25% größter Hersteller ist, fehlen möglicherweise dauerhaft eine halbe Million Verkäufe. Vielleicht noch mehr, wenn es dem Konzern absehbar nicht gelingen sollte, mit einem Stromer für breite Käuferschichten an Erfolge von Käfer und Golf aus der Verbrenner-Ära anzuschließen.
Der Vorstand hat aus Sicht der VW-Arbeitnehmervertreter ein Tabu gebrochen, indem er eine seit drei Jahrzehnten fortgeschriebene Jobgarantie kündigte und erstmals Werksschließungen in Deutschland nicht mehr ausschließt. Der Schritt zeigt, wie ernst die Lage ist. Zumal Erfolge in wichtigen anderen Regionen fehlen.
Tabu gebrochen
Im weltgrößten Absatzmarkt China muss VW ebenfalls deutlich auf die Kostenbremse treten, um im Elektrosegment künftig eine nennenswerte Rolle zu spielen und sich gegenüber der chinesischen Konkurrenz zu behaupten. Von früheren Ergebnisniveaus in China liegen die Wolfsburger weit entfernt. In den USA lässt sich weiterhin nicht erkennen, ob es gelingen wird, den Marktanteil wie geplant bis 2030 auf 10% mehr als zu verdoppeln.
Vor allem die Kernmarke VW Pkw muss wettbewerbsfähig werden. Der Autobauer kann es sich nicht leisten, viel weniger als die nun vom Betriebsrat kolportierten zusätzlichen Sparmaßnahmen des Vorstands umzusetzen. Zugleich dürften die Vorschläge einiges an Verhandlungsspielraum enthalten. Wie schon in anderen Krisen werden sie in Wolfsburg eine gesichtswahrende Lösung anstreben: das Management, das die operative Marge der Kernmarke bis 2026 auf 6,5 von zuletzt 2,3% hieven will, ebenso wie die Arbeitnehmervertreter und der Großaktionär Niedersachsen, die eine Schließung von Standorten verhindern wollen. VW braucht aber diesmal einen großen Wurf, um dauerhaft wettbewerbsfähig zu sein. Es erscheint unvermeidlich, dass der tiefe Wunden reißen wird.
Verhandlungsspielraum