Von Komfort weit entfernt
Von Carsten Steevens, Hamburg
Der Anteil der elektrisch betriebenen Autos an den um 10% auf 2,62 Millionen Fahrzeuge geschrumpften gesamten Neuzulassungen hat sich in Deutschland im abgelaufenen Jahr mit fast 682000 neu zugelassenen vollelektrischen bzw. Plug-in-Hybrid-Fahrzeugen auf 26% annähernd verdoppelt. Doch gibt dieser Fortschritt der Autoindustrie nicht wirklich Grund zu guter Laune: Zum einen könnten mehr E-Pkw verkauft werden, wenn derzeit nicht Produktionsausfälle infolge der andauernden Versorgungsmängel bei Vor- und Zwischenprodukten, vor allem bei Halbleitern, bremsen würden. Zum anderen behindern lange Ladezeiten sowie die geringe Verfügbarkeit von Ladestellen den Anstieg der von staatlichen Prämien unterstützten Nachfrage nach Elektroautos.
Steiniger Weg
Wie eine Umfrage der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft KPMG unter weltweit 1100 Entscheidern der Autoindustrie sowie angrenzender Branchen ergeben hat, geht eine Mehrzahl der Befragten davon aus, dass der Anteil der verkauften Elektrofahrzeuge bis 2030 in den meisten Märkten auf über 50% zulegen wird. Doch der Weg ist steinig für die Hersteller. Von einer Ladeinfrastruktur, die komfortabler ist als das Tanken heute, ist der Sektor weit entfernt.
Die Förderbank KfW, die im Rahmen einer Zuschussförderung für privat genutzte Stellplätze an Wohngebäuden seit November 2020 über 800000 Anträge mit insgesamt etwa 900000 Ladepunkten förderte, verweist zwar auf die Anzahl der öffentlich zugänglichen Normalladepunkte, die sich in Deutschland laut Bundesnetzagentur 2021 um 30% erhöhte. Da sich der E-Auto-Bestand zuletzt verdoppelt habe, konkurrierten aber immer mehr Fahrzeuge um die bestehenden Ladesäulen. Die ungenügenden Lademöglichkeiten gehörten noch immer zu den wichtigsten Hindernissen der Elektromobilität, sagt KfW-Chefvolkswirtin Fritzi Köhler-Geib. Immerhin zwei Drittel der Haushalte sehen einer Erhebung des Instituts zufolge darin einen Grund, sich kein Elektroauto anzuschaffen. Hierbei spielten auch die nichtöffentlichen Ladepunkte eine wichtige Rolle: Fast drei Viertel der Ladevorgänge finden demnach zu Hause oder am Arbeitsplatz statt. „Damit die Elektromobilität eine echte Alternative zum Verbrennungsmotor werden kann, muss die Ausbaugeschwindigkeit bei der Ladeinfrastruktur deshalb insgesamt weiter erhöht werden“, so Köhler-Geib.
Der Verband der Automobilindustrie (VDA) betont, die Menschen brauchten Vertrauen, ihr E-Auto überall und jederzeit laden zu können. „Das entscheidet über den Erfolg der E-Mobilität“, so Geschäftsführer Jürgen Mindel. Fakt sei aber, dass Deutschland beim Ausbau der Ladeinfrastruktur massiv hinterherhinke. Die Schere zwischen den E-Auto-Neuzulassungen und dem Ausbau der Ladeinfrastruktur weite sich immer mehr.
Appell an Regierung
Deutschland brauche, so Mindel, den Turbo beim Ausbau der Infrastruktur. Um bis 2030 das Ziel von 1 Million Ladepunkte zu erreichen, müssten jede Woche 2000 öffentliche Ladepunkte entstehen – derzeit seien es rund 300. Darüber hinaus seien mehr Lademöglichkeiten am Wohnort, am Arbeitsplatz, im Handel, bei Tankstellen, an Autobahnen und Fernverkehrsstraßen, den Parkhäusern und Parkplätzen nötig. „Die Bundesregierung sollte schnellstmöglich zu einem gemeinsamen Lade-Gipfel einladen, um alle Akteure an einen Tisch zu holen“, appelliert der VDA-Geschäftsführer. „Wir müssen einen konkreten Plan entwickeln, wie der Ausbau beschleunigt und Laden für die Menschen einfach und komfortabel wird.“
Der enorme Handlungsbedarf reicht über Deutschland hinaus. Eine europaweite flächendeckende Ladeinfrastruktur sei praktisch nicht vorhanden, moniert der VDA, der die aktuellen Ausbauziele der EU-Kommission für die Mitgliedstaaten als nicht ambitioniert genug kritisiert. Über 60% der Ladepunkte in der EU befänden sich mit Deutschland, Frankreich und den Niederlanden in gerade drei Ländern. Maximalabstände zwischen den Stellen müssten deutlich verringert und Ladeleistungen pro Ladestation erhöht werden. Mehr als drei Viertel der befragten Führungskräfte gaben der KPMG-Studie zufolge an, dass Verbraucher auf Reisen Ladezeiten von unter 30 Minuten für eine 80-prozentige Aufladung erwarteten. Die meisten der heute in Betrieb befindlichen Ladestationen benötigten jedoch mehr als drei Stunden.
Für den schnelleren Ausbau der Ladeinfrastruktur fordern Auto- und Energiewirtschaft einen verlässlichen regulatorischen Rahmen, Unterstützung bei der Flächenverfügbarkeit sowie schlankere Genehmigungsverfahren. Ferdinand Dudenhöffer vom Duisburger Center Automotive Research sieht die Gefahr, „dass man sehr unstrukturiert vorgeht und deutlich zu wenig auf Marktkräfte setzt“. Wenn ein Verbot für Verbrennungsantriebe, klare Preise für Benzin- und Dieselkraftstoff, Emissionsvorschriften für Innenstädte oder Kaufanreize für E-Autos definiert würden, kämen die Ladesäulen fast schon von selbst an die richtigen Orte. „Wir brauchen einen klaren Rahmen für den Markt für Elektroautos“, so Dudenhöffer. Für diesen Rahmen müsse der Markt sorgen. „Dass kein Mensch weiß, wie es mit den Subventionen für Elektroautos in drei Jahren aussieht, ist extrem kontraproduktiv.“