Die britische Schatzkanzlerin Rachel Reeves hat zwar versichert, dass man sich nicht zwischen Wirtschaftswachstum und Klimaschutz entscheiden müsse. Doch die umfangreichen Infrastrukturinvestitionen, die sie im Zuge einer programmatischen Rede ankündigte, bedeuten etwas anderes: Net Zero war gestern. Labour braucht dringend Wachstum.

Der Bau der dritten Start- und Landebahn für den Londoner Flughafen Heathrow wurde schon einmal abgesegnet. Theresa May, die glücklose Nachfolgerin von David Cameron in 10 Downing Street, bekam dafür sogar eine große Mehrheit im Unterhaus. Gebaut wurde sie trotzdem nicht. Dafür sorgte Boris Johnson, dessen Wahlkreis ganz in der Nähe des Airports liegt.

Labour dürften weniger die wohlhabenden Nimbys zu schaffen machen, deren Bezeichnung sich von „not in my backyard“ ableitet. Die Gewerkschaften, traditionelle Unterstützer der Partei, begrüßten sogar die Entscheidung für den Flughafenausbau. Er soll nicht nur in Heathrow, sondern auch am City Airport und in Stansted vorangetrieben werden. Schließlich entstehen dabei qualitativ hochwertige Arbeitsplätze, deren Inhaber sich gewerkschaftlich organisieren werden.

Was die Stimmung in der Regierungspartei unter null sinken lässt, ist die Sorge um ihre ambitionierten Klimaziele. Net Zero treibt vor allem die gut verdienenden Akademiker um, von denen die einstige Arbeiterpartei mittlerweile in den Großstädten geprägt wird. Von ihrer Seite wird Reeves der größte Widerstand entgegenschlagen.

Energieminister Ed Miliband hatte als Mitglied einer früheren Labour-Regierung 2009 seinen Rücktritt angekündigt, sollte die dritte Landebahn genehmigt werden. Er blieb Reeves’ Ansprache am Mittwoch fern. Miliband ließ allerdings wissen, dass der Flughafenausbau nur möglich sei, wenn er das nationale Kohlenstoffbudget nicht sprenge. Damit ist klar, welchen Hebel die Flughafengegner nutzen wollen.

Denn natürlich wird das Kohlenstoffbudget gesprengt. Die Luftqualität über der britischen Metropole wird sich durch eine dritte Landebahn für Heathrow auch nicht verbessern. Es gibt zwar energieeffizientere Flugzeuge. Doch die Entwicklung nachhaltiger Flugkraftstoffe steht erst ganz am Anfang. Zudem reduziert ihre Beimischung lediglich den Treibhausgasausstoß, der durch eine Vielzahl zusätzlicher Flugbewegungen kräftig steigen dürfte. Batterieflugzeuge, die eine reguläre Maschine für die europäischen Kurzstrecken ersetzen können, zeichnen sich nicht ab.

Die innerparteiliche Opposition formiert sich bereits. Londons Labour-Bürgermeister Sadiq Khan ist empört. Legt man die mitunter aberwitzigen Stunts der Weltuntergangssekte Extinction Rebellion zugrunde, dürften die Proteste gegen die Frankfurter Startbahn West im Vergleich zu dem Sturm, der sich über Heathrow zusammenbraut, ein laues Lüftchen gewesen sein.

Premierminister Keir Starmer stimmte 2018 noch gegen das Vorhaben. Mittlerweile ist er offenbar bekehrt. Schließlich sind die immer wieder versprochenen hoch bezahlten grünen Jobs bislang nur in homöopathischen Dosen entstanden. Die Verbraucher stimmen mit den Füßen ab und verschmähen die teuren Batterieautos, für die es nicht ausreichend Ladesäulen gibt.

Labour braucht nicht Net Zero, sondern Wachstum. Denn die Regierung muss unvorhergesehene Ausgaben stemmen. Dazu gehört die Entschädigung der Bluterkranken, die vom öffentlichen Gesundheitswesen NHS durch verseuchte Blutprodukte mit Hepatitis C oder HIV infiziert wurden. Im ganzen Land stehen Kommunen vor der Zahlungsunfähigkeit. Thames Water droht der Kollaps.

Steigen die Einnahmen nicht dadurch, dass sich die Wirtschaft belebt, wird Reeves schon bald weitere Steuererhöhungen bekannt geben müssen. Es ist deshalb absehbar, dass das gesetzlich verankerte Ziel der CO₂-Neutralität bis 2050 von Labour schon bald aufgegeben wird.