Moskau

Warum die Russen gut in Mathe sind

Ohne westliche Impfung dürfen die Russen nicht nach Europa. So kaufen sie Immobilien in der Türkei. Sehr schlau, denn dort verfällt die Währung. Die britische Außenministerin wird so inmitten der Krise nicht müde, die Russen und ihre Rechenleistung zu loben.

Warum die Russen gut in Mathe sind

Die Ereignisse im Konflikt zwischen Russland und der Ukraine, der eigentlich ein Stellvertreterkonflikt im großen Kräftemessen zwischen Moskau und der Nato bzw. den USA ist, überschlagen sich derart schnell, dass nahezu alles im Moment seines Geschehens und seiner etwaigen Veröffentlichung schon wieder Schnee von gestern ist. Selbst die Hauptakteure können oft nicht Schritt halten.

So kam es, dass Sergej Naryschkin, der Chef des russischen Auslandsgeheimdienstes, am Montag auf der Sitzung des Nationalen Sicherheitsrates, auf der die mögliche Anerkennung der prorussischen Separatistengebiete in der Ostukraine als eigenständige Staaten diskutiert wurde, völlig konfus wirkte, alles durcheinanderbrachte und von Kremlchef Wladimir Putin daher vorgeführt wurde. Neben anderen Fehltritten sagte Naryschkin, er unterstütze den Vorschlag, dass die Volksrepubliken Donezk und Lugansk ins russische Staatsgebiet eingegliedert werden. Das habe ja gar niemand vorgeschlagen, hielt Putin süffisant lächelnd dagegen. Es gehe ausschließlich um die Anerkennung ihrer Unabhängigkeit. Ach so, schien Naryschkin zu denken. Ja, sagte er, er unterstütze natürlich auch diesen Vorschlag. Am Ende wurde der Antrag mit großer Mehrheit unterstützt. Der Rest ist bekannt. Damit gehen Wochen der konzentrierten Diplomatie mit einem ernüchternden Ergebnis zu Ende. Wie tief die Gräben zwischen Russland und dem Westen sind, trat in diesen Wochen am laufenden Band zutage.

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Da lobt man sich die kleinen Vorkommnisse, die jenseits des gesamten Konflikt- und Kriegsgetöses stattfanden und zeigten, dass man sich wenigstens auf irgendeiner Ebene auch treffen kann. Am meisten in Erinnerung bleibt, dass just die britische Außenministerin Liz Truss, die rhetorisch zu den Scharfmachern gegen Russland gehört, einen Abstecher auf die Moskauer Staatliche Universität machte und die Russen dort in höchsten Tönen lobte. Sie interessiere sich für die russische Methode des Mathematikunterrichts, sagte sie. Großbritannien könne die russische Erfahrung darin übernehmen.

Wie aus heiterem Himmel plötzlich etwas Positives über das Land! Das ist angesichts der geopolitischen Konfliktsituation nicht so oft zu vernehmen. Jedenfalls Ehre, wem Ehre gebührt. In Wissenschaften wie Mathematik, Informatik oder Physik spielen die Russen tatsächlich in der obersten Liga. Nicht zufällig wurden in Russland etwa mit der Suchmaschine Yandex oder dem Antivirenspezialisten Kaspersky Konzerne geschaffen, die den internationalen Vergleich nicht scheuen brauchen – gegründet just von Mathematikern. Und natürlich von Schachspielern, wie es die meisten von Kind auf sind.

Liz Truss hätte freilich auch außerhalb des akademischen Betriebes sehen können, dass die Russen – geprägt von zahlreichen Inflationsschocks und Währungsabwertungen der vergangenen 30 Jahre – rechnen und kalkulieren, ja mitunter auch spekulieren können.

Nicht zufällig nahmen sie im vergangenen Jahr angesichts des Währungsverfalls in der Türkei Platz 3 unter jenen Ausländern ein, die sich schnell eine Wohnung dort zulegten. Dazu trug natürlich bei, dass sie coronabedingt ohne westliche Impfung schon zwei Jahre nicht mehr nach Westeuropa fahren dürfen und die Türkei ohnehin ihre beliebteste Tourismusdestination ist. Die russische Nachfrage nach Immobilien in der Türkei stieg 2021 jedenfalls um sage und schreibe 75%, wobei der Großteil der Kaufabschlüsse auf den November und Dezember fiel, als die türkische Lira drastisch abstürzte. Binnen eines Jahres hat sie nicht nur zum Dollar und Euro signifikant abgewertet, auch zum Rubel, der selbst angesichts der geopolitischen Spannungen unter Dauerdruck steht, hat sie binnen des Vorjahres um 44% an Wert verloren.

Und so haben die Russen unter dem Strich 5400 türkische Immobilien gekauft – mehr als doppelt so viel wie beim letzten Rekord im Jahr 2015, wie das türkische Statistikamt ausweist. An die Top-Käufer dort kommen die Russen freilich noch lange nicht heran – und zwar an die Iraner und Iraker, die 10000 bzw. 8700 Immobilien erworben haben. Liz Truss wäre sicherlich beeindruckt.

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