Unterm Strich

Wenn der Kodex die Quadratur des Kreises empfiehlt

Nicht der Governance-Kodex wird Nachhaltigkeit in die Unternehmensstrategien bringen, sondern der Druck der Investoren und des Marktes.

Wenn der Kodex die Quadratur des Kreises empfiehlt

„Unternehmen XY kürzt Dividende. Nachhaltigkeitsziele aber erreicht.“ Wann wird ein börsennotiertes Unternehmen seine Aktionäre erstmals mit einer solchen oder ähnlichen Schlagzeile beglücken? Den Weg dorthin wird der neue Corporate Governance Kodex ebnen, dessen Änderungsentwurf seit wenigen Tagen auf der Website der Kodex-Kommission nachzulesen ist (www.dcgk.de). Denn der neue Entwurf formuliert die Aufgaben der Unternehmensführung um. Das Unternehmensinteresse, dem der Vorstand verpflichtet ist, besteht künftig darin, die Interessen der Aktionäre und der weiteren Stakeholder einschließlich der ökologischen und sozialen Belange der Gesellschaft zum Ausgleich zu bringen. Zur Erläuterung schreibt die Kodex-Kommission, die Unternehmensstrategie solle den Ausgleich von Ökonomie, Ökologie und Sozialem darstellen. Wohlgemerkt, es handelt sich bei dem Entwurf nicht um ein Positionspapier des grünen Wirtschaftsministers Robert Habeck, sondern um den Entwurf einer mit Wirtschafts- und Industrievertretern besetzten Regierungskommission.

Der Kodex folgt dem Zeitgeist – wie Gesetze ja auch. In den seit 2009 geltenden Fassungen des Kodex war gemäß Präambel die Unternehmensführung dem Unternehmensinteresse verpflichtet. Darüber, was das genau sein sollte, gab es schon damals konträre Vorstellungen. Mit der Kodexreform 2020 wurde die gesellschaftliche Verantwortung besonders thematisiert, die Purpose-Debatte fand ihren Niederschlag. Inzwischen sind ESG und Nachhaltigkeit die neuen Buzzwords, die nicht nur die politischen Rahmenbedingungen verändern, sondern auch die Unternehmensstrategien selbst. Und demnächst den Kodex für gute Unternehmensführung. In der jetzt gestarteten und bis zum 11. März laufenden Konsultationsphase (vgl. BZ vom 27. Januar) dürfte wohl auch die Frage erörtert werden, ob der Kodex mit dem Schritt zur Sustainable Corporate Governance nicht auf der einen Seite nur eine ohnehin bereits in Gang befindliche Diskussion aufnimmt, auf der anderen Seite aber einer verstärkten rechtlichen Verankerung der Stakeholder-Interessen über Gebühr Vorschub leistet.

Nicht zum Nulltarif

Nach den jetzt veröffentlichten Entwürfen wird dem Vorstand künftig freilich die Quadratur des Kreises auferlegt. Denn dass sich alle drei Ziele in gleicher Weise erfüllen ließen, widerspricht jeglicher wirtschaftlicher Erfahrung. Weder wird es die Transformation zur klimaneutralen Wirtschaft noch die umfassende, über die gesetzlichen Vorgaben hinausgehende Berücksichtigung so­zialer Aspekte zum Nulltarif geben. In aller Regel bestehen zumindest kurz- und mittelfristig Zielkonflikte, die zu entscheiden Aufgabe des Managements ist. Diese Zielkonflikte zu Lasten der Aktionäre zu lösen, war bisher an eine entsprechende Ertragskraft des Unternehmens geknüpft. Ausschließlich Schönwetterpolitik war Nachhaltigkeit zwar selten, doch die wirtschaftliche Tragfähigkeit setzte Grenzen. Künftig kann der Vorstand den Aktionären in der Hauptversammlung mit dem größten Ausdruck des Bedauerns erläutern, dass die Erfüllung der in der Unternehmensstrategie verankerten und gemäß Corporate Sustainability Reporting Directive zu publizierenden Nachhaltigkeitsziele leider keinen Gewinnausausweis mehr zuließen. Da erlebt das Verständnis der Dividende als Residualgröße der Gewinn-und-Verlust-Rechnung eine neue Bedeutung.

Das lässt interessante Diskussionen mit Aktionären erwarten, vor allem mit jenen, die noch dem Prin­cipal-Agent-Denken verhaftet sind oder auf sichere Dividendenerträge angewiesen sind, um ihre eigenen nachhaltigen Verpflichtungen zu erfüllen. Zwar verfolgt das Aktiengesetz nach heutigem Verständnis eine interessenpluralistische Zielkonzeption, doch hat sich in der Praxis insofern in moderater Shareholder-Value-Ansatz etabliert, indem den Eigentümerinteressen bei gleichzeitiger Berücksichtigung der übrigen Stakeholder-Interessen ein Vorrang eingeräumt wird. Das dürfte mit dem neuen Kodex der Vergangenheit angehören.

Expertise im AR nötig

Vorstände und Aufsichtsräte börsennotierter Unternehmen werden umdenken müssen. War die Berichterstattung zu Environmental-, Social- und Governance-Themen (ESG) bisher weitgehend freiwilliger und von Aktionärsseite inspirierter Natur, werden die CSRD und die neue Kodexfassung das Pflichtenheft verändern. Ökologische und soziale Nachhaltigkeit werden nicht nur Bestandteil der Unternehmensstrategie und insofern Kriterium der Vorstandsvergütung, sie müssen vom Aufsichtsrat auch kompetent überwacht werden können. Aufsichtsräte benötigen künftig also eine entsprechende Nachhaltigkeitsexpertise, wie auch immer diese zu definieren sein mag. Rolf Nonnenmacher, Vorsitzender der Kodex-Kommission, geht davon aus, dass künftig in vielen Aufsichtsräten Nachhaltigkeitsausschüsse gegründet werden. Das Nachhaltigkeitsthema stehe zwar auch im Strategieausschuss zwingend auf der Agenda. Doch die Vielfalt und Komplexität der unternehmensspezifischen Nachhaltigkeitsfragen lasse sich in kleinem Rahmen effizienter und kompetenter behandeln als im Plenum des Aufsichtsrats.

Allerdings sollten sich Vorstand und Aufsichtsrat darauf einstellen, dass die Aktionäre Berichterstattung und Mitsprache zur Nachhaltigkeit einfordern werden, und zwar über die jetzt schon üblichen Nachhaltigkeitsberichte hinaus. In Anlehnung an das „Say on Pay“ bei der Vorstandsvergütung könnte vor allem von institutionellen Investoren, die der Taxonomie unterworfen sind, oder auch aktivistischen Investoren die Forderung nach einem „Say on Climate“ in der Hauptversammlung laut werden. Fazit: Nicht eine nationale Kodexreform wird die Unternehmen veranlassen, dem Thema Nachhaltigkeit einen größeren Stellenwert in der Unternehmensstrategie beizumessen, sondern der sich durch ESG-Standards und Taxonomie wandelnde internationale Kapitalmarkt.

c.doering@boersen-zeitung.de

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